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Literatur

04.2


Biografie - Ferdinant Freiligrath

und

Anklage

wegen hochverräterischen Unternehmungen durch das Gedicht

"die Todten an die Lebenden" des Ferdinant Freiligraths 1848




Stenografischer Bericht des Prozesses - Seite 2


Anklagezustand

und die vollständigen Assisenverhandlungen über ihn.


Es war in den ersten Tagen des Augustes, als mit einem Male überall in unserer Stadt ein Gedicht von Ferdinand Freiligrath: „Die Todten an die Lebenden“ — genannt, gekauft, gelesen und besprochen wurde. Es machte dasselbe solches Aufsehen und nahm so sehr die öffentliche Meinung in Anspruch, daß wir das Erscheinen des Gedichtes wohl „ein politisches Ereigniß“ nennen dürfen. Vielen war das Gedicht eine unwillkommene Gabe, viele dagegen begrüßten es; Alle aber sprachen die gleiche Besorgniß aus, der Dichter könne leicht dadurch auf einige Zeit in Untersuchungshaft gebracht werden. Bald aber schwand diese Besorgniß, als man eine Woche und die zweite verfließen sah, ohne daß es auch nur verlautet hätte, Freiligrath werde zur Untersuchung gezogen. Der Dichter ging frei unter uns umher, lebte zufrieden im Kreise seiner Familie und beglückt durch den Umgang mit Freunden, die ihm mit ganzem Herzen anhingen. Hatte man jedoch Kunde davon gehabt, was in den Rathskammern des Königlichen Gerichtshofes vorging und daß dort über Freiligrath’s Wohl und Wehe Verhandlungen gepflogen, so würde die Verhaftung des Dichters nicht so ganz unerwartet gekommen sein.

Der Oberprokurator Schnaase hatte alsbald nach dem Erscheinen des Gedichtes sich gegen die in demselben ausgesprochenen Meinungen und Aeußerungen erhoben, um den Verfasser desselben in Anklagezustand zu versetzen. Er stellte demgemäß an den L.-G.-Rath Merremfolgenden Antrag, den wir in wörtlicher Fassung mittheilen:

Es wird in hiesiger Stadt seit vorgestern ein Gedicht mit der Ueberschrift: „die Todten an die Lebenden“, gedruckt in der hiesigen Franck'schen Buchdruckerei und mit der Unterschrift des Verfasser's Ferdinand Freiligrath für 1 Sgr. verkauft und vielfach verbreitet. – Dasselbe enthält eine directe Aufreizung der Bürger, die Regierung umzustürzen und zu verändern – und sich gegen die königliche Gewalt zu bewaffnen. Sie ist namentlich in folgenden Versen enthalten:

«O Volk und immer Friede nur in deines Schurzfell’s Falten?
„Sag’ an, birgt es nicht auch den Krieg? den Krieg herausgeschüttelt!
„Den zweiten Krieg, den letzten Krieg mit Allem, was dich büttelt,
„Lass deinen Ruf: „die Republik" die Glocken überdröhnen,
„Die diesem allerneuesten Johannesschwindel tönen!

und ferner in den Versen, wo der Grimm des Volkes angeredet wird:

„Er wartet nur des Augenblicks: dann springt er auf allmächtig,
Gehob’nen Armes, weh’nden Haar’s, da steht er wild und prächtig!
Die rost’ge Büchse legt er an, mit Fensterblei geladen,
Die rothe Fahne läßt er weh’n, hoch auf den Barrikaden!
Die Throne geh’n in Flammen auf, die Fürsten flieh’n zum Meere u. s. w.

Das Gedicht enthält ferner die stärksten Beleidigungen und Verläumdungen Sr. Majestät des Königs. – Kennt unser Gesetzbuch auch die Majestätsbeleidigung nicht als ein besonderes Verbrechen, so kann doch der König des Schutzes nicht beraubt werden, den jeder Bürger genießt; er ist die erste Magistratsperson des Landes, wenn man ihn nicht höher stellt. –

Der Verfasser spricht zwar nicht in eigenem Namen, sondern legt die Worte den Todten, den bei den Barrikaden Kämpfenden und in Berlin Gebliebenen in den Mund.

