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Literatur


04.3


Adolf Schwayer

Weihnachtserzählungen




Der Weg zurück 2

Am nächsten Vormittag führte man die lang widerstrebende Nonne endlich in ein anderes Zimmer, damit sie ein wenig der Ruhe pflege.

Das Zimmer war das ihre und war ein Heiligtum geworden – ein kleiner schöner Tempel der Liebe und Pietät: alles stand und lag, wie sie es verlassen hatte an jenem sonnigen Abend, und alles, was von ihr stammte, auch die nichtigste Kleinigkeit, war hier von liebenden Händen zartsinnig zusammengetragen. – Sie wußte, von welchen Händen.

Umweht von dem Hauche seiner Liebe, war sie in die Knie gesunken und bat Gott um die Kraft, das Werk vollenden zu dürfen, das sie so überschnell begonnen hatte. Sie war so ganz ohne Erinnerung, ob sie es mit vorgefaßtem Willen gewollt hatte, daß sie sich sagte: es sei das Werk einer höheren Macht und es werde und müsse darum zu gutem und schönem, zu beglückendem Ende führen.

In sich gefestigter, wagte sie es, ihre Schritte wieder in das Krankenzimmer zu wenden. Zu ihrer unsagbaren Freude fand sie das Kind noch immer schlafend.

Sie habe ein Wunder an der armen Kleinen geübt, sagte ihr die Großmutter gerührt, ein Wunder, wie es sich der Arzt, der wußte, er habe es hier in erster Linie mit einer kranken Seele zu tun, nur von der Mutter des Kindes erhofft hatte.

Wo die Mutter sei, wagte sie jetzt gepreßten Herzens zu fragen, um zu erforschen, wie man über sie denke.

Die Mutter sei fort, entgegnete die Großmutter nach einigem Zögern, und verdiene wohl gar nicht, daß man ihrer hier mit so viel Liebe gedenke. Am meisten leide das zarte empfindsame Kind unter den traurigen Verhältnissen. Es sehne sich immerwährend nach der Mutter, dürfe aber vor dem Vater mit keinem Worte von ihr reden. Er selbst aber treibe heimlich einen förmlichen Kult mit ihrem Andenken.

Die Nonne hatte tief das Haupt gesenkt und entgegnete mit leiser Stimme: die Entflohene habe vielleicht schon längst bitter bereut und getraue sich wohl nicht mehr zurück, weil sie als Mutter ihr Kind verlassen konnte. Sie leide vielleicht nicht weniger als die hier Zurückgebliebenen.

Erstaunt sah die Großmutter auf die unverhoffte Verteidigerin ihrer Schwiegertochter herab. Dann entgegnete sie etwas hastig: wenn dem so wäre, so hätte die Mutter einfach die Pflicht gehabt, den Weg zurückzufinden, koste es sie, was es wolle.

Vielleicht fürchte sie, daß der Mann wohl dem Weibe, nicht aber auch der leichtfertigen Mutter verzeihen könne, von der er glaube, sie sei herzlos.

Wieder stutzte die Großmutter und sagte dann herb: da habe sie, die Nonne, die ein sehr feines Unterscheidungsvermögen in Frauenliebe zu besitzen scheine, wohl recht, wenn sie das annehme. Ihr Sohn denke und fühle in der Tat so.

Da sank das Haupt der Nonne noch tiefer herab. Wenn die entflohene Frau das wisse, flüsterte sie, dann sei sie wohl nach langem Kampfe dahin gekommen, sich als Strafe gegen sich selbst – die Entsagung aufzuerlegen, wie schwer sie darunter auch leiden möge ... bis an ihr Ende....

Entsagung? eiferte jetzt die Großmutter. Hier wäre es wohl die menschlich schönere und größere Aufgabe gewesen, das verlorene Glück zurückzugewinnen, weil sie damit zugleich die beiden Menschen beglücken könne, die sie verlassen habe. Wo Entsagung einzig nur Zerstörerin sei, da sei sie nach ihrer Meinung verwerflich, sei sie ebenso unmenschlich wie unchristlich. So werde übrigens die junge Frau gar nicht denken; denn für sie, die nicht lieben könne, bedürfe es ja keiner Entsagung.

Jetzt aber warf sich die vermeintliche Nonne der erschrockenen Großmutter zu Füßen und rief, sich selbst vergessend, in ihrer Herzensangst und Pein:

»Ich bin ja gekommen! Ich habe ja gelitten wie er! Wochenlang umschleiche ich schon das Haus da und wage es nicht, den Fuß über die Schwelle zu setzen, weil ich mich fürchte vor ihm! Ich bin nicht die herzlose Mutter, für die er mich hält! Ich bin nur so gewesen damals, weil ich mich nicht beugen wollte vor seiner Größe und vor seiner Stärke! Denn ich wollte ihn beherrschen, bemitleiden wollt' ich ihn können, wie ich zu Hause meine schwachen Eltern beherrschte, und sie bemitleidete und tröstend wieder aufrichtete, wenn sie sich meinethalben kränkten. Glaube mir, ich habe gelitten die Zeit über und bereut und war entschlossen, den Abgrund auszufüllen, den ich selbst aufgetan hatte zwischen ihm und mir. Aber ich wußte nicht, wie ich es anfangen sollte, daß er mir glauben könne, und meinte oft, darüber sterben zu müssen. Da führte mir der glückliche Zufall das Mädchen entgegen, das um Arzt und Klosterschwester geschickt wurde. Und mein guter Genius hat mir den Gedanken eingegeben: sei du die Schwester! Pflege dein Kind und suche dir den Weg zu seinem Herzen – dann gewinnst du vielleicht auch sein Vertrauen und damit sein volles Herz wieder. Und wenn du siehst, daß dir das nicht gelingen könne, dann gehe wieder still und unerkannt von dannen, trage schweigend dein Los und büße deine Schuld bis ans Ende.«

