lifedays-seite

moment in time

 
 
Literatur


04.3


Adolf Schwayer

Weihnachtserzählungen



Wie Herr Schoißengeyer zu
einem Christkindl kam  - 2


So war eine fröhliche Woche vergangen. Eines Abends aber wurde Herr Schoißengeyer unbesiegbar ernst. Er schickte Eduard in den »weitesten« Keller hinaus und wies ihm gewaltig viel Arbeit zu, die heute noch fertig sein mußte.

An diesem Abend kam stillbescheiden Thilde heim – die »Durchgebrannte«. Herr Schoißengeyer »erwartete« die »arme reuige Sünderin« in seinem Zimmer. Er war innerlich ganz ungeheuer aufgeregt und mächtig gerührt – aber zeigen? Nein! Um keinen Preis der Welt! Das gibts nicht! Nach seiner Ueberzeugung braucht man Kindern nicht zu zeigen, wie gern man sie hat besonders – »solchen« nicht. Hm! Auch war es doch gar zu schön und eine herrlich würdevolle Rolle, so vom hohen moralischen »Standpunkte« aus einer so armen zerknirschten Sünderin ernste väterliche Lehren zu geben, ihr huldvollst zu verzeihen und sie dann emporzuheben in die reine Höhe eigener Sittlichkeit und Moral.

Die Tür tat sich auf und die »reuige zerknirschte Sünderin« kam herein ge–gangen! Wahrhaftig, sie ging ganz aufrecht, so groß sie war, ging, anstatt demütig hereinzuschleichen oder gleich bei der Tür auf die Knie niederzusinken. Nur den Kopf senkte sie tief herab zur Brust. Und stattlich war sie – Herrgott, war die aber frauenhaft geworden! Herr Schoißengeyer fühlte mehr Beängstigung als Freude über diesen Anblick. Denn er wußte: wenn die einmal zu reden anfängt, ist es mit seiner Würde zu Ende. Die konnte so energisch reden, einem dabei so beharrlich anschauen, daß einem der Zorn kommen mußte, ob man wollte oder nicht. Finster drohend sah er sie an. Es begann schon zu »wurln« in ihm – da aber kam die Erlösung: Thilde, die Stattliche, die Gefürchtete, die Streitbare, sie glitt lautlos vor ihm nieder, erfaßte seine Hände und küßte sie. Dann schlug sie langsam den Blick ihrer großen dunklen Augen auf und sagte nichts weiter als: »Verzeih mir, Vater«. Alles andere sagten die Augen.

Die Sprache verschlug dem gestrengen Herrn Vater die Rede. Mit aller Anstrengung nur rettete er seine Würde und seinen väterlichen Ernst. Gelassen, feierlich und strenge im Tone, voll Wohlwollen, voll Herablassung in der Gebärde sprach er: »Steh auf, is alles wieder guat.«

Sie stand auf, ruhig, feierlich, sittsam. Wieder küßte sie stumm des Vaters gütige Hand. Dem gefiel es im Laufe des Gespräches über die Maßen, daß Thilde nichts von »ihm« sprach. Er hatte den Menschen nicht »unters Gesicht« bekommen. Thilde lernte ihn in Wien kennen. Als sie kam und bat, ob sie ihn dem Vater »bringen dürfe«, schrie dieser, er brauche ihn nicht zu sehen, er wolle ihn nicht sehen, und wenn er dennoch käme, dann – nun ja, dann schmeiße er ihn hinaus. Da zog es der Maler vor, die Gastfreundschaft des Hauses Schoißengeyer nicht in Anspruch zu nehmen.

Weniger wollte es dem Vater gefallen, als er bald nach dem feierlichen »Empfang« in seinem Zimmer Mutter und Tochter in Thildens »Kammerl« droben fröhlich plaudern hörte – sogar laut auflachte Thilde.

»Na wart'!« brummte er. »Du wirst jetzt kurz g'halt'n! Du wirst schaun! Wannst aa a Frau bist – i bi da Vata!«

Beim Abendessen große Vorstellung zwischen Thilde und Eduard – große Augen gegenseitig, großes Schweigen nachher. Selbst Eduard saß heute da, als hätten auch ihm die dunklen Augen der jungen Frau »d' Red' verschlagen«.