Es kann dies aber natürlich ihn nicht von der Verantwortlichkeit befreien, da er es ist, der diese strafbaren Reden verkündigt, und die ganze Haltung des Gedichtes keinen Zweifel übrig läßt, daß er die vorgetragenen Ansichten und Aufforderungen zu den seinigen macht. –

Eben so wenig kann die dichterische Form die Provokation der Verfolgung entziehen, da man nicht behaupten kann, daß sie die verbrecherische Absicht und den verbrecherischen Erfolg ausschließen.

Ich stelle daher ein Exemplar dieses Gedichtes dem Herrn J. R. Landgerichtsrath Merrem mit dem Antrage zu, wider den Verfasser F. Freiligrathauf den Grund des Art. 102, 222 und 367 des St.-G.-B. die Untersuchung einzuleiten, ihn mittels Vorführungsbefehl zu constituiren und denselben in einem Verwahrungsbefehl zu verwandeln, die in der Franck’schen Druckerei oder in der Wohnung des Beschuldigten noch vor¬handenen Eremplare mit Beschlag zu belegen.

Daß Freiligrath wirklich der Verfasser ist, wird er nicht läugnen, event. durch Beschlagnahme des Manuscrip’s an beiden angegebenen Orten erwiesen werden. Er hat aber in der Versammlung des Volksklub’s am 1. August in Gegenwart von wenigstens 100 Personen in dem Wirthshause bei Stübben am Bahnhofe das Gedicht als das seinige vorgelesen und bekannt gemacht, daß er den Reinertrag des Verkaufs der Kassa dieses Klubs zuwende. Zeugen dieses Hergangs sind zunächst die Vorstands-Mitglieder dieses Klubs, Rockmann und Kaulen, doch werden auch noch viele andere Zeugen leicht ermittelt werden können. Düsseldorf, den 4. August 1848.

(gez.) Schnaase.

L.-G.-R. Merrem erstattete auf diesen Antrag des Oberprokurator’s gleich der königlichen Rathskammer, bestehend aus den Herren: Scriba, Präsident, Voßen, L.-G.-Rath, von Schmitz, Pfeffer Assessoren und Weber Aktuar, Vortrag welche folgendermaßen entschied: In Erwägung, daß in dem genannten Gedichte eine direkte Aufreizung im Sinne des Artikel 102. des St.-G.-B. nicht enthalten ist,

daß die Beleidigung der K. Majestät nach dem St.-G.-B. nicht strafbar erscheint, und der König keine Magistrats-Person ist,

Aus diesen Gründen

beschließt die Rathskammer des K. Landgerichtes, daß kein Grund zur Einleitung einer Untersuchung vorhanden.

Düsseldorf, den 4. August 1848.
(gez.) Scriba, Merrem, Voßen, v. Schmitz, Pfeffer, Weber Aktuar.


Die Staatsbehörde sah sich aber veranlaßt, gegen diesen Beschluß der Rathskammer zu opponiren und die Anklage an den Anklagesenat zu Köln zu bringen.

Die Staatsbehörde daselbst zog den Antrag zur Berathung und erließ folgenden, wörtlich mitgetheilten

Antrag:

Köln, den 7. August 1848.

Zur Untersuchungssache contra Freiligrath J. E. betr. die Anwendbarkeit des Art. 102. d. St.-G.-B., daß dieser Artikel sowohl nach seinem Wortsinne als nach dem bekannten Gange der Gesetzgebung, nur die direkte Aufforderung zu dem Art. 86. bis 101 des St.-G.-B. vorgesehenen Verbrechen bestraft, und zu der im Art. 293. des St.-G.-B. vorgesehenen Provokation zu Verbrechen überhaupt keine nähere Beziehung hat, daß im vorliegenden Gedichte die Zeilen:

O, Volk, etc., wenn man sie aus dem Zusammenhange herausreißt, sich zwar als eine Provokation zum Bürgerkriege deuten lassen, daß derselbe aber in ihrem wirklichen Zusammenhange vielmehr die Klage über die augenblickliche Zwecklosigkeit einer Provokation ausdrücken, und diese Klage eben so wenig als die weitere Prophezeihung von späterem Bürgerkriege eine direkte Aufforderung zu diesem darstellen, aus dem Umstande aber, daß auf diesem Wege eine Umgehung des Strafgesetzes versucht, und erreicht werden mag, nicht eine ausdehnende Auffassung des letzteren deduzirt werden darf; betr. die Anwendbarkeit des Art. 222 Str.-G.-B. daß nach dem bestehenden Staatsrecht der König nicht eine bloße Magistratsperson ist, dies auch am wenigsten sich daraus herleiten läßt, daß der König die Quelle der Magistratur ist, daß, wenn hierin eine Lücke der Gesetzgebung gefunden wird, die Ausfüllung derselben der gesetzgebenden Gewalt überbleiben muß.

