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04.3
Geschichten
Emil Verhaeren
Fünf Erzählungen
Im
Dorfe
In
nächtlicher Stille schlug um Mitternacht ein Blitz so entsetzlich ein,
daß man
hätte schwören
können, er bräche das Dorf entzwei. Jeder hielt sein Dach für
durchbrochen. An den
Fenstern erschienen Köpfe. Gust Laer, der Schreiner, und Thys Blokkar,
der
Sesselflechter, sahen als erste den Feuerschein am Gipfel des
Kirchturms.
Lange blieb das ihr Stolz.
Der
Glöckner drang barfuß, im Hemde, in die Kirche ein. Er kletterte, in
beiden Händen
zwei riesige Eimer, die Steintreppe hinauf. Als er am Flur des
Glockengestühls
angelangt war, konnte er im Dunkel die ansteigenden Leitern nicht
finden. Sein
ganzes Leben war er auf halbem Wege stehen geblieben. Der Totengräber
folgte
ihm. Er warf die Eimer um. Sie stritten im Dunkel. Plötzlich vereinte
sie die
Furcht vor der Feuersbrunst, die über ihnen lohte und die sie allein
nicht
sehen konnten, zur Flucht. Sie kollerten herab und verrammten dabei den
Heraufkommenden den Weg.
Auf
dem Friedhof sammelte sich das Volk an. Man zertrat die Hügel, stieß
Kreuze um.
Ganze Familien kamen längs der Straßen dahergelaufen: Frauen, ihre
Kinder in
die Arme gepreßt, Männer mit geschwungenen Mistgabeln und Schaufeln,
als
wollten sie das Tier, das sich da oben bewegte, töten.
Man
rollte leere Fässer zum Flusse, aber das Wasser war zu weit entfernt,
die Flut
niedrig. Die Fischer gebärdeten sich schier verzweifelt, indes der
Lehrer auf
der Schwelle der Sakristei in aller Ruhe das Wesen des Blitzes zu
erklären suchte.
Der
Kirchturm? Der stammte aus undenklichen Zeiten her. Niemand hatte ihn
bauen sehen.
Die östlichen Regen hatten ihn mit feinem Moos bedeckt, das grünem Reif
ähnelte. Seine vier Zifferblätter strahlten in ihrer Rundung,
unverwüstlich
schienen seine Grundsteine. Der Blitz, der ihn traf, beging gewiß
Gottesfrevel.
„Man
eile um Hilfe nach Tamise und Termonde", schrie der Bürgermeister. Und
der Totengräber
begann, als die Glocken noch lebendig waren, die Sturmglocke zu läuten.
Die
Klänge schwebten davon, die armen atemlosen Klänge, mit Hü und Ho, ewig
gleich in
ihren Tönen; jeder hatte sie seit seiner Kindheit her gehört, und
manchen
bedeuteten sie alle Musik, die sie kannten. Das Feuer aber strebte
teilnahmslos
abwärts. Der ganze Schieferpanzer splitterte ab und zerstreute sich in
die
Ferne, wie ein Schwarm roter Schnepfen. Mächtige Stücke der Pfeiler und
des
Gebälks gaben nach. Krähen entflohen mit lautem, wildem Schreien.
Eulen, blind
im Licht, fielen mit
versengten Flügeln in die Flammen zurück. Seit langem schon war der
goldene
Hahn des Gipfels geschmolzen.
Zwei
riesige Pferde, die unsanft geweckt worden waren, durchquerten, von
zwei festen
Burschen geritten, wiehernd die Menge. Es waren die Alarmboten, die
nach den
Städten ritten, wo Hilfe zu erhoffen war.
Vergebens
suchte man den Priester -, der Schullehrer dachte, er stünde dort neben
dem
Bürgermeister; der Glöckner glaubte, ihn mit dem Schullehrer sprechend
gesehen
zu haben, und der Bürgermeister, mit dem Glöckner. Welche Hilfe hätte
er
übrigens bringen können, da auch seine Vernunft vom Feuer ergriffen
schien?
