Adolf Schwayer
Weihnachtserzählungen
Wie Herr
Schoißengeyer zu
einem Christkindl kam - 2
So war eine fröhliche Woche vergangen.
Eines Abends aber wurde Herr Schoißengeyer unbesiegbar ernst. Er
schickte
Eduard in den »weitesten« Keller hinaus und wies ihm gewaltig viel
Arbeit zu,
die heute noch fertig sein mußte.
An diesem Abend kam stillbescheiden
Thilde heim – die »Durchgebrannte«. Herr Schoißengeyer »erwartete« die
»arme
reuige Sünderin« in seinem Zimmer. Er war innerlich ganz ungeheuer
aufgeregt
und mächtig gerührt – aber zeigen? Nein! Um keinen Preis der Welt! Das
gibts
nicht! Nach seiner Ueberzeugung braucht
man Kindern nicht zu zeigen, wie
gern man sie hat besonders – »solchen« nicht. Hm! Auch war es doch gar
zu schön
und eine herrlich würdevolle Rolle, so vom hohen moralischen
»Standpunkte« aus
einer so armen zerknirschten Sünderin ernste väterliche Lehren zu
geben, ihr
huldvollst zu verzeihen und sie dann emporzuheben in die reine Höhe
eigener
Sittlichkeit und Moral.
Die Tür tat sich auf und die »reuige
zerknirschte Sünderin« kam herein ge–gangen! Wahrhaftig, sie
ging ganz aufrecht, so groß sie war, ging, anstatt demütig
hereinzuschleichen
oder gleich bei der Tür auf die Knie niederzusinken. Nur den Kopf
senkte sie
tief herab zur Brust. Und stattlich war sie – Herrgott, war die
aber frauenhaft geworden! Herr Schoißengeyer fühlte mehr Beängstigung
als
Freude über diesen Anblick. Denn er wußte: wenn die einmal zu
reden anfängt, ist es mit seiner Würde zu Ende. Die konnte so energisch
reden,
einem dabei so beharrlich anschauen, daß einem der Zorn kommen mußte,
ob man
wollte oder nicht. Finster drohend sah er sie an. Es begann schon zu
»wurln« in
ihm – da aber kam die Erlösung: Thilde, die Stattliche, die
Gefürchtete, die
Streitbare, sie glitt lautlos vor ihm nieder, erfaßte seine Hände und
küßte
sie. Dann schlug sie langsam den Blick ihrer großen dunklen Augen auf
und sagte
nichts weiter als: »Verzeih mir, Vater«. Alles andere sagten die Augen.
Die Sprache verschlug dem gestrengen Herrn Vater
die Rede. Mit aller
Anstrengung nur rettete er seine Würde und seinen väterlichen Ernst.
Gelassen,
feierlich und strenge im Tone, voll Wohlwollen, voll Herablassung in
der
Gebärde sprach er: »Steh auf, is alles wieder guat.«
Sie stand auf, ruhig, feierlich,
sittsam. Wieder küßte sie stumm des Vaters
gütige Hand. Dem gefiel es im Laufe des
Gespräches über die Maßen, daß Thilde nichts von »ihm« sprach. Er hatte
den
Menschen nicht »unters Gesicht« bekommen. Thilde lernte ihn in Wien
kennen. Als
sie kam und bat, ob sie ihn dem Vater »bringen dürfe«, schrie dieser,
er
brauche ihn nicht zu sehen, er wolle ihn nicht sehen, und wenn er
dennoch käme,
dann – nun ja, dann schmeiße er ihn hinaus. Da zog es der Maler vor,
die
Gastfreundschaft des Hauses Schoißengeyer nicht in Anspruch zu nehmen.
Weniger wollte es dem Vater gefallen,
als er bald nach dem feierlichen »Empfang« in seinem Zimmer Mutter und
Tochter
in Thildens »Kammerl« droben fröhlich plaudern hörte – sogar laut
auflachte
Thilde.
»Na wart'!« brummte er. »Du wirst jetzt
kurz g'halt'n! Du wirst schaun! Wannst aa a Frau bist – i bi da Vata!«
Beim Abendessen große Vorstellung
zwischen Thilde und Eduard – große Augen gegenseitig, großes Schweigen
nachher.
