Biografie
- Ferdinant Freiligrath
und
Anklage
wegen
hochverräterischen Unternehmungen durch das Gedicht
"die
Todten an die Lebenden" des
Ferdinant Freiligraths 1848
Stenographischer Bericht
des
Processes
gegen den Dichter
Ferdinand Freiligrath,
angeklagt
der Aufreizung zu hochverrätherischen Unternehmungen
durch das Gedicht:
Die Todten an die Lebenden,
verhandelt vor dem Assisenhofe zu Düsseldorf
am 3. Oktober 1848.
__________________________
Nebst
einer zum ersten Male ausführlich
bearbeiteten Biographie des Dichters.
Düsseldorf,
1848, J. Buddeus’sche
Buch- und Kunsthandlung. (Eduard Schulte.)
Vorwort
Indem
wir den ausführlichen Bericht über die
Assisen-Verhandlungen in Betreff der Anklage gegen Ferdinand
Freiligrath dem größeren Publikum übergeben, mögen einige wenige
Worte vorausgeschickt werden, welche dieses unser Beginnen
rechtfertigen
dürften. Zwei Rücksichten nämlich sind es, welche den Entschluß, diese
Verhandlungen zu veröffentlichen, rege machten und zur Reife kommen
ließen. Vor
allem ist die hervorragende Persönlichkeit des Angeklagten
die Veranlassung dazu gewesen, an
dessen Schicksal ganz Deutschland Antheil nehmen und von dessen
Geschick Jeder
Kunde zu haben bestrebt sein wird. Freiligrath hat sich einen
Namen erworben, der schon seit langer
Zeit in ganz Europa gefeiert wird; es ist ein Mann, der für unsere
Literatur
eine hohe Bedeutung hat, und an den sich eine Geschichte anknüpft. Die
andere
Rücksicht, welche zur Veröffentlichung der Verhandlungen Anlaß bot, ist
das Vergehen,
dessen der Dichter beschuldigt worden, denn bisher ist noch nie eine
Anklage,
wie sie gegen ihn ausgesprochen, vor
einem Schwurgerichte unseres Vaterlandes
abgeurteilt worden; der Düsseldorfer
Gerichtshof eröffnet durch
diese Procedur den Reigen der Gerichtsverhandlungen, welche gegen
Preßvergehen
gerichtet sind, die auf „Aufreizung zu hochverrätherischen Unter-
nehmungen“
lauten.
Wir
haben diesen Verhandlungen eine skizzirte Biographie des
Dichters vorausgeschickt, damit der, welcher mit seinem Leben und
Wirken nicht ganz vertraut ist, ein möglichst klares Bild von demselben
bekomme. Da aber die Zeit sehr drängte, konnten nur die Hauptzüge aus
dem Leben
des Dichters hingezeichnet werden; trotz dessen aber glauben wir durch
die
Bearbeitung dieser Biographie nicht etwas Unwesentliches unternommen zu
haben,
da bisher nur sehr dürftige und unvollständige Nachrichten über den
Dichter
mitgetheilt worden. Wir geben hiermit zum ersten Mal eine
ausführliche Darstellung seines Lebens, wenn auch in kurzen Umrissen.
Kurze Biographie
Ferdinand
Freiligrath's bis zu seiner Verhaftung
Ferdinand Freiligrath wurde
am 17. Juni 1810
zu Detmold im
Fürstenthum Lippe geboren. Das Gedicht „Moosthee“,
welches im Jahre 1826 geschrieben, bestätigt diese Angabe, indem sich
der
Dichter darin als sechzehnjährigen Jüngling bezeichnet:
„Sechzehn Jahr’ — und wie ein
greiser
Alter sitz’ ich, matt und krank;“ –
Awaldt's*)
Annahme, dass des Dichters Geburt in das Jahr 1804
falle, ergibt sich, demzufolge wie auch durch andere Zeugnisse, als
eine irrige.
