Walter Serner
Zum
blauen Affen
dreiunddreißig hahnebüchene Geschichen
Ein
bedeutender Schlepper
Dungyerszki,
der ein sehr
bewegliches Gehirn besass, bemerkte eines Abends, als er wieder
definierte, das
ein Zuhälter einem Reichsgrafen durchaus vorzuziehen sei, da jener als
Mitgiftjäger in Raten vor dem in Ehren, nämlich dem Reichsgrafen, nicht
nur
voraus habe, dass Madam auch etwas davon habe, sondern überdies das
Risiko,
nämlich den Mut.
Dungyerszki,
liebte es seit
mehreren Wochen, zu definieren, weil es ihn sehr unternehmungslustig
machte und
sich selber interessanter.
An
diesem Abend beschloss
er denn endlich, nicht mehr zu hungern, vielmehr mit
sich hervorzutreten und
seine interessante Person zu fruktifizieren.
Er
begab sich dieserhalb in
die Kauffinger Strasse und trat neben eine sehr farbig gekleidete und
mit
zweifelhaften Bijous fast verhängte junge Dame mit der höflichen Frage:
„Was
verstehen Sie unter ‚Laster‘, meine Gnändige?“
„Wie,
mein Herr?“
„Ich
möchte mir die Frage
gestatten, was Sie unter ‚Laster‘ verstehen.“
„Gengerns
weg. Frozzelns an
andere als mi.“
„Weit
gefehlt, meine
Gnädige. Und damit Sie davon überzeugt sein können, hier meine Antwort:
Laster
ist eine Beschäftigung, welche es der Tugend ermöglicht, vorhanden zu
sein.“
„Sö
san einer. Gehns, sagns dös no amal.“
„Gerne.“
Dungyerszki
repetierte langsamer und tonvoller.
„Jessas,
san Sö einer. Aber wo er recht hat, hat er recht.“ Die junge Dame
lächelte animiert.
„Nun
wird es Ihnen aber
sicherlich nicht schwer fallen, meine Gnädige, mir zu sagen, was Sie
unter ‚Tugend‘
verstehen.“
„Na,
sagns es nur glei, dass Sies los wern.“
„Sie
sind Psychologin. Nun denn . . .“
„Was
bin i? Sö, gebns acht,
was sagn.“
„Konträr,
es war ein Lob. Nun denn: Tugend ist die Abwesenheit jeder
Möglichkeit, sich dem Laster zu widmen.“
„Härns,
Sö gfalln mer. Was
hams denn für an Beruf?“
„Den,
keinen zu haben. Denn ein Beruf ist der gelungene Nachweis des Mangels
jeder besseren schlechten Eigenschaft.“
Die
junge Dame lachte
lieblich auf, sah schnell auf ihre Armanduhr und holte sich hierauf,
kurz
entschlossen, Dungyerszkis Unterarm: „Kommens, ‘s is erscht sechse.
Trinkens a
Halbe mit mir.“
Dungyerszki
tat es, liess
sich ‚Zki‘ nennen, versprach erfreut, am nächsten Vormittag in der
Kudlacher
Strasse 16 vorzusprechen und etwas für seine Garderobe zu tun. Hierauf
wünschte
er zwecks Veranstaltung einer Mahlzeit zwei Mark, erhielt sie mit einer
geradezu grossartig generösen Geste und verliess Fräulein Milli
gehobenen
Gemütes.
Dieser
immerhin nennenswerte Erfolg seines ersten Hervortretens veranlasste
Dungyerszki, nachdem er opulent diniert, ein Café frequentiert und
mehrere
Waz-Zigaretten konsumiert hatte, gegen elf Uhr nachts zu einer
Wiederholung.
Ein
seriös gekleideter Herr
mit einem Hautsack unterm Kinn, geröteten dicken Augenlidern, einer
behaarten
Warze auf der linken Wange und einem fettstrotzenden Körper dünkte ihm
die dazu
geeignetste Person.
Dungyerszki
näherte sich
unauffällig und sagte plötzlich vor der Theatinerkirche, der trotz dem
geschlossenen Portal Weihrauchduft entströmte: „Mein Herr, könnten Sie
mir
sagen, was der ‚Himmel‘ ist?“
Dungyerszki
erblickte ein Gesicht,
das verblüffende Ähnlichkeiten mit dem eines kranken Stationsvorstehers
aufwies.
„Der
Strassenlärm hat Sie
wohl verhindert, mein Herr, mich zu verstehen,“ fuhr Dungyerszki
unbeirrt fort.
„Ich bat Sie, mir zu sagen, was der ‚Himmel‘ ist.“
Der
Herr, ein gebürtiges
Münchner Kind, begriff jetzt, dass es sich um einen Gschpassigen
handle, und
begann entsetzlich zu grinsen: „Der Himmel? Dös kann i Ihner scho sagn.
Der
Himmel, dös is die Odeonsbar.“
„Das
mag wohl sein. Ich
frage jedoch direkt.“
„Also
direkt hams gfragt.“
„Vielleicht
sind Sie meiner Auffassung: für mich ist der Himmel eine
Einrichtung, die verhindern soll, dass der Mensch aus ihm fällt.“
„No
ja . . . „ Der beleibte
Herr fühlte sich in seiner Bequemlichkeit gestört. „Da, kaufens Ihner a
Halbe.“
„Ich
danke. Möchte jedoch
hinzufügen, dass ich Definist bin.“
„Was
hams gsagt?“
„Dass
ich Definist bin.“
„Was
is an dös?“
„Definist
ist, wer sämtliche Hauptworte so lange mit seinem Gehirn kitzelt, bis
sie vor Lachen in einen Satz machen.“
Der
beleibte Herr lachte sozusagen: von ungefähr kam es ihm lustig vor und
sogar irgendwie verständlich.
