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04.2
Walter Serner
Zum
blauen Affen
dreiunddreißig hahnebüchene Geschichen
Quellenangabe
DER BUSENFREUND
Hiil
stammte aus Helsingfors, schrieb höchst
unorthographisch
und
sprach entzückend miserabel französisch. Der
Engländer Chester, dem dieses von dem deutschen
Dichter Moriz Adler, seinem Busenfreund, berichtet ward, liess Hiil
jedoch
nicht deshalb allein sich präsentieren. Moriz
Adler war nämlich, so phantastisch es auch
klingen mag, ein derart dummer Jude, dass dem Gerücht, er wäre
lediglich ein
uneheliches Erzeugnis des seligen Richard Dehmel, weithin Glauben
geschenkt
wurde. Sei dem nun, wie ihm wolle, Chester fand es im höchsten Grade
verwertbar, dass dieser Moriz Adler, der über einen guten Wuchs
verfügte,
einnehmende Züge und ein konstant verheissungsvolles Lächeln, sein
Dasein von
einem einzigen, ausserordentlich primitiven, immerhin aber in Ansehung
seiner
enormen Dummheit ganz erstaunlichen Truc bestritt: er behandelte
nämlich die
Damen, auf die er flog, wegwerfend, und diejenigen, auf die er nicht
flog,
desgleichen. Jenes
hatte zur Folge, dass er lukrativst reüssierte, dieses, dass
sein Renommée kontinuierlich stieg.
Chester
war deshalb sofort davon überzeugt, dass Hiil
unter allen Umständen eine ganz exorbitante Meinung von Moriz Adler mit
sich
herumschleppte, und drang auf eilige Präsentation.
Diese
erfolgte in dem in Montreux befindlichen Salon
der rituell schwankend beurteilten Russin Isabell Didenko, dem
augenblicklichen
Stall Moriz Adlers, und zwar an einem Abend, an dem weder Herr Casella
noch
Herr Bolo-Pascha erwartet wurden, die auch späterhin nicht mehr
erschienen,
teils weil vorsichtiger geworden, teils weil bereits verhaftet.
Chester
ging mit der seiner Rasse eigenen, sehr
bemerkenswerten Schlauheit ans Werk.
"Wie
der gute Junge sich quält, gequält zu
erscheinen," äusserte er kühl, kaum dass er ein paar Worte mit Hiil
gewechselt
hatte.
"Sie
spröchen von der Moriz Adler?" Hiil kräuselte
süss die Oberlippe. "Sie wohl neidisch?"
"Ich?«
Chester erstaunte erfreut. "Moriz Adler ist
doch hoffnungslos erblüht – für Madame Didenko."
Hiil
lachte höhnisch in ihren wirklich lieblichen
Busen hinein. "Aber söhen Sie dach nör, wie nachlässig er zu ühr
spricht!"
"Ebendeswegen,"
zielte Chester, agnoszierte
augenblicks die erwünschte heftige Neugierde Hiils und zögerte nicht,
die mit
sehr schlecht
versteckter Ungeduld hervorrieselnden
Fragen langsam, zielbewusst und überaus beiläufig zu beantworten.
Hiil,
die deshalb nach Erschöpfung dieses Themas nicht
das geringste Interesse mehr für Chester aufzubringen vermochte, sass
alsbald
in der nächsten Nähe Madame Didenkos, der sie, entschlossen, um jeden
Preis zu
siegen, ziemlich unvermittelt mitteilte, Moriz Adler sei eigentlich gar
kein
Schweizer, sondern ein Boche und ausserdem ein richtiger Spion; das sei
auch
die Meinung Chesters, fügte sie um einige Nuancen leiser hinzu.
Dieser,
der seinem Busenfreund Moriz Adler soeben
absichtsvoller Weise zugeflüstert hatte, dass Hiil ihn verabscheue,
hielt der
bald darauf von Madame Didenko an ihn gerichteten Frage, ob es wahr
sei, dass
Moriz Adler . . ., sekundenlang regungslos stand, reflektierte ruhig,
aber
ergebnisvoll und kalkulierte nach einem kurzen Blick auf die wegen
ihres
Schachzugs doch ein wenig nervöse Hiil, dass es das Beste wäre, fast
unmerklich
mit dem Kopf zu nicken.
Noch
am selben Abend warf Madame Didenko den deutschen
Dichter Moriz Adler deutlich aus ihrem Salon.
Hiil,
deshalb scheinbar sehr dekonzertriert,
verabschiedete sich raschest, holte Moriz Adler vor dem Hause ein und
schlief
noch in derselben Nacht mit ihm.
Chester
aber näherte sich Madame Didenko und um ein
Gewaltiges seinem Ziel, das nicht so sehr darin bestand, zu Beträgen zu
gelangen, als vielmehr, bereits anderwärts erhaltene zu rechtfertigen.
"Warum
nur Casella sich nicht mehr blicken lässt,«
sondierte er nach Verlauf zweier Tage.
"Ach,
er wird einen Flirt haben. Und dann diese dumme
Geschichte mit Bolo . . ." fügte Madame Didenko nachdenklich hinzu.
"Bolo?
Ich glaube nicht an seine Verhaftung," log
Chester.
"O
doch . . ." sagte Madame Didenko bestimmt, aber
leise.
"Dann
muss Ihnen
diese neuerliche Geschichte . . . mit Moriz . . ."
