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Literatur


04.2


Biografie

Ernst Toller




Ernst Toller war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und Revolutionär jüdischer Herkunft. 




geboren:    
01. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen
gestorben:
22. Mai 1939 in New York City

 


Leben 

Ernst Toller wurde am 1. Dezember 1893 geboren als jüngster Sohn des Krämers Mendel Toller und dessen Ehefrau Charlotte, geborene Cohn. Ab seinem siebten Lebensjahr besuchte Toller eine „Privatschule für Knaben“ in seinem Heimatort.
Um 1905 erkrankte er schwer, so dass er für ungefähr ein Jahr seinen Schulbesuch unterbrechen musste. 1906 konnte Toller auf das Realgymnasium in Bromberg wechseln und lebte dort als Kostgänger bei verschiedenen Familien. In diese Zeit fallen auch seine ersten literarischen Versuche. Durch seine Beteiligung an der Theaterspielgruppe seiner Schule entstand der Berufswunsch Schauspieler zu werden.

Nach erfolgreichem Abschluss seiner Schulzeit und gefördert durch ein kleines Stipendium konnte Toller sich im Februar 1914 an der „Ausländeruniversität“ in Grenoble einschreiben. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs kehrte er sofort nach Deutschland zurück. Nachdem sein Vater bereits 1911 gestorben war, führte seine Mutter das Familiengeschäft weiter und konnte sogar expandieren. Zu Beginn des Kriegs wurde der Firma Toller die Versorgung der Stadt Bochum mit Kartoffeln übertragen; zum Vertragsabschluss reiste fast der gesamte Stadtrat Bochums nach Samotschin.

 
Erster Weltkrieg

Mit Wirkung vom 9. August 1914 trat Toller als Kriegsfreiwilliger dem 1. Kgl. Bay. Fuß-Artillerie-Regiment in München bei.
Anfang 1915 war Toller in Germersheim stationiert; später wurde er nach Straßburg versetzt. Er meldete sich freiwillig zum Fronteinsatz und kämpfte bei Verdun. Bald schon wurde er seiner Tapferkeit wegen ausgezeichnet und zum Unteroffizier befördert. In dieser Zeit entstanden seine ersten Gedichte gegen den Krieg.
Im Mai 1916 erlitt Toller einen völligen psychischen und physischen Zusammenbruch.

Nach ersten Behandlungen in Sanatorien in Straßburg und Ebenhausen wurde Toller in die „Genesenden-Einheit“ seines Regiments nach Mainz versetzt. Da sich sein Zustand nur sehr langsam besserte, wurde Toller im Januar 1917 nicht mehr als kriegsverwendungsfähig beurteilt, so dass ihm ein Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität München erlaubt wurde. Toller begann Jura und Philosophie zu studieren, wurde aber schon bald vom Literaturwissenschaftler Artur Kutscher in dessen Kreis aufgenommen. Hier machte Toller unter anderem die Bekanntschaft mit Thomas Mann und Rainer Maria Rilke. Im September desselben Jahres wurde er vom Verleger Eugen Diederichs persönlich zu einem Treffen auf die Burg Lauenstein (Thüringen) eingeladen. Über Diederichs kam Toller in Kontakt mit Max Weber, der ihn an die Universität Heidelberg einlud.

Aufgrund seines politischen Interesses beteiligte sich Toller an den wöchentlichen Diskussionsrunden einer heterogenen Gruppe von linksorientierten Kriegsgegnern im Gasthaus „Zum goldenen Anker“ in München, zu denen Ende 1917 mehr als 100 Personen kamen, darunter Kurt Eisner, der die Diskussionsleitung innehatte, Felix Fechenbach, Oskar Maria Graf und Erich Mühsam.