Der Vater des Dichters, welcher Lehrer an der Bürgerschule zu Detmold
war,
hatte frühzeitig sein Augenmerk darauf gerichtet, dass die geistige
Ausbildung
und Erziehung des Knaben befördert und möglichst vollendet werde. Er
übergab
deshalb seinen Sohn dem Gymnasium der Vaterstadt; aber nicht lange war
es
diesem vergönnt, den Vorträgen in diesen Lehrsälen zuzulauschen, die
ihn
gänzlich angezogen hatten, denn schon im Jahre 1825 verließ er die
Anstalt, wo
er mit bestem Erfolge und aller Hinneigung für die Studien tätig
gewesen war.
Der Vater nämlich, welcher nicht so bemittelt war, dass er im
Stande gewesen wäre, ihn diese Bahn bis
an’s Ziel durchwandern zu lassen, bestimmte ihn für das kaufmännische
Fach, und
zwar lediglich deshalb, um die Zukunft des Knaben sicherer begründen zu
können.
Die Bemerkung, welche das Conv.-Lex. von Brockhaus in dieser Beziehung
macht,
dass er sich „in Aussicht auf das Erbe eines reichen Oheim’s in
Edinburg“ der
Kaufmannschaft gewidmet, entbehrt aller Begründung,
da Freiligrath in diesem Falle doch sicher dahingestrebt
haben würde, mit seinem Oheim
in genauere Bekanntschaft zu treten, um dessen Wohlwollen zu gewinnen.
Aber
hiervon findet sich nirgend eine Spur und am aller wenigsten von einer
Beerbung
seines Oheim’s.
Was den
Übergang Freiligrath’s vom
Gymnasium zur Kaufmannschaft anlangt, so scheinen sich Alle in dem
Punkte zu
einigen, dass diese Änderung des Lebensberufes eine seiner Neigung
nicht
befreundete gewesen sei, und dass sie ihm niemals wahre, innere
Zufriedenheit
verschafft habe; denn eine in etwa genauere Kenntnis seiner
Geistesprodukte und
der Richtung, welche dieselben charakterisiert, lehrt uns, dass
Freiligratheine
angeborene Neigung besessen, sich auf dem Gebiete des schaffenden und
bildenden
Geistes zu bewegen und demselben allein seine Kräfte und Anlagen zu
widmen und
zu opfern; dem praktischen Leben aber sich anheimzugeben und in
demselben zu
wirken, das scheint nie sein Beruf gewesen zu sein.
Unser Dichter nun verließ das
elterliche Haus
und ging nach Soest*)
hinüber, wo er auf einem Comptoire seine Lehrjahre zubrachte und noch
bis 1831 blieb. Aus der ersten Zeit
seines Aufenthaltes in Soest haben wir schon vollendete dichterische
Schöpfungen. Siehe „Moosthee“. Er begab sich in diesem Jahre, um sich
in der
Handelswelt hinreichend umzusehen, nach Amsterdam, wo er in einem
der
bedeutendsten Bankhäuser als Commis eine Stelle fand. Hier verweilte er
bis zum
Jahre 1836, in welchem er heimkehrte, und nach Barmen ging,
wo er in einem Handlungshause als Commis eintrat und in den Mußestunden
rastlos
studierte und schriftstellerisch tätig war. Die Produkte aus dieser
Zeit
gehören mit zu den vollendetsten.
Hier aber sind wir am Marksteine
seiner
merkantilischen Laufbahn angelangt; denn nachdem er in Barmen von 1837
bis 1839
sich noch auf dem Comptoire beschäftigt hatte, entsagte er ganz der
Kaufmannschaft und widmete sich dem Berufe, zu dem die Natur
ihn bestimmt und gestempelt,
dem aber auf längere Zeit sich zu entziehen, Umstände ihn veranlasst
hatten, –
er widmete sich nun ganz dem Dichterberufe.
Von
dieser Zeit an tritt Freiligrath in die große Welt, und wir
sehen in ihm bald einen Mann, der in den
Reihen Derer steht, welche zu des deutschen Volkes Lieblingen gezählt
wurden.