Selbst Eduard saß heute da, als hätten auch ihm die dunklen Augen der
jungen
Frau »d' Red' verschlagen«.
Der einzige Vergnügte war Herr
Schoißengeyer selber.
»Herr Jemine! Das wär was!« dachte er
sich. »Wenn am End die zwei ...!« Ein Schoißengeyer sein
Nachfolger –
Thilde dieses Nachfolgers Frau – Herrgott, das war was! Ja ja, der
Eduard könnt
schon derjenige sein, der den andern aussticht bei der Thildl. Von dem
Windbeutel, dem Maler, brächt er sie dann schon los. In diesem
Augenblick
verzieh er ihr sogar, daß sie dem »besseren Anstreicher« zulieb
evangelisch
geworden war. Jetzt war das ganz gut. So ging das Losmachen leichter.
Aber – –
aber! Was wird er zu Thilde sagen, wenn er »das« hört von ihr?!
Er war so solid, der ganze liebe Mensch, und so moralisch – o!
Aber Kopf hängen lassen, lang
simulieren, – nein! Gleich reden! Ist besser, besonders bei so etwas.
Sonst
hinterbringen ihm's die Leut – und dann ist's noch schlimmer.
»Du, Eduard – hm!«
»Was denn Onkel?«
»Waßt was – gehn ma aufi in dein Zimmer
– da is ma zfad!«
»Bin dabei!«
»Alsdann gehn ma!«
Sie gingen. Draußen platzte der Herr
Onkel pustend mit dem verhaltenen Lachen hervor:
»Hast – hast's gsehn! Die
Gsichter! Die dummen! Und die Augen! Zum Zerkugeln!«
Eduard lachte aus voller Kehle mit. Herr
Schoißengeyer mußte ihn mahnen, sich zu »derfangen« – denn beleidigen
durfte
man »die zwei faden Frauenzimmer« schließlich doch nicht. Aber warum
denn auch
er so fad war heut? fragte er Eduard. Der aber meinte lächelnd:
»Na und du? Warum denn du?«
»Ja i! I hab mein Grund!«
»Welchen, wenn man fragen darf?«
»Ja, das is eben! Kimm nur!«
Droben in Eduards Stube kam er vom Wein
aufs Wetter, vom Wetter wieder auf den Wein, von der Farbe des Weines
endlich
auf – die Maler zu sprechen. Und nun legte er los. So recht nach
Herzenslust.
Schließlich verstieg er sich zu der Behauptung, daß »alle diese Maler«
miteinander nicht so viel wert seien als ein einziger von einem
ehrlichen
Handwerk. Und überhaupt »alle diese Kinstler und Studierten«.
Eduard schnitt dabei ein Gesicht, als
hätte er Essig getrunken. Der Onkel begütigte rasch: »Nit harb sein,
Edi – bist
an Ausnahm!«
»Werd mir's merken!« meinte Eduard
darauf und lächelte breit. »Aber jetzt komm endlich einmal auf deinen
Grund!«
Herr Schoißengeyer kratzte sich verlegen
hinter dem Ohr. Und je länger er redete, desto kleinlauter wurde er,
desto
bedrückter. Denn Eduard saß da wie ein Klotz, so unbeweglich und so
teilnahmslos. Endlich war er fertig mit seinen Geständnissen und
Enthüllungen.
Der heiße Schweiß stand im auf der Stirn.
Aengstlich schaute er Eduard an. Der
drehte sein Glas im Kreise. Eine Weile rechts herum, eine Weile links
herum.
Schließlich schlürfte er bedächtig vom goldigen Weine, hielt das Glas
gegen das
Licht und meinte gelassen:
»Guter Jahrgang das! Poysdorfer
dreiundneunziger – nicht wahr?«
Herrn Schoißengeyer lief es kalt über
den Rücken. Förmlich stecken blieben ihm die Augen. Eduard schaute eine
Weile
ruhig vor sich hin, zündete sich gemächlich eine frische Zigarre an und
sagte
dann genau in demselben Tonfall, wie vorhin:
»Bedauerlich! Armes Mädl – aber schön!«
»Nit wahr?«
»Sehr schön! Keinen schlechten Gusto der
– Herr Maler, hm!«
»Und du – du bist ja ... hm! Wie sagst
allweil: Du bist frei von allen Vorurteilen ...«
»Das hat dir aber nie recht gefallen.«
»Mein Gott, i! I bin a alter Mann!