Münchner Räterepublik 

Seine Kriegserfahrungen bewirkten bei ihm eine pazifistische und revolutionär-sozialistische Einstellung. Nach dem Krieg beteiligte er sich 1918 am Umsturz in Bayern und rief zusammen mit Gustav Landauer und Erich Mühsam am 9. April 1919 die Münchner Räterepublik (erste Revolutionsphase) aus. Obwohl Pazifist, war er dort mit dem Aufbau einer Roten Armee beauftragt.

Nach der Niederschlagung der Räterepublik durch Freikorpsverbände und Reichswehr wurde Toller verhaftet und angeklagt. Sein Verteidiger im Prozess vor dem Münchner Standgericht am 16. Juli 1919 war Hugo Haase. Ungeachtet seiner prinzipiellen Gegnerschaft zur Räterepublik setzte sich Max Weber für seinen ehemaligen Studenten ein. Die Zeugenaussagen des Universitätsprofessors Weber, der Toller die „absolute Lauterkeit“ eines radikalen Gesinnungsethikers attestierte, dürften neben Haases Plädoyer dazu beigetragen haben, dass Toller - anders als Eugen Leviné - das Todesurteil erspart blieb und er mit fünf Jahren Festungshaft davonkam, die er zum größten Teil - nämlich vom 3. Februar 1920 bis 15. Juli 1924 - im Gefängnis Niederschönenfeld verbüßte. Eine Begnadigung hatte er abgelehnt.

Weimarer Republik

Nach der Haftentlassung erregten Tollers revolutionäre, expressionistische Dichtungen in den 1920er Jahren Aufsehen. Im Theaterstück Masse Mensch setzte er sich, angelehnt an das Schicksal von Sarah Rabinowitz, unter anderem mit dem aus seiner revolutionären Tätigkeit in München resultierenden Gewissenskonflikt auseinander.
Toller wurde 1926 Mitglied der von Kurt Hiller gegründeten Gruppe Revolutionärer Pazifisten.
Mit Tollers Geschichtsrevue Hoppla, wir leben! eröffnete 1927 die Piscator-Bühne im Berliner Theater am Nollendorfplatz, die zum Inbegriff des Avantgardetheaters der 1920er Jahre wurde. 1926 schuf die Berliner Bildhauerin Renée Sintenis eine Bildnisbüste Tollers.
1931 besuchte er das vom Klassenkampf zerrissene Spanien.

Emigration und Tod

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten musste Toller emigrieren. Nach Aufenthalten in Zürich, Paris und London traf er 1934 in den USA ein.
Da er im August 1933 auf der Ersten Ausbürgerungsliste des Deutschen Reichs von 1933 verzeichnet war, werden alle späteren Werke Tollers zur Exilliteratur gezählt.

Anfang Mai 1939 konnte Toller nur noch mit Mühe an einem Kongress des P.E.N.-Clubs teilnehmen; er hielt dort seine letzte öffentliche Rede. Nach Abschluss dieser Tagung wurde er zusammen mit einigen Kollegen von Vizepräsident John Nance Garner ins Weiße Haus eingeladen, wo er Präsident Roosevelt vorgestellt wurde.

Ilja Ehrenburg schildert den „Dichterpartisanen“ Toller als „außergewöhnlich sanftmütigen“ Menschen, der sich gleichwohl stets den Härten des Lebens gestellt habe.
Ende Mai desselben Jahres sah sich Toller der damit verbundenen Zerreißprobe offenbar nicht mehr gewachsen: er suchte in einem Zimmer des Mayflower Hotels am Central Park in New York den Freitod.

Toller hatte sich bereits vor Jahren angewöhnt, auf Reisen in seinem Koffer einen Strick mit sich zu führen. Nach Gustav Reglers Zeugnis hatte sich Toller noch kurz vor seinem Tod bemüht, eine weltweite Kampagne zur Verwendung des Überschußgetreides der USA für die hungernden Kinder in Spanien zu organisieren. Er habe sich „in völliger Verzweiflung über die Trägheit der demokratischen Welt und die Brutalität der faschistischen Führer“ erhängt.

