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Literatur


04.2


Walter Serner

Zum blauen Affen
dreiunddreißig hahnebüchene Geschichen


Ein bedeutender Schlepper


Dungyerszki, der ein sehr bewegliches Gehirn besass, bemerkte eines Abends, als er wieder definierte, das ein Zuhälter einem Reichsgrafen durchaus vorzuziehen sei, da jener als Mitgiftjäger in Raten vor dem in Ehren, nämlich dem Reichsgrafen, nicht nur voraus habe, dass Madam auch etwas davon habe, sondern überdies das Risiko, nämlich den Mut.

Dungyerszki, liebte es seit mehreren Wochen, zu definieren, weil es ihn sehr unternehmungslustig machte und sich selber interessanter.

An diesem Abend beschloss er denn endlich, nicht mehr zu hungern, vielmehr mit sich hervorzutreten und seine interessante Person zu fruktifizieren.


Er begab sich dieserhalb in die Kauffinger Strasse und trat neben eine sehr farbig gekleidete und mit zweifelhaften Bijous fast verhängte junge Dame mit der höflichen Frage: „Was verstehen Sie unter ‚Laster‘, meine Gnändige?“

„Wie, mein Herr?“
„Ich möchte mir die Frage gestatten, was Sie unter ‚Laster‘ verstehen.“
„Gengerns weg. Frozzelns an andere als mi.“
„Weit gefehlt, meine Gnädige. Und damit Sie davon überzeugt sein können, hier meine Antwort: Laster ist eine Beschäftigung, welche es der Tugend ermöglicht, vorhanden zu sein.“
„Sö san einer. Gehns, sagns dös no amal.“
„Gerne.“ Dungyerszki repetierte langsamer und tonvoller.
„Jessas, san Sö einer. Aber wo er recht hat, hat er recht.“ Die junge Dame lächelte animiert.
„Nun wird es Ihnen aber sicherlich nicht schwer fallen, meine Gnädige, mir zu sagen, was Sie unter ‚Tugend‘ verstehen.“
„Na, sagns es nur glei, dass Sies los wern.“
„Sie sind Psychologin. Nun denn . . .“
„Was bin i? Sö, gebns acht, was sagn.“
„Konträr, es war ein Lob. Nun denn: Tugend ist die Abwesenheit jeder Möglichkeit, sich dem Laster zu widmen.“
„Härns, Sö gfalln mer. Was hams denn für an Beruf?“
„Den, keinen zu haben. Denn ein Beruf ist der gelungene Nachweis des Mangels jeder besseren schlechten Eigenschaft.“

Die junge Dame lachte lieblich auf, sah schnell auf ihre Armanduhr und holte sich hierauf, kurz entschlossen, Dungyerszkis Unterarm: „Kommens, ‘s is erscht sechse. Trinkens a Halbe mit mir.“

Dungyerszki tat es, liess sich ‚Zki‘ nennen, versprach erfreut, am nächsten Vormittag in der Kudlacher Strasse 16 vorzusprechen und etwas für seine Garderobe zu tun. Hierauf wünschte er zwecks Veranstaltung einer Mahlzeit zwei Mark, erhielt sie mit einer geradezu grossartig generösen Geste und verliess Fräulein Milli gehobenen Gemütes.

Dieser immerhin nennenswerte Erfolg seines ersten Hervortretens veranlasste Dungyerszki, nachdem er opulent diniert, ein Café frequentiert und mehrere Waz-Zigaretten konsumiert hatte, gegen elf Uhr nachts zu einer Wiederholung.

Ein seriös gekleideter Herr mit einem Hautsack unterm Kinn, geröteten dicken Augenlidern, einer behaarten Warze auf der linken Wange und einem fettstrotzenden Körper dünkte ihm die dazu geeignetste Person.

Dungyerszki näherte sich unauffällig und sagte plötzlich vor der Theatinerkirche, der trotz dem geschlossenen Portal Weihrauchduft entströmte: „Mein Herr, könnten Sie mir sagen, was der ‚Himmel‘ ist?“

Dungyerszki erblickte ein Gesicht, das verblüffende Ähnlichkeiten mit dem eines kranken Stationsvorstehers aufwies.

„Der Strassenlärm hat Sie wohl verhindert, mein Herr, mich zu verstehen,“ fuhr Dungyerszki unbeirrt fort. „Ich bat Sie, mir zu sagen, was der ‚Himmel‘ ist.“

Der Herr, ein gebürtiges Münchner Kind, begriff jetzt, dass es sich um einen Gschpassigen handle, und begann entsetzlich zu grinsen: „Der Himmel? Dös kann i Ihner scho sagn. Der Himmel, dös is die Odeonsbar.“
„Das mag wohl sein. Ich frage jedoch direkt.“
„Also direkt hams gfragt.“
„Vielleicht sind Sie meiner Auffassung: für mich ist der Himmel eine Einrichtung, die verhindern soll, dass der Mensch aus ihm fällt.“

„No ja . . . „ Der beleibte Herr fühlte sich in seiner Bequemlichkeit gestört. „Da, kaufens Ihner a Halbe.“
„Ich danke. Möchte jedoch hinzufügen, dass ich Definist bin.“
„Was hams gsagt?“
„Dass ich Definist bin.“
„Was is an dös?“
„Definist ist, wer sämtliche Hauptworte so lange mit seinem Gehirn kitzelt, bis sie vor Lachen in einen Satz machen.“

Der beleibte Herr lachte sozusagen: von ungefähr kam es ihm lustig vor und sogar irgendwie verständlich.

