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Literatur


04.3


Walter Serner

Zum blauen Affen
dreiunddreißig hahnebüchene Geschichen


Quellenangabe

SEILAKT


„Ich halte Sie für einen klugen Kerl,“ begann Stornelli.
Thévenaz verneigte sich leichthin,. den Mund verächtlich verziehend: „Was wollen sie von mir?“
„Wertvoller Freund!“ Stornelli machte eine übertrieben würdige Handbewegung.
„Freund?“
„Bon. Vorerst das Theoretisch-Unvermeidliche. Darf ich Sie bitten, mir zu sagen, wie Sie über . . .“ Stornelli schnalzte geringschätzig mit der Zunge„ . . . über Freundschaft denken?“
„Freundschaft? Schlechte Kameradschaft! Kameradschaft? Das Übereinkommen, halbpart zu machen, das aber anderen Verträgen gegenüber den besonderen Nachteil hat, nicht eingeklagt werden zu können.“

„Ganz meine Auffassung. Aber man muss wagen. Alles ist ja doch gewagt.“

Thévenaz schwieg.
„Sie sind nicht einmal neugierig?“ fragte endlich verbissen Stornelli.
„Nicht mehr, seit ich Margot bei Gérard gesehen habe.“

Die beiden Augenpaare begegneten einander kurz und scharf.

Stornellis Gesicht zog sich gegen die Mitte zusammen:
 

„So.“ Er rauchte in kleinen Zügen, mit scheinbar ausschlisslichem Interesse für diese Beschäftigung. „Ich wusste allerdings nicht, dass Sie Margot kennen.“

Atemlose Pause.

„Margot ist also hier.“ Thévenaz blies den Rauch triumphierend und sehr geräuschvoll durch die aufeinander gepressten Lippen. „Was macht sie eigentlich jetzt?“

„Seilakt!“ Stornellis Kinn zuckte.
„Jawohl . . . – Anseilakt!“

„Sie sind ein toller Kerl, wahrhaftig.“ Stornelli machte eine robuste Handbewegung.
Thévenaz verneigte sich abermals.

„Also hören Sie! Es handelt sich um keine Kleinigkeit.“ Stornelli dämpfte die Stimme. „In meinem Hotel ist ein Amsterdamer Juwelenhändler abgestiegen, der übermorgen nach Madrid weiterfährt. Ich war längst über diesen Fink orientiert. Hatte aber Pech. Am Tage nach seiner Ankunft sprach ich ihn im Schreibzimmer an, ohne zu bemerken, dass es mein sehnsüchtig erwarteter Kunde ist, obwohl ich sein genaues Signalement besass. Unverzeihlich! Aber nicht mehr zu reparieren. Wenn er mich nun im Zuge wiederfindet, im selben Coupé, wird er sofort misstrauisch und wechselt den Waggon. Ich kenne das. Deshalb habe ich an Sie gedacht. . .“

Tévenaz’ Kopf blieb gesenkt: „Weshalb haben Sie gerade an mich gedacht?“
„Sie sind unverblüffbar und stets auf dem Sprung zu bluffen.“

„A l l e s  i s t  B l u f f.“
 
“Gewiss” Deshalb nannte ich Sie ja einen tollen Kerl. Nur so ist glattes Arbeiten möglich . . . C’est entendu?“

Langsam hob Thévenaz den Kopf.
 

Stornelli sass noch in derselben Stellung: er musste ihn unausgesetzt betrachtet haben, so – lang gleichsam war sein Blick.
 

„Wollen Sie mit mir dinieren?“ Stornelli eilte, da Thévenaz zögerte, voraus, um ihn zu zwingen, ihm zu folgen, und wartete an der nächsten Strassenecke.
Als Thévenaz neben ihn trat, ging er wortlos weiter.

Nach dem Diner, das eine des Kellners wegen dünne Konversation begleitet hatte, trat Stornelli im Vestibül neben eine sehr elegant gekleidete Dame und kam nach kurzem Gespräch mit ihr auf Thévenas zu: „Monsieur Fernand Thévenaz – Madam Rapha.“
Nachdem man sass, lächelte Madame Rapha: „Ich glaube, Sie bereits einmal gesehen zu haben. Im Café de l’Opera, wenn ich nicht irre.“
Thévenaz erinnerte sich nicht.

Madame Rapha begann, sich zu pudern und zu röten, ohne aufzuhören, zu lächeln.
Stornelli bestellte Dewars White Label und übernahm, plötzlich sehr jovial und vornehm witzig geworden, die ganze Unterhaltung.

Nach einer Viertelstunde erhob sich Madame Rapha sehr unvermittelt, verabschiedete sich gleichwohl aber überaus herzlich.