In der Campbell Funeral Chapel am Broadway in Manhattan fand fünf Tage später die Trauerfeier statt. Die Schriftsteller Oskar Maria Graf und Sinclair Lewis sowie der spanische Politiker Juan Negrín sprachen an seinem Sarg. Sein Freund Thomas Mann ließ durch Klaus Mann ein Grußwort verlesen.

Am 28. Mai 1939 wurde Ernst Toller im Krematorium in Ardsley eingeäschert. Seine Asche wurde jahrelang von niemandem abgeholt und zu einem unbekannten Zeitpunkt in einem schlichten Sammelurnengrab billigster Ausführung bestattet.

Das literarische Schaffen 

Toller wurde unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg als Vertreter der expressionistischen Literatur bekannt. In den 1920er Jahren verfasste er Schauspiele und Erzählwerke im Stil der Neuen Sachlichkeit. Toller galt als ein prominenter Vertreter der littérature engagée der Weimarer Republik, der mit literarischen Texten zugleich politisch wirken wollte:

„Kann Kunst die Wirklichkeit beeinflussen? Kann der Dichter vom Schreibtisch her Einfluß auf die Politik seiner Zeit gewinnen? Es gibt Autoren, die diese Frage verneinen, ich bejahe sie. Alle Kunst hat magische Wirkung. [...] Kunst erreicht mehr als den Verstand, sie verankert sein Gefühl. Sie gibt dem verankerten Gefühl geistige Legitimation. Ich glaube darum, daß der Künstler nicht Thesen begründen, sondern Beispiele gestalten soll. Kunst gehört zu jenen seltenen geistigen Mitteln, verschüttete Instinkte zu erhellen, tapfere Haltungen zu schulen, spontanes Gefühl für Menschlichkeit, Freiheit und Schönheit zu vertiefen.“

Neben dem in Haft entstandenen Gedichtband "Das Schwalbenbuch" (1924) und der in der Emigration verfassten Autobiographie "Eine Jugend in Deutschland" (1933) gründete Tollers Reputation als Schriftsteller seit der frühen Weimarer Republik vor allem auf seinen Arbeiten als Dramatiker.

Expressionistische Schauspiele 

Nach der kurzen Phase der Münchner Räterepublik, an der Toller als begnadeter Rhetor und politische Leitfigur beteiligt war, wurde die Uraufführung seines Stücks "Die Wandlung", das während des Ersten Weltkriegs entstanden war, in der Inszenierung Karlheinz Martins an der Berliner Tribüne von 1919 zu einem außerordentlichen Theatererfolg.

Aufgrund seiner Inhaftierung konnte Toller an den Uraufführungen seiner frühen Schauspiele nicht teilnehmen. Seiner Landesregierung war die schriftstellerische Arbeit Tollers, der sich in der Festungshaft zu einer Symbolfigur der Linksintellektuellen der Weimarer Republik entwickelte, ein Dorn im Auge, wie Aufführungsverbote einzelner Stücke in Bayern belegen.

Im Zentrum der frühen expressionistischen Ideen- und Stationendramen stand regelmäßig ein junger Rebell, der als Vorbote einer neuen Gesellschaftsordnung in Erscheinung trat. Diesem Schema entsprachen Tollers erste Dramen "Die Wandlung" (1919), "Masse Mensch" (1920) und "Die Maschinenstürmer" (1922). Auf abstrakt-reflexiver Ebene behandelten sie das Scheitern der revolutionären Aufstände der Soldaten- und Arbeiterbewegung der Jahre 1917 bis 1919. Tollers frühe pazifistische Ideendramen zeichneten sich inhaltlich durch einen ethischen Absolutheitsanspruch und formal durch expressionistische Gestaltungsmerkmale wie stereotype Charakterzeichnung, Ideen als handlungstragende Elemente und eine verkürzte Sprache aus.


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