„Dö
Hauptwort kitzeln? Machens dös do amal.“
„Aber
gerne. Bitte nennen Sie mir ein Hauptwort.“
„Alsdann
a Hauptwort . . . Alsdann sagn mer ‚Liebe‘ hoho.“
Dungyerszki
besann sich keinen Augenblick: „Liebe ist ein Schwindel, dessen
süsse Empfindungen manchmal entschuldigen, dass man auf ihn
hineingefallen ist.“
„Dös
hams gut gsagt.“ Der beleibte Herr lachte glucksend. „Alsdann gehen
mers
weiter . . . eine ‚Kakotten‘ hohoho.“
Dungyerszki
lächelste darüber, welch elementare Vokabeln ihm serviert wurden:
„Kokotte
ist ein weibliches Wesen, das sich von einer anständigen Frau dadurch
unterscheidet, dass es nur von Fall zu Fall ausgehalten wird, und der
gemeinsamen Vorliebe für maskuline Abwechslung und auffallende Kleidung
ungehindert fröhnen kann.“
„Wahr
ist. Wahr is. Sagns, wo hams denn dös alles her.“
Dungyerszki
lächelte mitleidig: „Wollen Sie bitte ungeniert weiterfragen, mein
Herr.“
„Ham
Sös aber happig. No
ja, sagn mer no ‚Theresienwiesen‘.“
„Eine
zu windige Gelegenheit.“
„Hohohoho!“
Der beleibte Herr schwang seine ringbesetzten Wurstfinger
Dungyerszki auf die Schulter: „Jetzt aber no ‚Nachtlöben‘.“
„Der
meist misslungene
Versuch, wenn’s finster wird, aus einer Bar ein Vergnügungslokal zu
machen.“
„Na,
härns, auf die Baren da lass i nix kommen. Und gwies nöt auf die
Odeonbar.“
„Ich
mache mich anheischig, Ihnen zu beweisen, dass Sie sich in Wirklichkeit
bisher in der Odeonsbar fadisiert haben.“
„I
und mi fadisiert?“ Der beleibte Herr blieb empört stehen. „I mi? Wie
wollns
mer denn nacher dös beweisen, ho?“
„Ich
schlage den Tatsachenbeweis vor: Sie gehen mit mir in die Odeonsbar.“
„No
und nacher . . . „
„Und
das, was Sie da an meiner Seite erleben werden, wird alles Dagewesene
derart in den Schatten stellen, dass Sie, wenn Sie diesen Abend mit den
früheren vergleichen werden, sich eingestehen müssen, sich zum ersten
Mal nicht
fadisiert zu haben.“
„Dös
wolln mer segn, Sie Aufschneider.“
„Sie
stimmen also zu?“
„Kommens,
Sie Döfinist Sie.“ -
Sie
sassen noch nicht, als eine Dungyerszki bekannte Stimme aus einer Ecke
der
Bar schrie: „Jessas, der Zki!“
Die
bereits angetrunkene
Milli stellte alsbald drei Damen und zwei Herren Dungyerszki als den
frechsten
und gescheitesten Fremdling von München vor und fiel hierauf,
gleichzeitig mit
den drei restlichen Damen, dem beleibten Herrn freudeschluchzend um den
Hals.
Als
dieser morgens gegen
vier Uhr in eine Droschke gerollt wurde, lallte er Dungyerszki weinend
zu: „Zki,
du bischt das fidelste Luder, was mir in München derzeit ham.“
Milli,
die am Arme von
Dungyerszkis um ihre Lotrechte sich bemühte, bekräftigte diese
Auffassung durch
einen leidenschaftlichen Schlag auf seinen Bauch. Und als Dungyerszki
eine
zweite Droschke heranwinkte, stammelte sie begeistert: „Jetzt sag mir
bloss,
Zki, wo du im Handumdrehn den Oberhuber auftriebn hast. Dös is ja der
reichste
Fleischer ausm Sendlingerviertl.“
Dungyerszki
zuckte wegwerfend die Achseln. Dann sagte er unnachahmlich: „Kudlacher
Strasse 16.“
„Ja,
der Kopp!“ zeufzte Milli träumerisch . . .
Am
nächsten Nachmittag
kaufte sich Dungyerszki bei Tietz einen hellgrauen Anzug, dessen Hosen
an den
Seiten dunkle Lampas aufwiesen, einen braunen, kühn gewölbten Kiki
und einen schwarzen Spazierstock mit
Elfenbeinknopf.
Dergestalt
verbessert erschien er um fünf Uhr an der Seite Millis in der zu dieser
Stunde nur von Animierpersonal besetzten Odeonsbar, deren Direktor auf
Millis
und sämtlicher Anwesenden dringendste Empfehlung hin ihn mit einem
Anfangsfixum
von hundert Mark monatlich und zehn Prozent vom erzielten Weinkonsum
als
Schlepper engagierte. In dieser Eigenschaft war er von Milli, die in
ihm
bereits den hervorragendsten Geist des Kontinents sah und ihren
endgültigen
Typ, privatest längst auf halbpart verpflichtet worden.
Nach
einigen Wochen
versorgte Dungyerszki auch andere Damen gegen ein monatliches Fixum
privatest
und galt bald nicht nur als die grösste Definitions-Attraktion des
beliebten
Lokals, sondern unter dem Namen ‚der lange Zki‘ als der bedeutendste
Schlepper
von München.