Biografie
- Ferdinant Freiligrath
und
Anklage
wegen
hochverräterischen Unternehmungen
durch das Gedicht
"die
Todten an die Lebenden" des Ferdinant Freiligraths 1848
Stenografischer Bericht des
Prozesses - Seite 2
Anklagezustand
und
die vollständigen Assisenverhandlungen
über ihn.
Es
war in
den ersten Tagen des Augustes, als mit einem Male überall in unserer
Stadt ein
Gedicht von Ferdinand Freiligrath: „Die
Todten an die Lebenden“ —
genannt, gekauft, gelesen und besprochen wurde. Es machte dasselbe
solches
Aufsehen und nahm so sehr die öffentliche Meinung in Anspruch, daß wir
das
Erscheinen des Gedichtes wohl „ein politisches Ereigniß“ nennen dürfen.
Vielen
war das Gedicht eine unwillkommene Gabe, viele dagegen begrüßten es;
Alle aber
sprachen die gleiche Besorgniß aus, der Dichter könne leicht dadurch
auf einige
Zeit in Untersuchungshaft gebracht werden. Bald aber schwand diese
Besorgniß,
als man eine Woche und die zweite verfließen sah, ohne daß es auch nur
verlautet hätte, Freiligrath werde zur Untersuchung gezogen.
Der Dichter ging frei
unter uns umher, lebte zufrieden im Kreise seiner Familie und beglückt
durch
den Umgang mit Freunden, die ihm mit ganzem Herzen anhingen. Hatte man
jedoch
Kunde davon gehabt, was in den Rathskammern des Königlichen
Gerichtshofes
vorging und daß dort über Freiligrath’s Wohl und Wehe
Verhandlungen gepflogen, so würde die
Verhaftung des Dichters nicht so ganz unerwartet gekommen sein.
Der
Oberprokurator Schnaase hatte alsbald nach dem Erscheinen des
Gedichtes sich
gegen die in demselben ausgesprochenen Meinungen und Aeußerungen
erhoben, um
den Verfasser desselben in Anklagezustand zu versetzen. Er stellte
demgemäß an
den L.-G.-Rath Merremfolgenden Antrag, den wir in wörtlicher
Fassung
mittheilen:
Es
wird in hiesiger Stadt seit vorgestern ein Gedicht mit der
Ueberschrift: „die
Todten an die Lebenden“, gedruckt in
der hiesigen Franck'schen Buchdruckerei und mit der Unterschrift des
Verfasser's Ferdinand Freiligrath für 1 Sgr. verkauft und
vielfach verbreitet. –
Dasselbe enthält eine directe Aufreizung der Bürger, die Regierung
umzustürzen
und zu verändern – und sich gegen die königliche Gewalt zu bewaffnen.
Sie ist
namentlich in folgenden Versen enthalten:
«O
Volk und immer Friede nur in deines Schurzfell’s Falten?
„Sag’ an, birgt es nicht auch den Krieg? den Krieg herausgeschüttelt!
„Den zweiten Krieg, den letzten Krieg mit Allem, was dich büttelt,
„Lass deinen Ruf: „die Republik" die Glocken überdröhnen,
„Die diesem allerneuesten Johannesschwindel tönen!
und
ferner in den Versen, wo der Grimm des Volkes angeredet wird:
„Er
wartet nur des Augenblicks: dann springt er auf allmächtig,
Gehob’nen Armes, weh’nden Haar’s, da steht er wild und prächtig!
Die rost’ge Büchse legt er an, mit Fensterblei geladen,
Die rothe Fahne
läßt er weh’n, hoch auf den Barrikaden!
Die Throne geh’n in Flammen auf, die Fürsten flieh’n zum Meere u. s. w.
Das
Gedicht enthält ferner die stärksten Beleidigungen und Verläumdungen
Sr.
Majestät des Königs. – Kennt unser Gesetzbuch auch die
Majestätsbeleidigung
nicht als ein besonderes Verbrechen, so kann doch der König des
Schutzes nicht
beraubt werden, den jeder Bürger genießt; er ist die erste
Magistratsperson des
Landes, wenn man ihn nicht höher stellt. –
Der
Verfasser spricht zwar nicht in eigenem Namen, sondern legt die Worte
den
Todten, den bei den Barrikaden Kämpfenden und in Berlin Gebliebenen in
den
Mund.
Es
kann dies aber natürlich ihn nicht von der Verantwortlichkeit befreien,
da er
es ist, der diese strafbaren Reden verkündigt, und die ganze Haltung
des
Gedichtes keinen Zweifel übrig läßt, daß er die vorgetragenen Ansichten
und
Aufforderungen zu den seinigen macht. –
Eben
so wenig kann die dichterische Form die Provokation der Verfolgung
entziehen,
da man nicht behaupten kann, daß sie die verbrecherische Absicht und
den
verbrecherischen Erfolg ausschließen.