Aus diesen Gründen trage ich an:

der Königl. A.-G.-Hof wolle die gegen den Rathskammer-Beschluß vom 4. d. M. eingelegte Opposition als nicht begründet, verwerfen.

(gez.) Proff-Irnich.

Nichtsdestoweniger erließ aber die Rathskammer zu Köln, bestehend aus den Herren Appellations-Gerichtsräthen Krey (Präsident), v. Gerolt, v. Fuchsius, v. Drüffel und Hermes, den Dichter F. Freiligrath an den am künftigen Monate hierselbst zusammentretenden Assisenhof mit dem Anklageakt verweisen, den wir hier in seinem offiziellen Charakter mittheilen:



Anklageact

gegen

Ferdinand Freiligrath,


38 Jahre alt, Schriftsteller geboren zu Detmold, zuletzt
in Düsseldorf wohnhaft.

_______________________________

Ein die Ueberschrift: „Die Todten an die Lebenden“ führendes Gedicht bildet den Gegenstand der Anklage nach welcher in demselben eine directe Aufreizung der Bürger zur Bewaffnung gegen die landesherrliche Macht und zum Umsturze der bestehenden Staatsverfassung enthalten ist.

Der Angeklagte hat sich als Verfasser dieses, auch mit seinem Namen unterzeichneten, Gedichtes bekannt, und zugegeben, daß er dasselbe in der Frank’schen Buchdruckerei zu Düsseldorf in 9000 Exemplaren habe drucken lassen, daß er davon 1000 Exemplare an die Buchhandlung vonKampmann daselbst verkauft; – über den Verbleib der übrigen 8000 Exemplare hat er Auskunft zu geben verweigert, – und daß er es als das seinige in der, wie er glaubt, am 1. August dieses Jahres in dem Wirthshause von Stübben in Düsseldorf Statt gefundenen zahlreich besuchten Versammlung des Volksklubs vorgelesen habe.

Die wider ihn erhobene Beschuldigung, durch das Vortragen des Gedichts in einer öffentlichen Versammlung, so wie durch dessen Druck die Bürger direct aufgereizt zu haben, sich gegen die landesherliche Macht zu bewaffnen, auch die bestehende Staatsverfassung umzustürzen, hat er von sich abgelehnt, und bemerkt, daß der Gegenstand des Gedichtes der sei, den Contrast zwischen den Zuständen und Aussichten des März und zwischen der neuesten Lage der Dinge darzustellen, und seine Absicht dabei die gewesen sei, durch diese Darstellung das Volk aufzuwecken und zu ermannen zu einem moralischen Kampfe gegen die ihm angethane Unbill.

Dieses Gedicht, welches im Manuscript sowohl, als in mehreren Exemplaren bei den Acten liegt, welches zum Besten des Volksklubs in Düsseldorf gedruckt und für einen Silbergroschen verkauft worden ist, enthält aber das Gegentheil von dem, was der Angeklagte ihm unterlegen will.

Zunächst läßt derselbe die auf den Barrikaden in Berlin Gefallenen vor dem königlichen Schlosse und dem Anblicke des Königs erscheinen, den er schmäht, verhöhnt und verflucht. Sodann spricht er seinen Tadel darüber aus, daß feig verscherzt worden, was die Gefallenen trotzig errungen hätten und fordert direct zum Kriege und zum Umsturz der Verfassung mit folgenden Worten auf:

„O Volk, und immer Friede nur in deines Schurzfells Falten!
Sag an, birgt es nicht auch den Krieg? Den Krieg herausgeschüttelt!
Den zweiten Krieg, den letzten Krieg mit Allem, was dich büttelt.
Laß deinen Ruf: „Die Republik!“ die Glocken überdröhnen,
Die diesem allerneuesten Johannesschwindel tönen!“

Eine ähnliche Aufforderung findet sich sodann in den Versen, wo der Grimm, der rothe Grimm des Volkes angeredet und gesagt ist:

„Zuviel des Hohns, zu viel der Schmach wird täglich Euch geboten:
Euch muß der Grimm geblieben sein — o, glaubt es uns, den Todten!
Er blieb euch! ja, und er erwacht! er wird und muß erwachen!
Die halbe Revolution zur ganzen wird er machen!
Er wartet nur des Augenblicks: dann springt er auf allmächtig;
Gehob’nen Armes, weh’nden Haars da stehter wild und prächtig
Die rost’ge Büchse legt er an, mit Fensterblei geladen;
Die rothe Fahne läßt er weh’n hoch auf den Barrikaden,
Sie fliegt voran der Bürgerwehr, sie flegt voran dem Heere –
Die Throne geh’n in Flammen auf, die Fürsten flieh’n zum Meere!
Die Adler fliehn, die Löwen fliehn: die Klauen und die Zähne! –
Und seine Zukunft bildet selbst das Volk, das souveräne!
O, steht gerüstet! seid bereit! etc. etc.

Diese Worte stehen mit dem, was der Angeklagte zu seiner Vertheidigung angeführt hat, in geradem Widerspruch. Nicht zu einem moralischen Kampfe, sondern unter die rothe Fahne zu den Waffen, zum Kriege, zur Revolution, zum Umsturz der Throne, zur Vertreibung der Fürsten und zum Ruf: „die Republik" fordert er das Volk auf, um, als das souveräne seine Zukunft selbst zu bilden.

Demnach wird Ferdinand Freiligrath angeklagt: „im August d. J. durch das Vortragen des von ihm verfaßten Gedichtes „Die Todten an die Lebenden“ in einer öffentlichen Versammlung zu Düsseldorf, so wie auch durch den Druck desselben die Bürger direct aufgereizt zu haben, sich gegen die landesherrliche Macht zu bewaffnen, auch die bestehende Staatsverfassung umzustürzen.

Verbrechen gegen Art. 102 und 87 des Straf-Gesetzbuchs.
Köln, den 18. Sept. 1848.
Der General-Prokurator
beim Königlich Rheinischen Appellations-Gerichtshofe.
(gez.) Nicolovius.

Nachdem somit die Aktenstücke mitgetheilt und wir dahin gekommen sind, wo der Appellationsgerichts- hof den Dichter dem Assisenhof zu Düsseldorf überwiesen, gehen wir nunmehr zu den Verhandlungen selbst über.


Der 3. Oktober 1848

war für die Prozedur bestimmt. Mehrere Tage vor diesen Verhandlungen war in einer vertraulichen Unterredung der obersten Gerichtsbehörde und des Chefs der Bürgergarde darüber sorgfältig Rede gewesen, auf welche Weise ein Mann, wie Freiligrath, vor Gericht geführt, da derselbe besondere Berücksichtigung finden müsse und dürfe. Das schöne Resultat dieser Besprechung fiel dahin aus, daß der Dichter, der nicht als einVerbrecher vor den Gerichtshof geführt werden könne, von Offizieren der Bürgerwehr eingeführt und nicht seinen Sitz auf der s. g. „armen Sünderbank“, sondern auf einem Stuhle in der Reihe seiner Verteidiger nehmen solle. Außerdem waren in dem Gerichtslokale 50 Bürgergardisten zur Handhabung der Ordnung aufgestellt, damit die Verhandlungen einen ruhigen, würdevollen Fortgang nehmen könnten. In der Stadt waren an verschiedenen Stellen Bürgergardisten, deren Anzahl sich auf 300 belief, beordert, damit das Militär nicht Anlaß fände, sich in Hinblick auf etwaige unruhige Auftritte, aufzustellen; ebenso hatte man auf allen polizeilichen Succurs verzichtet.

________________

Der Gerichtshof, bestehend aus dem Appellationsgerichtsrath Broicher aus Köln als Präsident, Schramm Kammerpräsident, den Landgerichtsräthen Bertrab, Vossen, von Schmitz und Menken Assessoren und dem Staatsprokurator von Ammon I. als stellvertretenden Oberprokurator, der das öffentliche Ministerium versah, hatte um 81/2 Uhr Platz genommen. Greffier war Herr Obersekretär Tiery. Als Vertheidiger hatte sich Freiligrath die Adv.-Anw. Eduard Meyer aus Köln und Weiler II. aus Düsseldorf erwählt.