„Dö Hauptwort kitzeln? Machens dös do amal.“
„Aber gerne. Bitte nennen Sie mir ein Hauptwort.“
„Alsdann a Hauptwort . . . Alsdann sagn mer ‚Liebe‘ hoho.“

Dungyerszki besann sich keinen Augenblick: „Liebe ist ein Schwindel, dessen süsse Empfindungen manchmal entschuldigen, dass man auf ihn hineingefallen ist.“
„Dös hams gut gsagt.“ Der beleibte Herr lachte glucksend. „Alsdann gehen mers weiter . . . eine ‚Kakotten‘ hohoho.“

Dungyerszki lächelste darüber, welch elementare Vokabeln ihm serviert wurden: „Kokotte ist ein weibliches Wesen, das sich von einer anständigen Frau dadurch unterscheidet, dass es nur von Fall zu Fall ausgehalten wird, und der gemeinsamen Vorliebe für maskuline Abwechslung und auffallende Kleidung ungehindert fröhnen kann.“

„Wahr ist. Wahr is. Sagns, wo hams denn dös alles her.“

Dungyerszki lächelte mitleidig: „Wollen Sie bitte ungeniert weiterfragen, mein Herr.“

„Ham Sös aber happig. No ja, sagn mer no ‚Theresienwiesen‘.“
„Eine zu windige Gelegenheit.“
„Hohohoho!“ Der beleibte Herr schwang seine ringbesetzten Wurstfinger Dungyerszki auf die Schulter: „Jetzt aber no ‚Nachtlöben‘.“
„Der meist misslungene Versuch, wenn’s finster wird, aus einer Bar ein Vergnügungslokal zu machen.“
„Na, härns, auf die Baren da lass i nix kommen. Und gwies nöt auf die Odeonbar.“
„Ich mache mich anheischig, Ihnen zu beweisen, dass Sie sich in Wirklichkeit bisher in der Odeonsbar fadisiert haben.“
„I und mi fadisiert?“ Der beleibte Herr blieb empört stehen. „I mi? Wie wollns mer denn nacher dös beweisen, ho?“
„Ich schlage den Tatsachenbeweis vor: Sie gehen mit mir in die Odeonsbar.“
„No und nacher . . . „
„Und das, was Sie da an meiner Seite erleben werden, wird alles Dagewesene derart in den Schatten stellen, dass Sie, wenn Sie diesen Abend mit den früheren vergleichen werden, sich eingestehen müssen, sich zum ersten Mal nicht fadisiert zu haben.“

„Dös wolln mer segn, Sie Aufschneider.“
„Sie stimmen also zu?“
„Kommens, Sie Döfinist Sie.“ -

Sie sassen noch nicht, als eine Dungyerszki bekannte Stimme aus einer Ecke der Bar schrie: „Jessas, der Zki!“

Die bereits angetrunkene Milli stellte alsbald drei Damen und zwei Herren Dungyerszki als den frechsten und gescheitesten Fremdling von München vor und fiel hierauf, gleichzeitig mit den drei restlichen Damen, dem beleibten Herrn freudeschluchzend um den Hals.

Als dieser morgens gegen vier Uhr in eine Droschke gerollt wurde, lallte er Dungyerszki weinend zu: „Zki, du bischt das fidelste Luder, was mir in München derzeit ham.“

Milli, die am Arme von Dungyerszkis um ihre Lotrechte sich bemühte, bekräftigte diese Auffassung durch einen leidenschaftlichen Schlag auf seinen Bauch. Und als Dungyerszki eine zweite Droschke heranwinkte, stammelte sie begeistert: „Jetzt sag mir bloss, Zki, wo du im Handumdrehn den Oberhuber auftriebn hast. Dös is ja der reichste Fleischer ausm Sendlingerviertl.“

Dungyerszki zuckte wegwerfend die Achseln. Dann sagte er unnachahmlich: „Kudlacher Strasse 16.“

„Ja, der Kopp!“ zeufzte Milli träumerisch . . .

Am nächsten Nachmittag kaufte sich Dungyerszki bei Tietz einen hellgrauen Anzug, dessen Hosen an den Seiten dunkle Lampas aufwiesen, einen braunen, kühn gewölbten Kiki  und einen schwarzen Spazierstock mit Elfenbeinknopf.

Dergestalt verbessert erschien er um fünf Uhr an der Seite Millis in der zu dieser Stunde nur von Animierpersonal besetzten Odeonsbar, deren Direktor auf Millis und sämtlicher Anwesenden dringendste Empfehlung hin ihn mit einem Anfangsfixum von hundert Mark monatlich und zehn Prozent vom erzielten Weinkonsum als Schlepper engagierte. In dieser Eigenschaft war er von Milli, die in ihm bereits den hervorragendsten Geist des Kontinents sah und ihren endgültigen Typ, privatest längst auf halbpart verpflichtet worden.

Nach einigen Wochen versorgte Dungyerszki auch andere Damen gegen ein monatliches Fixum privatest und galt bald nicht nur als die grösste Definitions-Attraktion des beliebten Lokals, sondern unter dem Namen ‚der lange Zki‘ als der bedeutendste Schlepper von München.





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