Der einzige Vergnügte war Herr Schoißengeyer selber.

»Herr Jemine! Das wär was!« dachte er sich. »Wenn am End die zwei ...!« Ein Schoißengeyer sein Nachfolger – Thilde dieses Nachfolgers Frau – Herrgott, das war was! Ja ja, der Eduard könnt schon derjenige sein, der den andern aussticht bei der Thildl. Von dem Windbeutel, dem Maler, brächt er sie dann schon los. In diesem Augenblick verzieh er ihr sogar, daß sie dem »besseren Anstreicher« zulieb evangelisch geworden war. Jetzt war das ganz gut. So ging das Losmachen leichter. Aber – – aber! Was wird er zu Thilde sagen, wenn er »das« hört von ihr?! Er war so solid, der ganze liebe Mensch, und so moralisch – o!

Aber Kopf hängen lassen, lang simulieren, – nein! Gleich reden! Ist besser, besonders bei so etwas. Sonst hinterbringen ihm's die Leut – und dann ist's noch schlimmer.

»Du, Eduard – hm!«

»Was denn Onkel?«

»Waßt was – gehn ma aufi in dein Zimmer – da is ma zfad!«

»Bin dabei!«

»Alsdann gehn ma!«

Sie gingen. Draußen platzte der Herr Onkel pustend mit dem verhaltenen Lachen hervor:

»Hast – hast's gsehn! Die Gsichter! Die dummen! Und die Augen! Zum Zerkugeln!«

Eduard lachte aus voller Kehle mit. Herr Schoißengeyer mußte ihn mahnen, sich zu »derfangen« – denn beleidigen durfte man »die zwei faden Frauenzimmer« schließlich doch nicht. Aber warum denn auch er so fad war heut? fragte er Eduard. Der aber meinte lächelnd:

»Na und du? Warum denn du?«

»Ja i! I hab mein Grund!«

»Welchen, wenn man fragen darf?«

»Ja, das is eben! Kimm nur!«

Droben in Eduards Stube kam er vom Wein aufs Wetter, vom Wetter wieder auf den Wein, von der Farbe des Weines endlich auf – die Maler zu sprechen. Und nun legte er los. So recht nach Herzenslust. Schließlich verstieg er sich zu der Behauptung, daß »alle diese Maler« miteinander nicht so viel wert seien als ein einziger von einem ehrlichen Handwerk. Und überhaupt »alle diese Kinstler und Studierten«.

Eduard schnitt dabei ein Gesicht, als hätte er Essig getrunken. Der Onkel begütigte rasch: »Nit harb sein, Edi – bist an Ausnahm!«

»Werd mir's merken!« meinte Eduard darauf und lächelte breit. »Aber jetzt komm endlich einmal auf deinen Grund!«

Herr Schoißengeyer kratzte sich verlegen hinter dem Ohr. Und je länger er redete, desto kleinlauter wurde er, desto bedrückter. Denn Eduard saß da wie ein Klotz, so unbeweglich und so teilnahmslos. Endlich war er fertig mit seinen Geständnissen und Enthüllungen. Der heiße Schweiß stand im auf der Stirn.

Aengstlich schaute er Eduard an. Der drehte sein Glas im Kreise. Eine Weile rechts herum, eine Weile links herum. Schließlich schlürfte er bedächtig vom goldigen Weine, hielt das Glas gegen das Licht und meinte gelassen:

»Guter Jahrgang das! Poysdorfer dreiundneunziger – nicht wahr?«

Herrn Schoißengeyer lief es kalt über den Rücken. Förmlich stecken blieben ihm die Augen. Eduard schaute eine Weile ruhig vor sich hin, zündete sich gemächlich eine frische Zigarre an und sagte dann genau in demselben Tonfall, wie vorhin:

»Bedauerlich! Armes Mädl – aber schön!«

»Nit wahr?«

»Sehr schön! Keinen schlechten Gusto der – Herr Maler, hm!«

»Und du – du bist ja ... hm! Wie sagst allweil: Du bist frei von allen Vorurteilen ...«

»Das hat dir aber nie recht gefallen.«

»Mein Gott, i! I bin a alter Mann! Aber ...«

»Nun ja. Ich verurteile sie auch nicht!«

»Brav, Eduard! Bist mein Mann! Bist ein Prachtmensch! Geh kumm, heut stech ma an Rüdesheimer an!«

Beim Rüdesheimer redeten sie noch lange und – sehr gescheit.

