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Literatur


04.2


Walter Serner

Zum blauen Affen
dreiunddreißig hahnebüchene Geschichen


Quellenangabe

PHILIPP WILL SICH RÄCHEN

Philipp blieb auf dem Bayerischen Platz bei der Haltestelle der Trams stehen, pfiff sehr vergnügt ein paar helle Töne, tänzelte leicht hin und her und beobachtete bei alldem mit heimlichem Genuss sich selbst. Bis er auflachte, „Teufel nochmals!“ flüsterte und den Kopf napoleonesk zurückwarf.
 
Da ein überaus junges Mädchen, mit einer Mappe unterm nackten Unterarm, dieses sah, grüsste Philipp höflich.
 
Die Kleine dankte dunkel errötend und betrachtete heftig ihre Pompes.
 
Wegen eines älteren Herrn, der Philipp deshalb finster musterte, bestieg er eine soeben haltende Tram und winkte, als der Wagen zu fahren begann, der Kleinen zu, die sich brüsk abwandte, nicht ohne durch ihre erregte Schulterhaltung sich zu dementieren.
 
Zwei Bäuche auf der Plattform lächelten darüber breit und bewegt.
Philipp wandte sich höhnisch ab, den Daumen am Zahn.
 
Als aber der Schaffner ihm stirnrunzelnd auf die Nase sah, kam er sich gleichwohl
wie ertappt vor, lächelte masslos übertrieben und näselte: „Ach so . . . einen
Augenblick . . .  ja, geradeaus.“
 
Dann bezahlte er, ärgerlich über sich selbst, mit einem Fünfmarkstück, obwohl er Kleingeld besass. Während er den Rest auf die Hand gezählt erhielt, packte es ihn jäh, dem Schaffner die Hand voll Geld in die Höhe zu hirzen. Aber er brachte es nicht über sich. Verdrossen darüber neigte er sich aus dem Wagen, wechselte zum Ärger der Fahrgäste mehrmals seinen Platz und konzentrierte schliesslich seine ohnehin nicht beliebte Aufmerksamkeit auf ein Ladenschild, immer weniger interessiert wahrnehmend, wie die Buchstaben zusehends kleiner wurden und schiefer: Hochstetter und Lang . . . Hochstetter und Lang . . .
 
Der Wagen hielt. Eine preziös-arrangierte elegante Dame stellte sich Philipp an das Kinn. Ohne dass er es sofort gewahrte, so sehr erregte ihn diese Berührung, versuchte er, unausgesetzt schnaubend, festzustellen, wonach sie eigentlich röche. Schliesslich der Dame und dadurch auch sich selbst aufgefallen, entschloss er sich, sie danach zu fragen.
 
In diesem Augenblick hielt der Wagen wieder. Die Dame stieg aus. Die Plattform leerte sich.
 
Philipp knickte ein: alle Spannung hatte ihn miteins verlassen. Der Wagen kränkte ihn. Er taumelte und einmal in Bewegung, betrat er das Wageninnere und plumpste ein wenig schmerzhaft auf die Bank. Matt nahm er den säuerlichen Geruch der Fahrgäste wahr und das Zart-Idiotische ihrer Gesichter.
 
Endlich reizte ihn alles: das Rumpeln der Räder, das Hin- und Hertorkeln des Schaffners, das Rattern der Scheiben, das Raunen der Gespräche, die Berührungen seitlicher bejahrter Gliedmassen.
 
„Rrraus!“ drohte er sich halblaut.

Doch als der Wagen hielt, blieb er trotzig sitzen.

Seine Erregung wuchs dadurch noch mehr. Die Augen zuckten bereits irr umher, die Hände wechselten fortwährend ihren Platz. Und kurz vor der nächsten Haltestelle stürzte er so blindlings aus dem Wagen, dass mehrere Frauen ihm begeisternd kichernd nachglotzten, und sprang noch während des Fahrens wütend ab.
 
Ohne das eine Überlegung ihn bestimmt hätte, entschied er sich auf dem Wittenbergplatz, in seinem jetzt sicherlich noch unaufgeräumten Zimmer auf der Chaiselongue sich zu rekeln, nachlässig zu rauchen, Juliette zu klingeln und sie zu fragen . . . etwa, warum man zurzeit in Berlin nicht einen Massenmeeting zur Einführung staatlicher überwachter Bordelle abhalte . . . ergriff ihn so mächtig, dass er einen Augenblick sogar daran dachte, wirklich in sein Hotel zu fahren. Er trat aber schliesslich doch lieber an einer Gerold-Ecke auf ein Schinkenbrot zu, in das er alsbald erfreut hineinbiss. Dabei lächelte er, weiss der Teufel warum, spöttisch, stellte den linken Fuss kokett über den rechten und kratzte sich soigniert die juckende Stirn.

Wieder auf der Strasse, war es ihm jetzt, als sähen ihn alle verächtlich an, als verhöhnten ihn die Polizisten. Den Kopf feindlich eingezogen, ging er mit Düsteres verheissender Miene immer schneller und geriet bald in einen grotesken Eifer, aus dem ein Passant ihn riss, den er beinahe umgerannt hätte.

Da er sich nicht entschuldigte, beschimpfte ihn Philipp nicht unbegabt, wovon jedoch durchaus keine Notiz genommen wurde.

Philipp, dieses sichtlich sehr bedauernd, glotzte unentwegt auf das Pflaster dieses Vorfalls. Nach einer Weile aber beobachtete er, wie unter dem schwankenden Rocksaum einer Vorübergehenden kleine, rötlich bestrümpfte Knie vorstiessen und wieder verschwand.

Als er aufsah, erkannte er an der Mappe unterm nackten Unterarm jene Kleine wieder, deren erregte Schulterhaltung seine Sinne immer noch enthielten.

„Teufel nochmals!“ betonte er, sich ermunternd, und schwenkte vornehm auf die Mappe zu.
 
Daselbst befiel Philipp eine geradezu rabiat zu nennendeMenschen- und Lebensverachtung und er sagte mit hinreissendem Ausdruck: „Mein Fräulein, Sie sind zwar minderjährig. Gleichviel. Wir werden uns rächen.“

Ein nasser Blick, aus Wolken gefallen, vermochte Philipp nicht zu bestürzen.

„Rächen wir uns!“ knurrte er unheimlich. „Rächen wir uns!“

Die Kleine schrie angstverquollen auf und setzte sich in rasenden Galopp.

Philipp tat ungesäumt desgleichen.

Einige Zeit.

Dann verminderte sich sein Eifer rapide.

Endlich blieb er, leicht pustend, stehen und seufzte:

„Teufel nochmal!“ Aber doch mit heimlichem Genuss an sich selbst.




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