Kurz darauf stand Stornelli auf: „Kommen Sie doch noch in mein Zimmer. Ich möchte einiges ungestört mit Ihnen besprechen.“

Auf der Treppe fragte Thévenaz: „Wer ist diese Frau?“
„Margot,“ sagte Stornelli ruhig, ohne sich umzuwenden.
Thévenaz biss die Zähne aufeinander und lächelte.

In seinem Zimmer trat Stornelli vor den Schrankspiegel und bürstete seine Haare. Dabei sagte er langsam: „Sie brauchen Geld.“
„Ja“. Thévenaz lauerte angespannt.
„Bon. Darf ich Sie bitten, mich im Nebenzimmer zu erwarten?“ Stornelli bürstete immer noch seine Haare.
„Es würde mich interessieren, zu erfahren, wieso Ihnen meine Geldverlegenheit . . .“
„Sie hätten andernfalls heute abend meinen Amsterdamer Vorschlag nicht n i c h t abgelehnt.“
Thévenaz grinste, summte die ersten Takte einer Arie aus Butterfly und ging ins Nebenzimmer.

Kaum hatte er die Tür geschlossen, als hinter ihm abgesperrt wurde.

Thévenaz zuckte die Achseln, auf das Allerletzte an Unerwartetem gefasst, und sah sich kalt und sicher um: er befand sich in einem Schlafzimmer, das nur um weniges eleganter war als das Stornellis.

Thévenaz machte ein paar Schritte, blieb aber sofort wieder stehen, da er schräg hinter sich ein Geräusch gehört zu haben glaubte.
 

Doch noch bevor er sich hätte umsehen können, umhalsten ihn von hinten her zwei weisse Arme: Madame Rapha.

Thévenaz begriff und spielte, da ihm die Neuartigkeit dieser Situation mehr gefiel als seine Partnerin, mit leidenschaftlicher Verstellung den Routinier.
Madame tat sehr erstaunt und – überwältigt . . .
Gegen Morgen fragte Thévenaz: „Ist Margot Ihr wirklicher Name?“
Sie blieb auf dem Rücken liegen, spielte mit den Fingern im Haar und zirpte kokett: „Comme si comme ça.“
In unbestimmtem Zorn fragte er: „Erhalte ich mein Honorar von Ihnen oder von Monsieur Stornelli?“
„Wie?“
„Nun, das Honorar für diese Nacht.“
Sekundenlang glotzte sie ihn an. Dann sprang sie im Nu aus dem Bett, streckte die Hände mit unsäglich gespreizten Fingern wie zur Abwehr gegen ihn und schrie ganz absonderlich: „Allez, allez de suite!“

Thévenaz fand Stornellis Zimmer leer, riss Mantel und Hut an sich und verliess hastig das Hotel.
Nachmittags, mitten in einem Taumel von Reflexionen, erhielt er einen chargierten Expressbrief aus Marseille, mit der Schreibmaschine geschrieben:
 
Monsieur,

ich habe mir gestattet, Ihnen gewissermaßen aus dem Handgelenk zu zeigen, wie ich arbeite. Habe ich Sie für mich gewonnen? Sie haben in diesem Brief eine 500 Franc-Note gefunden. Ich bin, als ich Sie aufforderte, ins Nebenzimmer zu gehen, bereits Ihr Kamerad gewesen. Ihr Kumpan, wenn Sie wollen. Wer Madame Rapha tatsächlich ist, weiss ich nicht; jedenfalls steht so viel fest: eine vornehme Gans, der ich erzählte, Sie wären furchtbar von ihr entzückt, sehr ideal veranlagt, daher schüchtern (wenn auch feurig) und aus guter Familie. Madame, der ich solches mit denselben Folgen bereits einige Male (verschiedentlich variiert) besorgt hatte, war nun ihrerseits so entzückt, dass einer Anleihe von Frs. 1500,-- in keiner Hinsicht mehr Schwierigkeiten entgegenstanden. Das Weitere ist Ihnen bekannt. Ich habe hier eine dicke Angelegenheit in den Fingern. Wollen Sie kommen? Ich wohne im Hotel de France.
Herzlich grüssend
Jean Gautier.
 
p.s.
1.       Margot Seilakt in Marseille und erwartet Sie ungestüm.
2.      Verbrennen Sie diesen Brief.
3.      Ich bin Voyeur. Leider musste ich zu früh zu Bett, um ausgeschlafen zu haben.
4.      Sollten Sie keine Narrheiten gemacht haben, so exploitieren Sie Madame rasch noch
          ein wenig   sehr.

5.      Der Amsterdamer war selbstverständlich eine Finte.
6.      Madam Rapha heisst mit Vorname Mela. Margot riet ich ihr sich Ihretwegen zu
          heissen.  (Sind Sie mir böse?)
 


Mit dem Marseiller Abendschnellzug verliess Thévenaz Aix-les-Bains.

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