Als er das Comptoir verließ, war sein Name schon bekannt und seine
zerstreut
erschienenen Gedichte hatten reicheren Beifall gefunden, als viele
Dichter,
welche vollständige Sammlungen ihrer Gedichte hatten veranstalten
lassen. Das
Einzige, was in der Zeit des Aufenthaltes in Barmen vollständig von ihm
dem
Publikum übergeben wurde, sind die Übersetzungen von „Victor
Hugo’s Oden“ im
Versmaß des Originals, Frankfurt 1836, und die Umbildung der
„Dämmerungsgesänge Victor Hugo’s“ Stuttgart 1836. (6. Aufl. 1843.)
Hier
können wir uns nicht enthalten, die
Bemerkung einzuflechten, dass Freiligrath nicht den traurigen Ruhm
eines Übersetzers sich erworben, welcher die Ideen fremder
Meister in unsere Sprache überträgt, um dieselbe in Kauf zu bringen und
dabei
alle ureigene Kraft verleugnet und verliert, sondern wir müssen
gestehen, dass
er das Höchste erreichte, was in der Übersetzungskunst zu erreichen
ist; denn
übersetzt er auch, so ist er doch stets selbstschaffend, indem er dahin
strebt,
das Colorit des Originals nicht zu verwischen, sondern dasselbe noch zu
verschönen und zu beleben. Seine übrigen Übersetzungen aus dem
Englischen und
Französischen beweisen dies noch mehr und wir dürfen wegen der Kürze
dieser
Abhandlung nur auf dieselben hinweisen.
Freiligrath’s eigentlich
bedeutsame literarische Tätigkeit beginnt in dieser Zeit, und obgleich
seine
Naturanlage reich genug und sein Wille fest und standhaft war, während
der
prosaischen Beschäftigung eines Wechselers und Kaufmannes seine
angeborene
Neigung zu pflegen, war es ein Glück für die Ausbildung seines
Talentes, dass er
im Alter von 26 Jahren sich ganz dem Berufe eines Dichters ergeben
konnte. Das
Bewusstsein, seiner Neigung nicht ganz leben zu können, würde ein Druck
für ihn
gewesen sein, der ungünstig auf ihn eingewirkt hätte. Denn seit früher
Jugend,
nicht erst als er das Comptoir verließ, lebte und webte er in den
Bildern,
welche seine Fantasie erzeugte und welche ihm eine neue Welt geistigen
Lebens
und geistiger Anschauungen schufen.
Wir wissen ihn schon frühe
herangereift, und
Grabbe, der in Detmold des Knaben erste poetische Ergüsse las, sagte:
„dieser
Junge wird uns nochmal all’ übertreffen.“ – Wie sich ein
lebenskräftiger,
junger Baum alsbald erhebt und ausschießt und reiche Knospen treibt,
sobald der
erste Frühlingshauch um seine Äste wehet und die Frühlingssonne ihre
sanften,
erquickenden Strahlen auf denselben wirft, ebenso entwickelte sich früh
unser
Dichter, sobald des Jünglings Bewusstsein geweckt und mit
der höheren Geisterwelt in Verbindung trat und die
Außenwelt mit seinem Innern in lebhaften Zusammenhang gebracht wurde.
Freiligrath hatte
in zarter Jugend den vielgestaltigen Orient, den Charakter und die
Beschaffenheit
der Urwälder Amerika’s und der afrikanischen Wüsten, die Wunder des
unfassbaren
Meeres studiert und war in den Feentempel der Natur so tief
hineingedrungen, dass
er mit einer solchen Farbenpracht und solcher Wahrheit dieselben
auszumalen im
Stande war, als habe er das Alles gesehen und erlebt. Sein Geist wurde
genährt
durch die Lektüre der Robinsonaden und der Reisen Le Veillant’s, und
sein
empfängliches Gemüt bewahrte treu aus der frommen Kinderzeit die
Eindrücke,
mit welchen ihn das Lesen der Bibel erfüllt hatte. (S. d. Ged. die
Bilderbibel.) –
Freiligrath also
verließ seinen beschränkten, abgegrenzten Wirkungskreis und zog hinaus,
dorthin,
wohin er sich so lange gesehnt hatte, – er zog zum Rheine.