Nachdem der Gerichtsschreiber auf die Aufforderung des Präsidenten das namentliche Verzeichniß der Geschworenen, die dem Beschuldigten, wie auch seinen Vertheidigern, vorher mitgetheilt waren, vorgelesen hatte, schritt der Präsident zur Bildung des Geschworenen-Gerichtes durch das Loos, nachdem er darauf hingewiesen, daß der Angeschuldigte, so wie das öffentliche Ministerium deren zu reküsiren Berechtigung habe. Nachdem so die Verlosung stattgefunden und von der Staatsbehörde 9 und von den Vertheidigern 10 rekusirt worden, war das Geschworene-Gericht gebildet und bestand aus: Steprath, Ziegler, Havers, Kaufmann, Schuppers, Clören, Hurtig-Horst, Meyer, Schmitz, Engers, Borbach, Schulz.

Der Präsident richtet nun an die Geschworenen, welche sich erheben, folgende Anrede!

„Meine Herren Geschworenen! Sie schwören und geloben vor Gott und den Menschen, mit der gewissenhaftesten Aufmerksamkeit die Belastungsgründe zu prüfen, welche gegen F. Freiligrath vorgebracht werden sollen; nicht zu verrathen das Interresse des Angeklagten noch das der bürgerlichen Gesellschaft, welche ihn anklagt; mit Niemanden Rücksprache zu nehmen, bevor sie ihren Ausspruch gethan haben, nicht zu hören auf die Stimme des Hasses oder der Bosheit, noch auf die der Furcht oder der Zuneigung; sich zu entscheiden nach den Belastungsgründen und den Vertheidigungsmitteln, nach Ihrem Gewissen und ihrer innigsten Zuneigung, mit der Unpartheilichkeit und Festigkeit, die einem braven und freien Manne geziemen.“

Jeder Geschworene, vom Präsidenten einzeln aufgerufen, erhebt hierauf die Hand und antwortet: „Ich schwöre es!“

Freiligrath erschien umgeben von den Offizieren der Bürgergarde im Gerichtssale und nahm Platz in der Reihe der Vertheidiger. Hierauf verliest der Obersekretar den Antrag des Appellationsgerichtshofes zu Köln, wodurch Freiligrath vor die Assisen verwiesen worden; dann den Anklage-Akt, welchen wir vorher in wörtlicher Fassung mitgetheilt haben. Während die Worte: „Hoch auf den Barrikaden!“ verlesen wurden, erhob sich ein lauter Beifallsruf aus der Mitte der Zuhörer. Der Präsident ermahnte hierauf die Versammlung zur Ordnung, weil er sonst den Platz räumen lassen müsse. Nach dieser Bemerkung bleibt es ruhig.

Der Präsident wendet sich zu Freiligrath, indem er ihn um Namen, Stand und Wohnort fragt.

Freiligrath: Ich heiße Freiligrath, bin 38 Jahre alt, zu Detmold geboren und wohnte zuletzt in Düsseldorf.

Der Präsident ermahnt die Geschworenen, daß sie nach Pflicht und Gewissen zu prüfen und zu urtheilen hätten.

(Zu Freiligrath gewendet): Die Anklage, welche gegen Sie erhoben ist, lautet dahin, daß Sie in einer hiesigen Volks-Versammlung ein Gedicht: „die Todten an die Lebenden“ vorgetragen haben, worin Sie zum Umsturz der Verfassung und zum Bürgerkriege auffordern.

von Ammon I. erhebt sich, indem er sagt, daß der Thatbestand des vorliegenden Gedichtes in dem Vorlesen desselben liege, und der Angeklagte läugne nicht, dasselbe verfaßt zu haben. Vernähmen wir den Dichter selbst, so habe er gesagt, daß er es in der Absicht geschrieben habe, moralisch, friedlich einzuwirken; aber aus allem geht hervor, daß er den Umsturz der bestehenden Ordnung und zum Bürgerkriege habe herbeiführen wollen. – Er trägt hierauf an, die Zeugen zn vernehmen.

Die Zeugen erscheinen und der Präsident richtet an sie die Mahnung, nach Pflicht und Gewissen ihr Zeugniß abzugeben.