Der
Schmied und der Zimmermann waren auf das Dach der Kirche gestiegen. Man
reichte
ihnen an Leitern das Wasser hinauf. Um nur ja nicht unnütz zu
erscheinen,
warfen sie es von weitem auf gut Glück gegen die Flammen, die zuweilen
erreicht
wurden.
Frauen,
nur halb bekleidet, Buben und Greise bildeten die Kette. Man füllte die
Eimer
in faulenden Zisternen, in schlammigen Teichen, ja selbst in der Jauche
der
Düngergruben. Und all dies ging von Hand zu Hand zum Turm hinauf.
Die
Glut höhlte sich trichterförmig. Die Zeiger des Zifferblattes waren
stehen geblieben.
Jemand schrie: Die Glocken werden fallen! Eine Minute wahnwitziger
Angst setzte
ein. Krachend mit Stoß und Prall, im Sprung sich aufbäumend, erfolgte
der erste
Sturz. Sie lag schon auf der Erde, da man meinte, sie hänge noch. Ein
riesiges
Loch gähnte und spie Staub aus. Einige näherten sich. Die zweite Glocke
sauste
eben herab und tötete sie.
Nun
gab es Weinen und Schreien. Alle wollten die beiden Glocken und die
Menschen sehen,
die nur noch ein einziger Leichenhaufen waren. Man mußte die Menge mit
Faustschlägen zurückdrängen: die Kirche selbst war ja bedroht.
Steile,
heftige Flammen rissen sich wie schrille Schreie vom Turm empor. Sie
stoben hin
wie Haare aus Glut, wie Fetzen von Blut. Zuweilen flammte es jenseits
des
Flusses auf, und entfernte Bäume ragten plötzlich rot empor. Es war ein
beständiges Schnauben, ein fliegendes, springendes Rasen zum Himmel
auf.
Man
mußte den Pfarrer suchen, daß er die Hostien und Reliquien rette. Man
lief ins Pfarrhaus.
Die Tür war verschlossen. Alles schien still darin; nur ein erhelltes
Fenster
bezeugte, daß man wach war.
„Der
Herr Pfarrer betet und will allein bleiben", antwortete die Magd.
Der
Bürgermeister und der Schullehrer trauten ihren Ohren nicht und sahen
einander achselzuckend
an. Einige murrten und wollten mit Gewalt eindringen. Sie wagten es
nicht. Der
Schmied und der Zimmermann hatten das Dach verlassen, überzeugt, daß
die
Scheidewand, die den Turm von der Kirche und ihrem Schiff trennte,
gleichfalls
in Brand geraten würde. Schon züngelte das Feuer mit seinen tausend
Flammenzungen an der Wand empor, und die Balken knisterten.
Plötzlich
aber erfolgte ein völliger Zusammenbruch. Aus dem ausgehöhlten Turm
stieg eine fette,
träge Rauchsäule auf, man sah die Mauern glühen, die Wände und ganze
Stücke
Mauerwerks, eines nach dem andern, in die Glut stürzen. Der Glockenturm
war
dahin. Gegen Osten stieg der Tag auf.
Erst
jetzt erblickte man das ganze Elend dieses Schauspiels. Das Dorf sah
aus, als
wenn es geplündert worden wäre: die Häuser standen da mit offenen Türen
und
Fenstern, verwüstet, in Unordnung, stumm in ihrer Verlassenheit; auf
dem
Friedhof war der Rasen zerstampft, die Gitter und Kreuze zerbrochen,
als wäre Leichenschändung
begangen worden; Holzeimer, Kübel und Fässer waren in Haufen
durcheinandergeworfen, und längs der Wege konnte man die Spuren der
Abfälle und
des Kots erblicken, mit denen man die Feuersbrunst zu löschen gehofft
hatte.
Endlich
sah man auf der
Landstraße die erwartete Hilfe auftauchen, das galoppierende Gespann,
die
Kupferpumpen, die Helme und die Hacken.
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