Es war im Herbste 1839, als der
Dichter eine
Reise an den Rhein machte. Er fühlte sich auf dem Drachenfels mächtig
ergriffen
von dem Zauber, mit welchem ihm diese Gegend entgegenlächelte und der
Wunsch,
eine Zeit lang an den Ufern des herrlichen Stromes in poetischer
Freiheit und
Ungebundenheit zu weilen, wurde bald bei ihm Entschluss. Besonders war
es ein
kleiner Ort am Rheine, der dem vom Gipfel des Drachenfels
hinabschauenden
Dichter mit seinen weißen Häusern freundlich entgegen glänzte
– Unkel.
Hier
ließ er sich häuslich nieder, und nicht
lange, so hatte er Gelegenheit, ein romantisches Denkmal in dieser
freundlichen
Gegend vom Untergang zu retten und der damals noch nicht ganz
verbannten
Romantik seinen Dichterzoll beizusteuern. In der Sylvesternacht hatte
ein
heftiger Sturm den altersgrauen Zeugen der Heldenzeit, den
Rolandsbogen,
weggerissen. Freiligrath forderte in einem poetischen Aufrufe
(Köln. Zeit. 12. Jan. 1840.) zur [WS:zu] Beiträgen
auf, um den Bogen wiederherzustellen. Alsbald flogen ihm diese von
allen Seiten
zu mit freundlichen Worten und Zeichen der Gunst. Es bildete sich ein
Comitée,
und so wurde der Bau, in die Hände Zwirner’s gelegt, rasch
begonnen und bald vollendet, und Freiligrath gab noch zum Besten
der Ruine das Rolands-Album (Köln. Dümont 1840.) heraus.
Der Dichter wurde durch diesen
Ruinenbau zuerst
mit Personen des königlichen Hauses bekannt. Er hatte nämlich bereits
das
nötige Geld beisammen, als er erfuhr, dass die Ruine Eigentum der
Prinzessin
Marianne geworden, und er somit dieser Fürstin vorgegriffen
habe. Freiligrath wendete
sich in einem Schreiben an dieselbe, um sich wegen der getanen Schritte
zu
entschuldigen.
Die Prinzessin aber genehmigte
ihm gerne und
bereitwillig,
den Bau auszuführen; sie selbst aber gab eine gleiche Summe von 700
Thlrn. aus
eigenen Mitteln zur Gründung einer Schule in dem kleinen Örtchen am
Fuße der
Ruine, Rolandswerth.
Wichtig
aber wurde und bleibt für Freiligrath das kleine Unkel in
sofern, als er dort seine künftige Lebensgefährtin
kennen lernte, die Erzieherin in der Familie des Obersten von St . . .
Sie ist
die Tochter des weiland Professor Melos zu Weimar, der durch
seine Rechtschaffenheit und
Gelehrsamkeit (er schrieb eine Naturlehre und die
Reformationsgeschichten) bei
Jedem in hohem Ansehen stand. Fräul. Melos begab sich im Sommer 1840 zu
ihrer
Mutter nach Sachsen zurück, wohin ihr Freiligrath im Herbste
desselben Jahres folgte. Er blieb den Winter in Weimar in
der Nähe seiner Braut und verheiratete sich im Mai des Jahres 1841.
Seine
literarische Tätigkeit beschränkte sich während dieser Zeit auf die
Mitredaction des Rheinischen Odeons, Düsseldorf.
Schreiner 1840, und des Rheinischen Jahrbuchs. Köln. Dümont 1841.
Einige Zeit später gab er mit L.
Schücking das romant. Westfalen heraus. (Barmen,
Langewiesche.)
Nach
seiner Verheiratung siedelte er nach Darmstadt hinüber, wo er
mit Heinrich
Künzel ein Blatt für englisches
Leben und englische Literatur„Britannia“ zu gründen gedachte und
für welches schon tüchtige
Mitarbeiter, unter denen Dickens (Boz) und Bulwer, gewonnen waren,
dessen
Erscheinen jedoch an der Ängstlichkeit der Verleger scheiterte.