So endete der erste Tag nach Thildens Heimkehr. –

»Ich verurteile sie auch nicht!« Hm hm! Ja ja! Das war nicht bloß geredet! Er benahm sich auch ganz danach, der Eduard. Eine Freud war's! Wie er sie nur oft anschaute! Und sie, sie schaute ihn auch an – so eigen. Hm. Und einmal wurde sie ganz rot, als er sie so anschaute und ließ den Löffel in den Teller fallen vor lauter Verlegenheit. O! Wie wär Herr Schoißengeyer da früher dreingefahren »in solche Unmoralitäten!« Aber jetzt! Mein Gott, man wird eben auch nach und nach frei von – den Vorurteilen. Der Mensch lernt nie aus. Und dann handelt es sich doch um die Zukunft seines – Hauses ... und wenn man's genau nimmt, immerhin auch um die seines Kindes. Jawohl!

Es machte ihm eine große heimliche Freude, den beiden aufzulauern, sie möglicherweise zu ertappen, zu belauschen und dann zu tun, als hätt er gar nichts bemerkt, gar nichts gehört. Freilich die jungen Leute waren sehr vorsichtig. Herr Schoißengeyer fand dies auch ganz begreiflich und war »allweil gut aufglegt«.

Als er aber eines Tages Eduard beobachtete, wie er der Thilde so nachblickte, so – so ... hm! Den Schnurrbart drehte er dabei, pfiff leise vor sich hin und lächelte so – so merkwürdig. Wirklich so merkwürdig. Sonderbar! Höchst sonderbar! Da packte Herrn Schoißengeyer der helle Zorn und – die Angst. Wenn der Eduard am End, weil die Thilde ja doch ... Das wär denn doch! Dann müßte er aber schon! Aber nein! Nein! So schlecht ist der Mensch nicht. Der gewiß nicht. Er kennt ihn ja schon: ein ehrlicher Kerl durch und durch! Nichts zu reden weiter.

So meinte auch »d' Frau«, als sie ihn bald danach fragte, ob er denn gar nichts merke zwischen den Zweien? Frau Marie sah ihn dabei groß an und lächelte dazu so – nun auch so eigen, aber doch so lieb, daß er sie hätte küssen mögen – wenn sich dies für einen alten ehrsamen Mann »überhaupt« geschickt hätte.

Das Hausgesinde war mit dem »alten ehrsamen Mann« jetzt sehr zufrieden. Er tat gerade so, als ob er blind wäre gegen alle Fehler, ging oft leise pfeifend durch die Räume, wo er sonst Furcht und Schreck verbreitete, war sogar manchmal – freigebig und lachte über die dümmsten Witze. Laut sogar! Ganz gegen alle Würde. Aus alledem »spannten« die Leute etwas. Er aber merkte, daß sie etwas spannten und war – auch zufrieden.

So kam Weihnachten heran, die Zeit seligen Gebens und glückseligen Nehmens, die stille Zeit des Friedens.

Und Friede sollte nun wohl bald einkehren in sein Haus und in sein Herz: alles stand so, wie es sich Herr Schoißengeyer nicht besser wünschen konnte.

Am heiligen Abend kam er etwas verspätet von seinen Einkaufgängen zurück. In manchen Häusern des stillen Städtchens brannte schon der Weihnachtsbaum.

Als er im Straßenlichte seines ehrsamen Firmaschildes verblichene Goldbuchstaben schimmern sah, dachte er schmunzelnd:

»Na, vielleicht heißt es bald: »Anton Schoißengeyer und Neffe«. Vielleicht schon von Neujahr an!«


____________________







  lifedays-seite - moment in time