Ich
stelle daher ein Exemplar dieses Gedichtes dem Herrn J. R.
Landgerichtsrath Merrem mit dem Antrage zu, wider den
Verfasser F. Freiligrathauf
den Grund des Art. 102, 222 und 367 des St.-G.-B. die Untersuchung
einzuleiten,
ihn mittels Vorführungsbefehl zu constituiren und denselben in einem
Verwahrungsbefehl zu verwandeln, die in der Franck’schen Druckerei oder
in der
Wohnung des Beschuldigten noch vor¬handenen Eremplare mit Beschlag zu
belegen.
Daß Freiligrath wirklich der Verfasser
ist, wird er nicht läugnen,
event. durch Beschlagnahme des Manuscrip’s an beiden angegebenen Orten
erwiesen
werden. Er hat aber in der Versammlung des Volksklub’s am 1. August in
Gegenwart von wenigstens 100 Personen in dem Wirthshause bei Stübben am
Bahnhofe das Gedicht als das seinige vorgelesen und bekannt gemacht,
daß er den
Reinertrag des Verkaufs der Kassa dieses Klubs zuwende. Zeugen dieses
Hergangs
sind zunächst die Vorstands-Mitglieder dieses
Klubs, Rockmann und Kaulen, doch
werden auch noch viele andere Zeugen leicht ermittelt werden können.
Düsseldorf, den 4. August 1848.
(gez.) Schnaase.
L.-G.-R. Merrem erstattete auf diesen
Antrag des Oberprokurator’s
gleich der königlichen Rathskammer, bestehend aus den
Herren: Scriba,
Präsident, Voßen, L.-G.-Rath, von Schmitz,
Pfeffer Assessoren und Weber Aktuar, Vortrag
welche folgendermaßen entschied: In Erwägung, daß in dem genannten
Gedichte
eine direkte Aufreizung im Sinne des Artikel 102. des St.-G.-B. nicht
enthalten
ist,
daß
die Beleidigung der K. Majestät nach dem St.-G.-B. nicht strafbar
erscheint,
und der König keine Magistrats-Person ist,
Aus diesen Gründen
beschließt
die Rathskammer des K. Landgerichtes, daß kein Grund zur Einleitung
einer
Untersuchung vorhanden.
Düsseldorf, den 4. August 1848.
(gez.) Scriba, Merrem, Voßen, v. Schmitz, Pfeffer,
Weber Aktuar.
Die
Staatsbehörde sah sich aber veranlaßt, gegen diesen Beschluß der
Rathskammer zu opponiren und die Anklage an den Anklagesenat
zu Köln zu bringen.
Die
Staatsbehörde daselbst zog den Antrag zur Berathung und erließ
folgenden,
wörtlich mitgetheilten
Antrag:
Köln,
den 7. August 1848.
Zur
Untersuchungssache contra Freiligrath J. E. betr. die
Anwendbarkeit des Art. 102. d. St.-G.-B.,
daß dieser Artikel sowohl nach seinem Wortsinne als nach dem bekannten
Gange
der Gesetzgebung, nur die direkte Aufforderung zu dem Art. 86. bis 101
des
St.-G.-B. vorgesehenen Verbrechen bestraft, und zu der im Art. 293. des
St.-G.-B. vorgesehenen Provokation zu Verbrechen überhaupt keine nähere
Beziehung hat, daß im vorliegenden Gedichte die Zeilen:
O,
Volk, etc., wenn man sie aus dem Zusammenhange
herausreißt, sich zwar als eine Provokation zum Bürgerkriege deuten
lassen, daß
derselbe aber in ihrem wirklichen Zusammenhange vielmehr die Klage über
die
augenblickliche Zwecklosigkeit einer Provokation ausdrücken, und diese
Klage
eben so wenig als die weitere Prophezeihung von späterem Bürgerkriege
eine
direkte Aufforderung zu diesem darstellen, aus dem Umstande aber, daß
auf
diesem Wege eine Umgehung des Strafgesetzes versucht, und erreicht
werden mag,
nicht eine ausdehnende Auffassung des letzteren deduzirt werden darf;
betr. die
Anwendbarkeit des Art. 222 Str.-G.-B. daß nach dem bestehenden
Staatsrecht der
König nicht eine bloße Magistratsperson ist, dies auch am wenigsten
sich daraus
herleiten läßt, daß der König die Quelle der Magistratur ist, daß, wenn
hierin
eine Lücke der Gesetzgebung gefunden wird, die Ausfüllung derselben der
gesetzgebenden Gewalt überbleiben muß.
Aus
diesen Gründen trage ich an:
der
Königl. A.-G.-Hof wolle die gegen den Rathskammer-Beschluß vom 4. d. M.
eingelegte Opposition als nicht begründet, verwerfen.