Mit E. Duller gab er „1862“, ein Gedicht „zum Besten des
Kölner Domes“ heraus
(Darmst. Joughaus [WS:Jonghans].)
Zu dieser Zeit fing die Politik
an, sich in der
Poesie Geltung zu verschaffen.
G.
Herwegh’s und Hoffmann’s Lieder erschienen,
aber Freiligrath hält sich noch ferne davon, da er den
rechten Anteil
daran noch nicht finden kann und er sagt deshalb in dem
Gedichte: Aus Spanien:
„Der Dichter steht auf einer
höhern Warte,
Als auf der Zinne der Partei.“
Dieses Wort fand aber seine
Beantwortung von dem
Führer aller damaligen politischen Dichter, G. Herwegh. Doch ohne
Wirkung blieb
noch in der Seele unseres Dichters diese Herausforderung, denn er war,
wie auch Julius Mosen,
(was Dingelstedt im Jahrbuch der deutschen Literatur 1839.
ausgegesprochen,)
mit keiner Parteiung zusammenhängend und gegen keine
fechtend; beide waren
vielmehr, unbekümmert um das Geräusch der Streitenden ringsum, im
Rausche ihrer
Dichtung selig versunken. Freiligrath hatte bisher nie
Gelegenheit gehabt, sich politischen
Bewegungen der Zeit hinzugeben, denn er war nie auf Universitäten
gewesen, wo
des Jünglings Auge auf die politischen Zustände hingelenkt und von
denselben lebhaft angezogen wird. Die Aufforderung, welche man an ihn
richtete,
dem Rufe der Zeit zu folgen, aus sich selbst Lust und Leid zu spinnen,
beantwortete er in dem Gedichte: Meine
Stoffe:
„O könnt’ ich folgen eurem Rat!
Doch düster durch versenkte Halme
Wall’ ich der Wüste dürren Pfad;
Wächst in der Wüste nicht die Palme?“
In
Darmstadt begegnete er nun der Prinzessin
Marianne persönlich, die ihm viele Teilnahme schenkte und ihm
empfahl, die Bekanntschaft des Hrn. v. Radowitz zu machen.
Dieser hervorragende Mann verfehlte keineswegs seinen Eindruck
auf Freiligrath und er machte ihm den Vorschlag,
mit Dr. Huber aus Marburg die Herausgabe einer
Zeitschrift zu
übernehmen. Dieses aber lehnte Freiligrath ab, obwohl sein
Streben, eine Eristenz zu finden,
dadurch gescheitert war, dass die „Britannia“ nicht erschien,
da er nie seine Überzeugung den
Rücksichten auf Existenz zu opfern vermochte.
Freiligrath erhielt
kurze Zeit darauf vom Könige von Preußen eine Pension von 300 Thlr.,
die ihm
der Kanzler v. Müller in Weimar, der mit des Dichters äußeren
Verhältnissen
näher bekannt war, durch Alex.
von Humboldt ohne sein Vorwissen
verschaffte. Er nahm die Pension dankbar an; doch nicht lange, und wir
sehen,
wie dieselbe in dem Leben des Dichters eine verhängnisvolle Rolle
spielen
sollte. Es zog ihm dieselbe den Hass der Partei zu, und für viele
politischen [WS:politische] Lyriker
war dies eine willkommene Blöße, um sofort auf dieselbe mit
empfindlichen
Hieben einzudringen.
Er
verließ im Frühjahre 1842 Darmstadt,
um wieder am geliebten Rheine zu wohnen. Er suchte sich St.
