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Literatur


04.3


Adolf Schwayer

Weihnachtserzählungen



Im Sturm 3


Als er sich nächsten Morgens mit dem dunklen Anzuge, den der Onkel unter den Baum gelegt hatte, fein herausputzte, umgaukelten sie ihn wieder, diese Lichtbilder des Glückes und er wußte nicht mehr, was er gesonnen im Wachen und was er gesponnen mit des Traumes Hilfe.
 

Die Mutter war, ganz eingehüllt in neues weiches Pelzwerk, in die Kirche gegangen.
Eben wollte auch er nach dem Pelze langen, als draußen geläutet wurde. Gleich darauf hörte er die Wohnungstür öffnen und im Vorraume leise Schritte. Kam die Mutter schon zurück?
Da ging nach flüchtigem Klopfen die Tür auf und – Erna stand vor ihm. Sie schien ihm bleicher als sonst und einigermaßen verlegen. Gleich darauf aber sagte sie mit der ihr eigenen Sicherheit:
»Guten Morgen, Herr Volkmar.«
 

Er erwiderte verlegen ihren Gruß und kam sich in dem neuen Anzuge ungemein gespreizt vor. Stockend sprach er weiter:
 

»Die Mutter ist nicht daheim und ich – ich wollte eben ... wollte eben hinuntergehn zu Ihnen, Fräulein Erna, mich bedanken ...«

»Sie haben mir nichts zu danken, Herr Volkmar. Ich wollte, ich könnt ...« Sie schwieg. Eine brennende Glut war in ihr bleiches Angesicht gestiegen und rasch wieder versiegt. Starr und totenblaß war es nun geworden. Mit ganz veränderter Stimme brachte sie nun mühsam hervor:

»Herr Volkmar, was ich Ihnen jetzt sagen muß, das durften Sie durch niemand anderen hören als durch mich. Und Sie mußten es zuerst wissen. Vielleicht sollte ich nicht so handeln, aber ich glaube, es muß so sein. Darum bin ich gekommen.«

Er sah sie an und durch seinen Körper ging ein jähes seltsames Frösteln. Sie hatte den Blick gesenkt und sprach das bedeutsame Wort tonlos aus:
 

»Ich habe mich gestern abend – verlobt, Herr Volkmar.«

Wie er sich auch zusammennahm: es zuckte durch seinen Körper, als hätte ihn ein Schlag ins Gesicht getroffen. Und ganz äußerlich fielen die Worte von seinen Lippen:

»Ich gratuliere, Fräulein Erna.«

Sie sah ihn an, traurig-ernst und tief bewegt.

»Es soll kein Zwang sein zwischen uns, Herr Volkmar, und keine Verstellung. Wenn ich Ihnen weh getan habe ...«

Da richtete er sich trotzig auf. Und hart und herb stieß er die Worte hervor:

»Und deshalb haben Sie das alles getan? Aus Mitleid! Aus purem Mitleid!«

»Nein, Herr Volkmar!« entgegnete sie ernst und fest und ihre Stimme bebte in verhaltener Erregung. »Nicht aus Mitleid! Ich hab's getan, weil ich Sie hochschätze, weil ich Ihnen gut bin, Herr Volkmar. Ich habs getan, weil ich Ihre Mutter lieb habe, so lieb haben kann, wie ich die meine lieb hatte, und ich habs getan, weil ich nicht mitanschauen kann, wenn gute edle Menschen leiden. Es fiel mir schwer, den ersten Schritt zu tun – weil ich sah, daß Sie mir gut sind. Aber ich ließ mich nicht abschrecken. Das einmal erkannte Gute führ' ich aus, je früher, desto besser. Das ist das schönste Vermächtnis meiner frühverstorbenen Mutter. Verzeihen Sie also, wenn ich Ihren Stolz ...«

»Um Gottes willen, nicht weiter, Fräulein Erna! Ich, ich bitte Sie um Verzeihung! Ich bin ja rauh geworden! Ich bitte Sie um Verzeihung!« Aus seiner Stimme konnte sie seine gemarterte Seele herausklingen hören.

Unfähig, ein Wort hervorzubringen, reichte sie ihm wie bittend beide Hände hin. Um ihre Lippen zuckte es.
 

Da kam es über ihn, er wußte nicht wie. Leidenschaftlich erfaßte er die dargebotenen Hände, schlang seine Arme um das holdselige Kind, preßte es an seine Brust und küßte es, küßte es mit der ganzen Gier eines nach Glück und Liebe dürstenden Herzens.

Bleich und gelähmt von unsagbarem Schreck, lehnte sie eine Weile an seiner Brust. Dann geschah etwas Unerwartetes: sie schlang plötzlich ihre Arme um seinen Nacken und küßte ihn nicht minder heiß als er sie geküßt hatte. Und unter stürzenden Tränen gestand sie ihm:
»Ich liebe dich. Ich liebe dich unaussprechlich!«

Da faßte er sie an der Schulter, schob sie von sich weg, und sah ihr ins erglühte Angesicht wie ein Wahnsinniger.