Tieferschüttert hatte die Großmutter zugehört und hätte doch aufjubeln mögen über die unverkennbare Echtheit und erschreckende Größe des Schmerzes und der Reue der jungen Frau. Sie beugte sich liebevoll zu ihr herab.

»Ja«, sagte sie milde, »diesen Plan hat dir dein guter Genius eingegeben. Sei guten Mutes und zeige dich deiner armen Elli als liebende Mutter. Die Sehnsucht nach dir zehrt an ihrem Leben. Sie wäre wohl zugrunde gegangen an dieser Sehnsucht. Dein Anblick wird ihre kleine wunde Seele gesunden. Das hoffte auch der Arzt mit voller Zuversicht. Darum hat Herbert sich auch entschlossen, dich zu rufen. Er telegraphierte an deine Eltern hinaus. Doch von dort kam die Antwort, du seiest längst wieder in Wien. Ich suchte dich gestern, während du schon da an dem Bette deines Kindes knietest, in deiner Wohnung auf. Dort sagte man mir bestürzt, du seiest fort, man wisse nicht, wohin. Ich war zu Tode erschrocken und wußte nicht, was ich mir denken sollte. Doch, jetzt komm! Du findest in deinem Zimmer ein lichtes Hauskleid. Das ziehe an und setze dich zu deinem Kinde, damit es dich sieht wenn es aufwacht. Es hat geträumt von dir. Ich hab's belauscht. Während du dich umkleidest, will ich zu Herbert hinüber und ihm sagen, was sich hier Wundersames und Beglückendes zugetragen hat. Er wird erschüttert sein und Gott danken, daß es so kam; denn er trägt ja zum großen Teil mit die Schuld, daß Elli so krank wurde. Mit seinen Blicken hat er sie damals an sich gebannt, als er sie zwischen dich und sich stellte und hat dich nicht gerufen, wie sehr sich auch das Kind nach dir gesehnt hatte. Komm! Es darf keine Minute versäumt werden. Das arme Kind soll, wenn es aufwacht, finden, wovon es wohl glückselig geträumt hat.«

Und so fand es auch Klein-Elli, als sie aus ihrem stärkenden Schlaf aufwachte. Weit riß sie ihre scheuen blauen Augen auf, als sie an ihrem Bettlein eine junge schöne Frau sitzen sah anstatt der grauen Schwester und starrte lange wie in seligem Schreck nach ihr.

Die hochbeglückte Mutter aber schloß ihr Kind, das sie nie verloren hatte und doch erst wieder zurückgewinnen mußte, in ihre Arme, küßte es, nannte es mit den süßesten Kosenamen und wußte sich nicht zu fassen vor namenloser Freude.

Klein-Elli lag still in ihren Kissen und lächelte glückselig zu ihr auf.

»Gelt, Mutter, du hast mir vorhin schon was vorgesungen? So wunderschön hast du gesungen.«

Die Mutter nickte stumm. Und wieder lächelte Elli vor sich hin. Plötzlich aber kam wieder Schreck und Starrheit in ihre Augen – sie hatte den Vater erblickt, der, von der Großmutter geführt, ans Bett getreten war.

»Vater«, fragte Elli ängstlich, »darf die Mutter jetzt bei uns bleiben – immer?«

»Ja«, sagte dieser mit bebender Stimme. »Wir bitten sie darum und lassen sie nimmer fort.«

Da jubelte die Kleine, legte ihre Aermchen um den Nacken der Mutter und weinte und lachte. Der Vater aber hatte sich neben der Wiedergefundenen niedergelassen, ergriff ihre zitternde heiße Hand und führte sie an seine Lippen. In der Art, wie er das tat, lag sein ganzes Selbst, seine ganze Seele mit all ihrer Wiedersehensfreude, ihrer Reue und ihrer stolzen Ergebung.

Und als Frau Hilda sich niederbeugte und froh erschaudernd den Schnee seiner Haare küßte und ihre Lippen zitternd die seinen suchten, da hatte sie in ihrer Seele das erhebende Gefühl, einem Manne anzugehören, der stolz und immer er selbst bleibe, wie er sich auch erniedrigen möge.

Die Großmutter aber war still hinausgegangen und hatte mit dem Dienstmädchen rasch den Weihnachtsbaum geschmückt, der schon längst im Hause war. Als sie mit dem schimmernden Baume ins Zimmer trat, da sah sie, daß die Augen der drei im Glücke Wiedervereinten heller leuchteten, als alle die Kerzen auf ihrem Baume.


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