Goar aus,
wo er bis zum Sommer 1844 ein heiteres, der Muse, der schönen Natur und
den Freunden gewidmetes Leben
führte. Von nah und fern kamen ausgezeichnete Fremde, den Dichter in
dem
kleinen Felsenstädtchen zu besuchen und besondere Erwähnung verdient
der
freundschaftliche Verkehr mit dem amerikanischen
Dichter Longfellow,
der in seiner Nähe
in Marienberg bei Boppard wohnte. Hier auch war es,
wo Emmanuel Geibel mit
ihm den Sommer 1843 in Freundschaft verbrachte. Er übersetzte und gab
schon in
den ersten Monaten seines Verweilens an diesem Orte: „Karl
Immermann, Blätter der Erinnerung an ihn“, (Stuttgart 1842) heraus.
Während des
Aufenthaltes in St. Goar wurde Freiligrath auch
mit Hoffmann
von Fallersleben näher
bekannt.*)
Im
letzten Winter, den er hier noch verlebte,
sah er sich in die politischen Bewegungen hineingeraten, die
seinem Glaubensbekenntnis (Mainz, Vict. v. Zabern 1844) Entstehung
gab. Er war
nun „auf die Zinne der Partei“
hinabgestiegen, er sah ein, dass er in
der Gegenwart Partei ergreifen müsse; welcher Partei er sich aber
hinneigte,
dass zeigte er bald zu deutlich, was auch die von ihm angewendeten
Worte Chamisso’s bekunden: „Die Sachen sind, wie sie sind.
Ich bin nicht von den Tories
zu den Whigs übergegangen, aber ich war, wie ich die Augen über mich
öffnete,
ein Whig.“ – „Ich kann nicht
anders!“ ruft er aus und der
Würfel ist geworfen. Er legte nun auch die Pension in die Hände des
Königs
zurück, indem er von Neujahr 1844 an aufhörte, dieselbe zu erheben.
Er
hatte den Band seiner politischen Gedichte im
Manuskript fertig in seinem Pulte liegen, als er vom Erbgroßherzog
von Weimar, der sich, so wie auch die Großherzogin,
ihm freundlich und teilnehmend bewiesen hatte, eine Einladung erhielt,
eine
Beschäftigung, wie er sie schon lange gewünscht, an der Bibliothek
anzunehmen
mit selbst zu bestimmendem Gehalte. Er schwankte einen Augenblick in
Rücksicht
auf seine kränkliche Frau, der er jetzt ein erwünschtes Los bereiten
konnte;
doch nur einen Augenblick schwankte er und er sang das Lied „Hohes
Wasser“und
lehnte den Antrag von sich ab. Er machte das Glaubensbekenntnis
in Asmannshausen zum Druck fertig, brachte den Sommer
im Bad Kronthal bei Frankfurt zu und befand sich im
Herbste, als das
Glaubensbekenntnis erschien, in Ostende. Den Winter blieb er
in Brüssel.
Als
er aber einsah, dass er auf ein längeres Exil
gefasst sein müsse, indem die strengsten Maßregeln gegen sein Buch
ergriffen und
ein Verhaftsbefehl gegen ihn erlassen worden, so reiste er im Frühjahr
1845
nach der Schweiz. Er brachte den ersten Sommer bei Rappersweil,
am äußersten Ende des Zürcher See’s zu. Hier veranstaltete er eine neue
Ausgabe
seiner Übersetzungen nach Victor
Hugo. (Frankf. Sauerländer 1840.)
Auch erschien von hier aus ein fliegendes Blatt: „Leipzig’s
Todten“, und hier war es, wo ihm sein erstes Kind geboren wurde. Für
den Winter
zog er nach Zürich, wo er den Band seiner englischen Übersetzungen
zum
Druck fertig machte. Gleichzeitig ließ er ein Heftchen politischer
Lieder: Ça ira! (Herisau 1846)
erscheinen, welches auch seinen Aufenthalt in Zürich zu bedrohen
schien,
weshalb er der Aufforderung einiger englischen Freunde folgte, die ihn
unter
den freien Briten sicher wissen wollten und ihn veranlassten,
nach London zu
kommen. Kaum in England angelangt, traf ihn das Unglück, sein zweites
Kind zu
verlieren, welches erst wenige Wochen alt, gleich in fremde Erde
gebettet
wurde. Freiligrath arbeitete
nun ununterbrochen bis zum Mai des großen Jahres 1848 als
deutscher Korrespondent auf dem Comptoir der Herren Fred. Huth et Comp.