»Du liebst mich ... Und doch hast du dich mit einem anderen verlobt!«
 

»Es war der letzte Wunsch meiner sterbenden Mutter. Sie glaubte fest, ich werde glücklich sein mit dem ernsten stillen Vetter Alfred. Drei Jahre schon verschiebe ich die offizielle Verlobung. Ich hab das getan, weil ich an seiner Seite immer so still wurde, wie er selbst ist. Dem Vater aber sagte ich immer, ich sei noch zu jung ...«

»Und jetzt, jetzt hast du's doch getan weil du mich ...«

»Weil ich gefürchtet hab, ich könne nicht mehr die Kraft aufbringen ... O, wüßtest du, was ich gelitten hab die ganze Zeit her!«

»Das darf nicht sein! Das darf nicht geschehen! Du darfst nicht das Opfer deiner Kindesliebe werden! Liebst du ihn denn, diesen stillen Herrn Vetter?«
 

»Ich bin ihm gut, ja. Aber was Liebe ist, weiß ich erst durch dich.«

»Dann seh er sich vor, dieser Herr Vetter Schweigsam! Mein bist du! Mein durch die Kraft und Heiligkeit unserer Liebe! Darum will ich dich erkämpfen wenn's sein muß mit dem Einsatz meines Lebens!«

»Das wird nicht nötig sein!« sagte da plötzlich eine fremde Männerstimme.
Erstaunt und betroffen sahen sich beide um.
 

»Alfred!« Bleich und starr stand sie da.

»Mein Herr! Mein Name ist Theobald Volkmar.« Mustergültig förmliche Verbeugung, ein Blick, der alles sagte. Erwiederung weniger steif, aber »tadellos«:
»Alfred Bründherr. Es braucht kein weiteres, Herr Volkmar. Ich bin meiner Base unbemerkt nachgegangen. Zuerst aus Neckerei, dann aus Neugierde. Dann dacht' ich, du könntest ja auch die liebe Frau Volkmar kennen lernen – tret ein und höre Ihre Stimme, mein Herr.« Kleine Pause. Die Blicke aller am Boden.

Alfred Bründherr faßte sich zuerst: »Sie haben ganz recht, Herr Volkmar: Erna darf nicht das Opfer ihrer Kindesliebe werden. Und ich,« hier wurde seine feine Stimme schneidend, »ich will keine Frau, die mich nicht liebt.«

»Hätt' er längst sehen können,« dachte Theobald bei sich und verbiß ein Lächeln. Erna aber unterdrückte es nicht; mild lächelnd sah sie Alfred an und fragte: »Sag mir, Alfred, fällt's dir sehr schwer? Aufrichtig!«

»Schwer wird's mir schon; aber sicherlich nicht so schwer, wie es diesem Herrn da würde, mein' ich. Um es kurz zu machen: Ich gratuliere!«

»Und der Vater?« Die rasche Frage Ernas störte einigermaßen die gegenseitigen, grausam-eleganten Verneigungen der beiden Herren. Alfred lächelte verbindlich.
 

»Den werd ich schon vorbereiten,« meinte er überlegen. »So viel ich ihn kenne, wird er dem – wahren Glücke« – es zuckte bei diesen Worten seltsam um seine bärtigen Mundwinkel – »seines Lieblings nicht im Wege stehn.« Und bitter-ernst fügte er hinzu: »Es ist ja zum Glück das Schwierigste nicht zu überwinden: unsere Verlobung ist noch nicht veröffentlicht.«

»Das Schwierigste nennt er das! Und Glück!« blitzte es durch Theobald und ein scharfes Wort drängte sich gegen seine Zungenspitze, ein Wort, von dem er wußte, daß er es mit der Degenspitze werde einlösen müssen. Aber wozu? Der Herr Vetter ist ja so entgegenkommend! Mit einem raschen Blicke unendlichen Wohlwollens umfaßte er die geschmeidige Gestalt des feinen glatten Mannes und sagte dann, in Miene und Ton und Gebärde voll unverschämter Höflichkeit:
»Danke verbindlichst!« Dabei zwirbelte er hastig den blonden Schnurrbart, so daß er fröhlich-frech und herausfordernd vorstach.

Der andere, der, wie der wunderschöne Durchzieher an seiner rechten Wange zeigte, just auch kein Kneifer war, mußte wohl geahnt haben, was im Geiste und Empfinden seines glücklichen Gegners während dieser peinlichen Sekunden vorgehn mochte; denn er verneigte sich forsch und klirrte hervor:

»Bitte sehr!« Dann ging er.

»Ein lieber Kerl!« rief Theobald mit einem Gemisch von Spott und aufrichtiger Bewunderung, als der Mann draußen war.
 

»Ja,« sagte Erna ernst darauf, »er war immer streng »korrekt«. Und leiser fügte sie hinzu. »Fast mehr, als gut ist.«

»Mehr, als gut ist!« wiederholte Theobald. »Um Gottes willen! Ein ganzes Leben an der Seite dieses Mannes, Erna, ein ganzes Leben!«

»Es wär gewesen wie ein klarer wolkenloser Tag,« erwiderte sie ernst. »Aber wie ein – Wintertag. Du hast mir Sonne und Wärme gebracht, Theobald! Wie werden wir glücklich sein! So glücklich, wie – deine Eltern waren ...«

Da nahm er sie, doppelt beseligt, in seine Arme.

Wieder ging die Tür auf. Schnell und erglühend löste sich Erna los und eilte auf die frohbetroffene Frau zu.
 

»Mutter!« rief sie leise; aber es klang ein Jubel in ihrer Stimme. »Mutter! Liebe, liebe Mutter!«
Sie ließ sich vor der kleinen zarten Frau nieder und küßte ihr glückfeuchten Auges die schmalen Hände.
 

Abends waren sie alle drunten um den Christbaum versammelt, den Erna geschmückt hatte.
Alfred Bründherr hatte alles aufs beste eingerenkt. Man feierte abermals Verlobung. Der Vetter war so überaus »korrekt«, zu diesem Feste nicht zu erscheinen. Aber er hinterließ ein schönes Wort: er beglückwünsche Theobald, der sich sein Glück im Sturm erobert habe, und beglückwünsche Erna zu ihrer zweifellos sonnigen Zukunft. Was aber auch kommen möge – sie könne ruhig sein: ihr Auserwählter werde aufrecht dastehn und sie zu schützen und zu schirmen wissen in jedem Lebenssturme.

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