Präs. fragt Freiligrath, ob er der Verfasser des Gedichtes, „die Todten an die Lebenden“ sei, und ob das bei den Akten liegende Manuskript von seiner Hand herrühre und ob er das Gedicht bei Stübben in einer Versammlung vorgelesen. Hierauf antwortet der Angeklagte: Ja! es ist entweder am 1. August oder um diese Zeit gewesen.

Präs. Haben Sie selbst unaufgefordert das Gedicht vorgetragen, oder haben Sie es aufgefordert gethan?
Freil. Nein.
Präs. Haben Sie es gethan, um die Schulden des Volksklubs zu tilgen?
Freil. Deß weiß ich mich nicht mehr zu erinnern; aber es ist möglich, da der Klub sich in Schulden befand.
Präs. Haben Sie es drucken lassen?
Freil. Allerdings.
Präs. Bei wem?
Freil. Bei Buchdrucker Frank in der Neustraße.
Präs. Haben Sie es in Verlag gegeben?
Freil. Allerdings! Herrn Kampmann.
Präs. Wo sind die andern Eremplare geblieben?

Freil. Ich habe mich darum nicht kümmern können, da ich dieselbe dem Buchhändler Wienbrack in Leipzig überlassen habe.
Präs. Sie werden beschuldigt, die Person des Königs beleidigt und verläumdet und die Bürger direkt aufgereizt zu haben, die bestehende Verfassung umzustürzen?
Freil. Ich kann nur bei der bisher ausgesagten Aeußerung bleiben; es hat das Gedicht die Absicht, gegen die Reaction zu arbeiten, aber nur durch moralische Einwirkung. Was die Form des Gedichtes anbelangt, so mag mir beim Niederschreiben desselben der Pogasus [WS:Pegasus]durchgegangen sein; es ist dies Nichts, als poetische Licenz.

„Er wartet nur des Augenblicks“ ist nur eine Prophezeihung, ist nur in die Zukunft gesprochen.

Präs.: Die Stelle: „O Volk, und immer Friede nur in deines Schurzfell’s Falten“ meint die Anklage, daß sie zum Kampfe auffordere.

Freil.: Es ist dies nur ein Bild. Wie kann ein solches Bild gebraucht werden für den wirklichen Krieg; denn aus dem Schurzfelle ist der Krieg nicht herauszuschütteln und es spricht diese Stelle dafür, daß ich einen moralischen Kampf gewollt.

Präs.: Es kann diese Allegorie doch dahin gehen. Die Worte: „Laß deinen Ruf: „die Republik!“ die Glocken überdröhnen“ ist von der Anklage hervorgehoben worden, weil es scheint, als habe die Bewaffnung, welche Sie wollen, nicht dem Schutze, sondern dem Angriffe gegolten.

Freil.: Es fragt sich, ob diese Stelle ein Ruf zur Bewaffnung gegen die bestehende Ordnung sei.

Präs.: Ist die Stelle: „Gehobnen Armes, weh’nden Haar’s dasteht er wild und prächtig!“ eine Prophezeiung?

Freil.: Ja. Die Worte „darinn wir liegen strack und starr, ganz eine freie werde“ sind aus dem Zusammenhange gerissen und können nur verstanden werden, wenn von „Indessen“ . . . . begonnen wird. Es ist in die Zukunft gewiesen. So lange wartet, habe ich sagen wollen, bis die Stunde schlägt, bis die historische Nothwendigkeit ein Freiwerden herbeiführt. Das ist der ganze Commentar des Gedichtes.

Präs.: Der Inhalt des Gedichtes ist also der, daß Sie darinn zu einem Kampfe, aber zu einem moralischen auffordern, daß Sie unter dem Kriege nicht die physische Gewalt, sondern die moralischen Waffen verstehen. Ferner, daß in dem Gedichte eine Bezeichnung der zukünftigen Lage der Dinge sei und daß Sie daß Herz zu ergreifen gesucht haben und daß die Verwirklichung  einer Umgestaltung der Dinge durch die historische Nothwendigkeit herbeigeführt wäre. Ist das so?

Freil. Ja


oben





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Protokoll: Entstehung und Erscheinung 1848,
Verlag: Buddeus'sche Buchhandlung- und Kunsthandlung,
Düsseldorf

wikisource

Bild1: Porträt Ferdinant Freiligrath, 1851,
Urheber: Johann Peter Hasenclever (1810-1853) gemeinfre
i

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