Aber ...«
»Nun ja. Ich verurteile sie auch nicht!«
»Brav, Eduard! Bist mein Mann! Bist ein
Prachtmensch! Geh kumm, heut stech ma an Rüdesheimer an!«
Beim Rüdesheimer redeten sie noch lange
und – sehr gescheit.
So endete der erste Tag nach Thildens
Heimkehr. –
»Ich verurteile sie auch nicht!« Hm hm!
Ja ja! Das war nicht bloß geredet! Er benahm sich auch ganz danach, der
Eduard.
Eine Freud war's! Wie er sie nur oft anschaute! Und sie, sie schaute
ihn auch
an – so eigen. Hm. Und einmal wurde sie ganz rot, als er sie so
anschaute und
ließ den Löffel in den Teller fallen vor lauter Verlegenheit. O! Wie
wär Herr
Schoißengeyer da früher dreingefahren »in solche Unmoralitäten!« Aber
jetzt!
Mein Gott, man wird eben auch nach und nach frei von – den Vorurteilen.
Der
Mensch lernt nie aus. Und dann handelt es sich doch um die Zukunft
seines –
Hauses ... und wenn man's genau nimmt, immerhin auch um die seines
Kindes.
Jawohl!
Es machte ihm eine große heimliche
Freude, den beiden aufzulauern, sie möglicherweise zu ertappen, zu
belauschen
und dann zu tun, als hätt er gar nichts bemerkt, gar nichts gehört.
Freilich
die jungen Leute waren sehr vorsichtig. Herr Schoißengeyer fand dies
auch ganz
begreiflich und war »allweil gut aufglegt«.
Als er aber eines Tages Eduard
beobachtete, wie er der Thilde so nachblickte, so – so ... hm! Den
Schnurrbart
drehte er dabei, pfiff leise vor sich hin und lächelte so – so
merkwürdig.
Wirklich so merkwürdig. Sonderbar! Höchst sonderbar! Da packte Herrn
Schoißengeyer der helle Zorn und – die Angst. Wenn der Eduard am End,
weil die
Thilde ja doch ... Das wär denn doch! Dann müßte er aber schon! Aber
nein!
Nein! So schlecht ist der Mensch nicht.
Der gewiß nicht. Er kennt ihn ja schon: ein ehrlicher Kerl
durch und durch! Nichts zu reden weiter.
So meinte auch »d' Frau«, als sie ihn
bald danach fragte, ob er denn gar nichts merke zwischen den Zweien?
Frau Marie
sah ihn dabei groß an und lächelte dazu so – nun auch so eigen, aber
doch so
lieb, daß er sie hätte küssen mögen – wenn sich dies für einen alten
ehrsamen
Mann »überhaupt« geschickt hätte.
Das Hausgesinde war mit dem »alten
ehrsamen Mann« jetzt sehr zufrieden. Er tat gerade so, als ob er blind
wäre
gegen alle Fehler, ging oft leise pfeifend durch die Räume, wo er sonst
Furcht
und Schreck verbreitete, war sogar manchmal – freigebig und lachte über
die
dümmsten Witze. Laut sogar! Ganz gegen alle Würde. Aus alledem
»spannten« die
Leute etwas. Er aber merkte, daß sie etwas spannten und war – auch
zufrieden.
So kam Weihnachten heran, die Zeit
seligen Gebens und glückseligen Nehmens, die stille Zeit des Friedens.
Und Friede sollte nun wohl bald
einkehren in sein Haus und in sein Herz: alles stand so, wie es sich
Herr
Schoißengeyer nicht besser wünschen konnte.
Am heiligen Abend kam er etwas verspätet
von seinen Einkaufgängen zurück. In manchen Häusern des stillen
Städtchens
brannte schon der Weihnachtsbaum.
Als er im Straßenlichte seines ehrsamen
Firmaschildes verblichene Goldbuchstaben schimmern sah, dachte er
schmunzelnd:
»Na,
vielleicht heißt es bald: »Anton
Schoißengeyer und Neffe«. Vielleicht schon von Neujahr an!«
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