Er
hatte sich in die untergeordnete Stellung eines Londoner Clerks gefügt,
welche
ihm keineswegs in Rücksicht auf seinen literarischen Ruf und Wirken
leichter
oder angenehmer gemacht wurde; vielmehr blieb ihm bei der angestrengten
Arbeit
kaum Zeit zur Erholung, geschweige denn Muße und Stimmung zu
dichterischem
Schaffen. Eine angenehmere Beschäftigung bot sich ihm als deutscher
Lehrer an
der Londoner Universität, aber noch lockender waren die Aussichten, die
einige
treue Freunde in Amerika ihm eröffnet hatten, und er war im Begriffe,
deren
Rufe dahin zu folgen, als in Deutschland die großen Taten geschahen und
allen
politischen Flüchtlingen die Rückkehr in die Heimat wieder eröffnet
wurde. Freiligrath kehrte gleich im Mai dieses Jahrs nach
Deutschland zurück und nahm
seinen Aufenhalt in Düsseldorf, wo sich nach einem dreimonatlichen
Verweilen schon
die Kerkertore hinter ihm schlossen. Die Veröffentlichung des
Gedichtes: „die
Todten an die Lebenden“,
das in vielen Tausenden von Exemplaren in Umlauf kam,
war die Veranlassung seiner Verhaftung, welche am 29. August 1848
erfolgte. Ob die
demokratischen Vereine, deren Mitglied er war, durch ihre Verwendung
bei der
Behörde die Erleichterung des Geschickes des Dichters ausgewirkt
haben, bleibt
dahingestellt, das aber dürfen wir gestehen, dass man sein Los
während der Haft
nach Gebühr erträglich gemacht und erleichtert hat. Ein
schöner Trost blieb ihm
fortan, in der Nähe seiner Familie zu sein und dieselbe wie auch
seine Freunde,
häufig sehen und sich mit denselben unterhalten zu dürfen.
Wie sich sein Geschick nun weiter gestaltete, wird folgender
Prozess lehren.Somit
beenden wir unsere biographischen Mitteilungen,
indem wir hoffen, dass der Dichter selbst eine vollständige Darstellung
seines
Lebens und Wirkens den Händen des deutschen Volkes übergeben möge. –
Fortsetzung der
Biografie nach dem Freispruch
Bereits nach der
gescheiterten Revolution verflachte Freiligraths Begeisterung für
Revolution,
Klassenkampf und Proletariat. In seinem Spätwerk schloss er sich der
nationalen
Begeisterungswelle an und begrüßte mit nationalen, patriotischen
Gedichten
wie Hurra, Germania! den Krieg gegen Frankreich und die
Reichsgründung von 1871.
Freiligrath
betätigte sich auch als Übersetzer, u. a. von Werken
von Robert Burns, Victor Hugo, Alfred de Musset.
Von bleibender Bedeutung ist vor allem sein politischer Einsatz und
idealistischer Schwung gegen die als ungerecht empfundenen
Zustände seiner
Zeit.
Freiligrath starb
am 18. März 1876 in Cannstatt im Wirtshaus „Alter Hase“ an
Herzversagen. Er
wurde auf dem Uff-Kirchhof in Cannstatt beigesetzt.
weiter mit der Anklage
Gedichte Ferdinand Freiligrath
oben
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Protokoll: Entstehung und Erscheinung 1848,
Verlag: Buddeus'sche
Buchhandlung- und Kunsthandlung,
Düsseldorf
wikisource
Bild1:
Porträt Ferdinant Freiligrath,
1851,
Urheber: Johann Peter Hasenclever
(1810-1853) gemeinfrei
wikipedia
Logo: "Liebesakt", Studie, Schiele Egon.
EJ: 1915 -
Gemeinfrei, Sammlung Leopold, Wien
zeno.org
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