(gez.) Proff-Irnich.
Nichtsdestoweniger
erließ aber die Rathskammer zu Köln, bestehend aus den Herren
Appellations-Gerichtsräthen Krey (Präsident), v. Gerolt,
v. Fuchsius, v. Drüffel und Hermes, den Dichter F.
Freiligrath an den am
künftigen Monate hierselbst zusammentretenden Assisenhof mit dem
Anklageakt
verweisen, den wir hier in seinem offiziellen Charakter mittheilen:
Anklageact
gegen
Ferdinand Freiligrath,
38
Jahre alt, Schriftsteller geboren zu Detmold, zuletzt
in Düsseldorf wohnhaft.
_______________________________
Ein die Ueberschrift: „Die Todten an die
Lebenden“ führendes Gedicht bildet den
Gegenstand der Anklage nach welcher in demselben eine directe
Aufreizung der
Bürger zur Bewaffnung gegen die landesherrliche Macht und zum Umsturze
der
bestehenden Staatsverfassung enthalten ist.
Der
Angeklagte hat sich als Verfasser dieses, auch mit seinem Namen
unterzeichneten, Gedichtes bekannt, und zugegeben, daß er dasselbe in
der Frank’schen Buchdruckerei zu Düsseldorf in 9000 Exemplaren
habe drucken lassen, daß er davon 1000 Exemplare an die Buchhandlung
vonKampmann daselbst verkauft; – über den Verbleib der übrigen
8000 Exemplare hat er Auskunft zu geben verweigert, – und daß er es als
das
seinige in der, wie er glaubt, am 1. August dieses Jahres in dem
Wirthshause von Stübben in
Düsseldorf Statt gefundenen zahlreich besuchten Versammlung des
Volksklubs
vorgelesen habe.
Die
wider ihn erhobene Beschuldigung, durch das Vortragen des Gedichts in
einer
öffentlichen Versammlung, so wie durch dessen Druck die Bürger direct
aufgereizt zu haben, sich gegen die landesherliche Macht zu bewaffnen,
auch die
bestehende Staatsverfassung umzustürzen, hat er von sich abgelehnt, und
bemerkt, daß der Gegenstand des Gedichtes der sei, den Contrast
zwischen den
Zuständen und Aussichten des März und zwischen der neuesten Lage der
Dinge
darzustellen, und seine Absicht dabei die gewesen sei, durch diese
Darstellung
das Volk aufzuwecken und zu ermannen zu
einem moralischen Kampfe gegen die ihm angethane Unbill.
Dieses
Gedicht, welches im Manuscript sowohl, als in mehreren Exemplaren bei
den Acten
liegt, welches zum Besten des Volksklubs in Düsseldorf gedruckt und für
einen
Silbergroschen verkauft worden ist, enthält aber das Gegentheil von
dem, was
der Angeklagte ihm unterlegen will.
Zunächst
läßt derselbe die auf den Barrikaden in Berlin Gefallenen vor dem
königlichen
Schlosse und dem Anblicke des Königs erscheinen, den er schmäht,
verhöhnt und
verflucht. Sodann spricht er seinen Tadel darüber aus, daß feig
verscherzt
worden, was die Gefallenen trotzig errungen hätten und fordert direct
zum
Kriege und zum Umsturz der Verfassung mit folgenden Worten auf:
„O
Volk, und immer Friede nur in deines Schurzfells Falten!
Sag an, birgt es nicht auch den Krieg? Den Krieg herausgeschüttelt!
Den zweiten Krieg, den letzten Krieg mit Allem, was dich büttelt.
Laß deinen Ruf: „Die Republik!“ die Glocken überdröhnen,
Die diesem allerneuesten Johannesschwindel tönen!“
Eine
ähnliche Aufforderung findet sich sodann in den Versen, wo der Grimm,
der rothe
Grimm des Volkes angeredet und gesagt ist:
„Zuviel
des Hohns, zu viel der Schmach wird täglich Euch geboten:
Euch muß der
Grimm geblieben sein — o, glaubt es uns, den Todten!
Er blieb euch! ja, und er erwacht! er wird und muß erwachen!
Die halbe Revolution zur ganzen wird er machen!
Er wartet nur des Augenblicks: dann springt er auf allmächtig;
Gehob’nen Armes, weh’nden Haars da stehter wild und prächtig
Die rost’ge Büchse legt er an, mit Fensterblei geladen;
Die rothe Fahne läßt er weh’n hoch auf den Barrikaden,
Sie fliegt voran der Bürgerwehr, sie flegt voran dem Heere –
Die Throne geh’n in Flammen auf, die Fürsten flieh’n zum Meere!
Die Adler fliehn, die Löwen fliehn: die Klauen und die Zähne! –
Und seine Zukunft bildet selbst das Volk, das souveräne!
O, steht gerüstet! seid bereit! etc. etc.