"Schweigen
Sie, ich bitte Sie!"
"Und
da soll man noch sagen, dass die Deutschen sich
nicht zu verstellen wissen."
"Ach,
ich habe grosse Lust, nach St. Moritz zu gehen.
Für einige Zeit . . .« Madame Didenko erhob sich nervös.
Dieses
Gespräch genügte Chester, um die bald nach
hergestellter Intimität während eines Spaziergangs gemachte Entdeckung,
dass Madame
Didenko unter dem Namen C. Cuslin postlagernd Briefe
behob, dergestalt zu benützen: er füllte einen Nachsendungsantrag auf
diesen
Namen aus, kuvertierte ihn, warf ihn in einen Briefkasten und fuhr zwei
Tage
später nach Genf, wo er auf dem Postamt in der Rue du Stand die Briefe
an C.
Cuslin unbeanstandet behob.
Die
Folge davon war, dass Madame Didenko gelegentlich
einer Autofahrt den See entlang wie zufällig auf französisches Gebiet
geriet
und nicht mehr gesehen ward.
Tagsdarauf
erschien Chester im Hotel Moriz Adlers und
traf, woran er nicht gezweifelt hatte, Hiil daselbst an.
"Ist
wahr, dass Madame Didenko . . .?" fragte Hiil
augenblicks.
"Ich
glaube eher an eine Entführung," meinte sachte
Chester.
"Entführung?«
wunderte sich Moriz Adler masslos. »Aber
wer sollte denn . . ."
"Man
munkelt – Casella," jonglierte Chester.
"Casella?
Niemals! Das ist dach einer Spion!" Hiil
wandte sich empört ab.
"Ausgeschlossen,"
versicherte Moriz Adler mit
Kennermiene.
"Vielleicht
also – Bolo." Chester langweilte sich
schon.
"Aber
dör ist dach schon verhäftet." Hiil lachte
lieblich.
Chester
zuckte leicht die Achseln und entfernte sich
nach einer Viertelstunde, nicht ohne die beiden zu bitten, morgen den
Tee bei
ihm zu nehmen.
Am
nächsten Mittag erhielt Moriz Adler folgenden Brief
aus Villars, von der Hand Madame Didenkos:
Geliebter,
alles
nur arrangiert, um Dich nicht zu verlieren. Die
Szene bei mir wurde plötzlich nötig, da Renald sich als Freund meines
Mannes
entpuppte, was ich durch einen glücklichen Zufall erfuhr. Komm sofort!
Ich
wohne inkognito bei dem Förster Sesselli, drei Kilometer hinter dem
Hotel Cumberland.
Tausend Küsse von
Deiner
Isa.
Da
dem Brief eine Hundertfrancs-Note beilag, war Moriz
Adler sehr entzückt, um so mehr, als Hiil in jeder Hinsicht an der von
ihm erwarteten
Pflege es fehlen liess, und schrieb ungesäumt folgenden Brief:
Liebe
Hiil,
eine
dringende Depesche ruft mich für einige Tage nach
Bern. Entschuldige bitte mein unhöfliches Verschwinden. Ich bring Dir
was
Schönes mit. Bleib mir treu, hörst Du?
Dein
Moriz.
Hierauf
bestieg er den
Schnellzug nach Villars.
Inzwischen
nahm Hiil, die Moriz Adler nun wirklich für
einen deutschen Spion hielt und sich selbst für eine mit seltener
Intuition
versehene Dame, bei Chester den Tee.
"Sie
sind eine sehr schöne Frau," sagte Chester nach
einer Pause.
"Das
weiß ich," lächelte Hiil vergnügt.
"Damit
aber imponieren Sie mir nicht."
"Sie
imitieren wohl dieses Moriz, dieses Idiot?"
"Ach
nein," sagte Chester. »Was ich an Ihnen schätze,
ist der Umstand, dass Sie unorthographisch und überhaupt mühevoll
Briefe
schreiben, keine einzige Sprache wirklich beherrschen, aus Helsingfors
sind,
einer in jeder Beziehung unwichtigen Gegend, und nicht den Ehrgeiz
haben, mehr
sein zu wollen als eine schöne Frau.«
"Grossartig!"
lachte Hill. "Aber woher wissen alles
Sie denn das?"
"Ich
interessiere mich doch schon seit langem für Sie.
Wollen Sie meine Freundin werden? Ich gebe Ihnen tausend Francs
monatlich."
"Abör
Sie sind auch keine Spion?"
"Nicht
dass ich wüsste!" Chester lachte aus vollem
Halse, wurde aber doch plötzlich ein paar Sekunden lang bleich.
Hiil
fuhr, da es Chester nicht mehr recht in der
Schweiz gefiel, mit diesem anderntags nach Paris und später nach
London.
Moriz
Adler aber, sein Busenfreund, suchte zwei Tage
lang vergeblich das Haus des Försters Sesselli. Nach stundenlangen
verzweifelten Überlegungen betrachtete er träumerisch den Brief Madame
Didenkos, betrachtete ihn abermals und schliesslich ganz
ausserordentlich
intensiv, wobei er endlich bemerken musste, dass die Handschrift sehr
geschickt
nachgeahmt war.
Wütend
und ausserstande, zu begreifen, fuhr er nach
Montreux zurück und sofort in das Hotel Chesters.
Aber
noch nach drei Tagen begriff er absolut nichts.
Ein selten dummer Jude.
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