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04.2
Walter Serner
Zum
blauen Affen
dreiunddreißig hahnebüchene Geschichen
Quellenangabe
DIE
GESCHICHTE VOM HEISSEN BLÜTENSAMT
„...
Drei Tage nachher schenkte mir ein spleeniger Unbekannter
eine Fahrkarte dritter nach Brüssel. Das hat meine ganze Biographie von
Grund
aus verändert.“
„Gut,
gut. Aber ich habe einmal . . . vor Jahren . . .
na, lieber in erquicklicher Kürze
. . . Ich schleppte Anni, kompletten Unsinn schwatzend, in mein Zimmer
und es begab sich sehr stürmisch . . . Dann aber ereignete es sich,
dass sie
von dem heissen Blütensamt meiner Lippen stammelte . . . Nun, ich war
bewegt,
aber die Lust war mir vergangen.“
„Paul,
lüg nicht so!“Von Mittenmank nässte das eine
Ende einer Zigarette und schwang sich graziös auf die Kommode.
„Aber
Fritz! Du bist schon so blasiert, dass du mich
ernst nimmst.“ Und Hasedom hüstelte nachlässig.
Von
Mittenmank versuchte vergebens, so erstaunt zu
erscheinen, wie er tatsächlich war.
Da
klopfte es zag.
Die
beiden Augenpaare belauerten einander belustigt.
Und als wäre es vereinbart, antwortete keiner.
Nun
klopfte es so laut, dass Hasedom nicht mehr im
Zweifel war und, einen plötzlichen Einfall lächelnd verarbeitend, von
Mittenmank im Nu ins Nebenzimmer stupste.
Ein
liebliches Fräulein näherte sich langsam, eine
Zigarette unruhig in den Fingern, und sagte stockend: “Das gestern . .
. das
war wirklich eine Dummheit von mir.“
„Wovon
sprichst du?“ Hasedom, an die blumige Tapete
gelehnt, sah mit Vergnügen die Klinke der Nebenzimmertür sich bewegen
und blies
in sich zur Sammlung.
„Aber
du weisst es doch.“
Hasedoms
Schenkel zuckten kokett: „Ach so, du meinst
die Geschichte mit dem heissen Blütensamt.“
Das
liebliche Fräulein setzte sich erregt: „Wie? . . .
Nein, die mit Lili . . . O diese . . .“
„Wieso
war das eine Dummheit?“ Hasedom war so
neugierig auf die Wirkung seiner Ahnungslosigkeit, dass er ein wenig zu
anmassend
blickte.
„Was?
. . . Was?“ Ihr ganzes Ensemble fiel mit einem
Mal auseinander und vermutlich ein Konzept um: „Man kann mich nicht
beleidigen!
Merken Sie sich das! Zur Liebe gehören schon zwei,
das
stimmt. Aber es kommt doch nur auf mich an!“
„Wieso?“
fragte Hasedom leise und mit äusserster
Vorsicht in den Zügen.
„Pfui!“
Es klang wie ein Pfiff; dann sehr unbestimmt: „Ich
. . . und eifersüchtig!“
Hasedoms
Körper straffte sich, endgültig orientiert.
Dann begann er lächelnd und langsam: „Sie wollten wohl sagen, dass Sie
der
animierende Teil waren.“
„Nein,
das habe ich nicht gesagt, weil es nicht wahr
ist.“
„Wer
zog mich am Ärmel?“
„Jawohl
ich, aber nur, weil Sie mich nicht gegrüsst
hatten.“
„Wer
hat gestern vo . . . hm meinen Lippen gestammelt?“
Sie
schleuderte die Zigarette aufs Bett, wo Hasedom
sie kühn liegen liess, kretschte sich vor ihn hin und schrie: „Ich,
ich, ich . .
. Aber nur, weil ich gestern . . .“ Sie japste, ausser sich.
„Weshalb
aber kamen Sie denn jetzt auf die Geschichte
mit Lili zu sprechen, wenn es
. . .
nur . . . auf Sie ankam?“
Eine
kleine helle Stange sauste durch die Luft:
Hasedom hatte eine Ohrfeige bekommen.
Es
gelang ihm trotz mühsam verhaltenem Entzücken die
Zigarette, die sonderbarer Weise kein Loch gebrannt hatte, langsam vom
Bett zu
holen, noch langsamer wieder zu entzünden und erst nach Minuten
bewegungslosen
Dastehens wieder aufzublicken.
Das
liebliche Fräulein stand, die Finger ob dem Busen
knetend, leicht zitternd am Fenster.
„Ich
glaube annehmen zu dürfen, meine Liebe, dass Sie
nicht wissen, weshalb ich Ihnen keine Ohrfeige gab. „Jede Silbe
Hasedoms frohlockte. Mit innigem
Genuss sah er, wie ihre Finger still wurden, wie alles an ihr gespannt
wartete
und wie die Nebenzimmertür sich fast unmerklich bewegte.
Nach
einer geschickt mit peinigenden kleinen
Geräuschen versehenen Pause äusserte er sachlich: „Deshalb: weil ich
Sie sonst
überhaupt nicht mehr los geworden wäre.“
Das
liebliche Fräulein verharrte sekundenlang
regungslos. Dann trippelte sie überzierlich zur Tür, entklinkte sie mit
den
Worten: »Trottel, blöder!“ und machte eine lange Nase . . .
Schon
stand von Mittenmank vor Hasedom: „Schäme dich!
Du bist ja sentimental!“
„Bist
du besoffen?“ Hasedom war tatsächlich
perplexiert.
„Besoffen?
Du spielst doch noch den Tierbändiger, du
Stümper!“
„Du
hast schlecht gehorcht.“
Hasedom lächelte enorm.
„Ausserdem:
die Geschichte mit dem heissen Blütensamt
hat sich doch bekanntlich – vor Jahren bereits abgespielt, he . . . Mir
den
Gegenbeweis fabrizieren wollen! Mir!“
Hasedom
drehte sich belustigt hin und her. Dann
hüstelte er nachlässig: „Ich danke dir. Ohne dich wäre ich Fff . . .,
wäre ich
sie nicht so glatt los geworden.“
„Paul,
lüg doch nicht so!“ Plötzlich aber stutzte von
Mittenmank, grinste, rannte zur Tür, auf die Treppe und rief: „Anni!
Anni!“
Keine
Antwort. Stille, nur vom hellen Tritt kleiner
Holzabsätze unterbrochen.
„Heissen
Sie Anni?“ brüllte von Mittenmank. „Ich bitte
Sie inständig, antworten Sie!“
Absolute
Stille. Endlich ein gelles Stimmchen: „Nein,
Sie Esel, – Franzi!“
Von
Mittenmank ruderte größenwahnsinnig ins Zimmer zurück:
„Na, du alter Lump, hab ich dich?“
Hasedom
liess sich gemächlich in ein Fauteuil
rutschen.
„Du
hast schlecht gelogen und doppelt, mein Junge.“
Die Visage von Mittenmanks triumphierte fürchterlich.
Hasedoms
Lider flatterten sehr amüsiert: „Gelogen –
nein. Schlecht – ja. Doppelt – vielleicht.“
„Wa-a-a-a-s?“
„Schäm
dich, du nimmst mich ernst . . . Übrigens, wie
war das mit Brüssel? Aber bitte nicht lügen!“
Von
Mittenmank misslang es, nicht so erstaunt zu
erscheinen, wie er tatsächlich war.
Dann
gröhlten beide.
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