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Literatur


04.3




Adolf Schwayer

Weihnachtserzählungen


Assistent Frickenberg 3

Aber das Kind! Das liebe süße unschuldige Kind! Doch seine Zukunft? War es nicht besser ...

Er ging zaghaft und klopfenden Herzens und am ganzen Körper zitternd bis an die Ecke des Gebäudes und langsam, innerlich erschaudernd, darum herum. Dort hinter den matterleuchteten Fenstern – dort wohnte einst all sein Glück ... Und jetzt ... Und er soll hineingehn und sollte, mußte ihr sagen: »Frida, sei bereit! Wir müssen ein Ende machen ...«

Da drinnen! Was um Gottes willen war da drinnen! War sie wahnsinnig geworden und zündete Lichter an in ihrer Verzweiflung und Vereinsamung? Und er heraußen, er mußte sich sagen: »Wohl ihr, wenn ihre Seele schon drüben weilt ... Es ist wohl besser so ...«

Drinnen glitzerte es heller und heller. Er trat einen Schritt vorwärts – den ersten Schritt, schien es ihm, in die Ewigkeit, einen zweiten, zögernd und schaudernd einen dritten – zitternd griffen die froststeifen Finger nach dem Gesimse. Und als er nahe vor dem Fenster stand, schlossen ihm aufstürmende Angst und Entsetzen die Augen.... Gewaltsam bezwang er sich und blickte durch die Spalten der Fensterladen in das lichterglänzende Zimmer ... Dann sank er mit einem heiseren unbeschreiblichen Schrei ohnmächtig in den Schnee ...

Als er wieder erwachte, lag er in seinem traulich durchwärmten Zimmer auf dem weichen Ruhebette, und über ihn beugte sich ein liebes bleiches Gesicht in liebevoller Sorge – und zugleich voll unfaßbaren Friedens. Er richtete sich verwirrt auf und sah sie groß und staunend an. Ehe er noch ein Wort finden konnte, sprach sie mit warmer freudedurchzitterter Stimme:

»Gott sei Dank, daß du wieder zu dir kommst! Wir waren schon in großer Sorge um dich. Ich habe dich durch Püregger überall suchen lassen.«

»Ja aber sag mir um Gottes willen, wie kommt es denn, daß du auf bist, daß du dort ... Wer brachte denn diesen Baum ...?«

»Ich, Oswald!«

Jählings sprang er auf.

»Onkel Ludwig!« Aufrecht stand er da, wie zum Angriffe bereit. Seine Augen sahen finster drohend, feindlich nach dem peinlich überraschten Manne.

»Ja, Oswald«, sprach der Onkel beklommen und stotternd weiter. »Ich – ich wollte euch – weil gerade Weihnachten war ... über – überraschen ...«

»Ueberraschen! Und draußen könnten jetzt Hunderte von Menschen liegen, Tote, Zerschmetterte, Verletzte, Schreiende – Wahnsinnige! Und hier herinnen – Mensch! wenn du wüßtest, wie grausam du mich gemartert hast! Ich könnte dich ...!«

Er sank aufstöhnend auf das Ruhebett zurück, preßte beide Hände an die Stirn und rief unter ergreifendem Lachen:

»Ueberraschen wollte er mich! Erst schlägst du mir alle Hoffnungen tot, bringst mich moralisch um und dann ...!«

»Oswald! O, ich ahne, was hätte geschehen können! Jetzt begreife ich erst Püreggers sonderbares Wesen und seine Verstörtheit – o, mein armer armer Oswald!«

Frida, sein erbleichtes Weib, hatte die Arme fest um ihn geschlungen und weinte, weinte unbezwinglich und mit solcher Heftigkeit, daß ihr zarter Körper wie im Froste bebte.

Er zog sie eng an sich, und sagte tief bewegt:

»Laß es nun gehn, Frida! Es ist ja alles wieder gut!«

Der Onkel ging erregt auf und ab. Er hatte bei seiner Ankunft flüchtig gehört, daß es beinahe ein großes Eisenbahnunglück gegeben hätte – nun ahnte er den Zusammenhang und war erschüttert.

Rasch trat er auf den Neffen zu, streckte ihm beide Hände entgegen und brachte nur mühsam die Worte hervor:

»Verzeih mir!«

Mehr als sein Mund sprachen seine Augen.

Oswald sprang auf und zog den tiefbewegten Mann an seine Brust. Und plötzlich kam es über ihn mit unbezwinglicher Gewalt. Er mußte weinen – und weinte all den großen stummen Schmerz seiner gemarterten Seele aus und weinte die Freuden der Erlösung und der Rettung.

Und als es sich im Bettlein daneben regte – da riß er sich los und beugte sich über das kleine rosige Gesicht. Lange kniete er so da. Als er sich wieder erhob, lag auf seinem Angesicht der ergreifende Ausdruck ernsten Friedens.

»Zündet den Baum wieder an«, sprach er dann, »es ist ein doppeltes Fest heute für uns: Weihnacht und Ostern. Friede ist eingekehrt in unsere Seelen und auferstanden sind in uns all die toten Freuden und Hoffnungen! Onkel, ich werde nie vergessen, was ich in diesen Stunden gelitten! Es wird mir seelisch gehn wie dem Krieger, der in siegreicher Schlacht Arm oder Bein verloren – du verstehst mich wohl!«

Stumm reichte ihm der Onkel die Hand und führte ihn schweigend zu dem Baume. Oswald stand aufrecht und unbeweglich und sah ernst und fremd in den so oft bejubelten Lichterglanz. Erst als er freudig merkte, daß seines Weibes Augen heller und wärmer glänzten als all die Lichtlein, denen erst der Mensch durch die Sinnbildlichkeit Seele verleiht, wandte er sich langsam zu Frida hin und fragte, sie leicht umfangend:

»Glaubst du, daß wir jemals wieder unbefangen glücklich sein können?«

Sie lehnte sich an seine Brust und sah mit stillem Lächeln zu ihm empor.

»Ja, Oswald, das glaube ich, denn wir haben eines, was uns niemand geben und niemand nehmen konnte – auch die Not nicht: unsere Liebe ... Und wir haben ja unser herziges Mädi!«

Er neigte sich zu ihr herab und küßte den zuckenden lächelnden Mund.

Der Onkel aber legte die Hand auf seine Schulter und sprach mit warmer bewegter Stimme:

»Und ich – ich hab dir ein Geständnis zu machen ... Hm! Das mit dem Ueberraschen war eigentlich ... Ich hab wirklich im blinden Zorn telegraphiert, ohne Bedenken – pumpen will er halt, dacht ich mir.«

»Na, Onkel – Seelenkenner bist du offenbar keiner!«

»Kann schon sein. Es ließ mir keine Ruhe, sag ich dir, bis ich abfuhr. Schau dir die Sache halt mal an, dacht ich mir. Und dann kannte ich ja auch Frida noch gar nicht. Vielleicht tust ihr unrecht! Hm! Weihnachten war auch und ich – hm, ja! ich fühlte mich so vereinsamt. Hm! Und jetzt, sag ich dir, bin ich erschüttert und beschämt. Wenn jenes Unglück wirklich geschehen wäre – nicht du, Oswald: ich hätte die Schuld! Verzeihe mir nochmals! Ich bin nicht hart, sag ich dir, ich war nur verhärtet. Ein Starrkopf war ich! Hm, Dickschädel sind wir eben alle, wir Frickenbergs. Ja ja! Jetzt aber will ich gut machen, was ich verschuldet, ja verschuldet! Es ist meine Pflicht, meine heiligste Pflicht, euch ein väterlicher Freund zu sein. Hab ja nur euch auf dieser Welt! Es war schändlich von mir! Schändlich, sag ich dir! Na aber jetzt sollt ihr fort von hier! So bald wie möglich. Und auf mein steirisches Gut sollt ihr. Weißt du, das hat dir immer am besten gefallen. Es gehört von heute an dir, Oswald! Laß nur, laß nur! Mich freut es, sag ich dir, daß ich euch etwas geben kann von meinem überflüssigen Reichtum. Den größten Reichtum hast du freilich hier.«

Er wies auf Frida.

»Nein, hier!« sagte diese lächelnd und schmiegte sich an des Gatten Herz.


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