Diese
Worte stehen mit dem, was der Angeklagte zu seiner Vertheidigung
angeführt hat,
in geradem Widerspruch. Nicht zu einem moralischen Kampfe, sondern
unter die
rothe Fahne zu den Waffen, zum Kriege, zur Revolution, zum Umsturz der
Throne,
zur Vertreibung der Fürsten und zum Ruf: „die Republik" fordert er das
Volk auf, um, als das souveräne seine Zukunft selbst zu bilden.
Demnach
wird Ferdinand Freiligrath angeklagt: „im August d. J. durch
das Vortragen des
von ihm verfaßten Gedichtes „Die Todten an die Lebenden“ in einer
öffentlichen
Versammlung zu Düsseldorf, so wie auch durch den Druck desselben die
Bürger
direct aufgereizt zu haben, sich gegen die landesherrliche Macht zu
bewaffnen,
auch die bestehende Staatsverfassung umzustürzen.
Verbrechen
gegen Art. 102 und 87 des Straf-Gesetzbuchs.
Köln, den
18. Sept. 1848.
Der
General-Prokurator
beim
Königlich Rheinischen Appellations-Gerichtshofe.
(gez.) Nicolovius.
Nachdem
somit die Aktenstücke mitgetheilt und wir
dahin gekommen sind, wo der Appellationsgerichts- hof den Dichter dem
Assisenhof
zu Düsseldorf überwiesen, gehen wir nunmehr zu den Verhandlungen selbst
über.
Der
3. Oktober 1848
war
für die Prozedur bestimmt. Mehrere Tage vor diesen Verhandlungen war in
einer
vertraulichen Unterredung der obersten Gerichtsbehörde und des Chefs
der
Bürgergarde darüber sorgfältig Rede gewesen, auf welche Weise ein Mann,
wie
Freiligrath, vor Gericht geführt, da derselbe besondere
Berücksichtigung finden
müsse und dürfe. Das schöne Resultat dieser Besprechung fiel dahin aus,
daß der
Dichter, der nicht als einVerbrecher vor den Gerichtshof geführt
werden
könne, von Offizieren der Bürgerwehr eingeführt und nicht seinen Sitz
auf der
s. g. „armen Sünderbank“, sondern auf einem Stuhle in der Reihe seiner
Verteidiger nehmen solle. Außerdem waren in dem Gerichtslokale 50
Bürgergardisten zur Handhabung der Ordnung aufgestellt, damit die
Verhandlungen
einen ruhigen, würdevollen Fortgang nehmen könnten. In der Stadt waren
an
verschiedenen Stellen Bürgergardisten, deren Anzahl sich auf 300
belief, beordert,
damit das Militär nicht Anlaß fände, sich in Hinblick auf etwaige
unruhige
Auftritte, aufzustellen; ebenso hatte man auf allen polizeilichen
Succurs
verzichtet.
________________
Der
Gerichtshof, bestehend aus dem
Appellationsgerichtsrath Broicher aus Köln als
Präsident, Schramm Kammerpräsident, den
Landgerichtsräthen Bertrab,
Vossen, von Schmitz und Menken Assessoren
und dem Staatsprokurator von Ammon I. als stellvertretenden
Oberprokurator, der das
öffentliche Ministerium versah, hatte um 81/2 Uhr Platz
genommen. Greffier war Herr Obersekretär Tiery. Als
Vertheidiger hatte sich Freiligrath die Adv.-Anw. Eduard
Meyer aus Köln und Weiler II. aus
Düsseldorf erwählt.
Nachdem der
Gerichtsschreiber auf die Aufforderung des
Präsidenten das namentliche Verzeichniß der Geschworenen, die dem
Beschuldigten, wie auch seinen Vertheidigern, vorher mitgetheilt waren,
vorgelesen hatte, schritt der Präsident zur Bildung des
Geschworenen-Gerichtes
durch das Loos, nachdem er darauf hingewiesen, daß der Angeschuldigte,
so wie
das öffentliche Ministerium deren zu reküsiren Berechtigung habe.
Nachdem so
die Verlosung stattgefunden und von der Staatsbehörde 9 und von den
Vertheidigern 10 rekusirt worden, war das Geschworene-Gericht gebildet
und
bestand aus: Steprath, Ziegler,
Havers, Kaufmann, Schuppers, Clören, Hurtig-Horst, Meyer, Schmitz,
Engers,
Borbach, Schulz.
Der
Präsident richtet nun an die Geschworenen, welche sich erheben,
folgende
Anrede!
„Meine
Herren Geschworenen! Sie schwören und geloben vor Gott und den
Menschen, mit
der gewissenhaftesten Aufmerksamkeit die Belastungsgründe zu prüfen,
welche
gegen F. Freiligrath vorgebracht werden sollen; nicht zu
verrathen das Interresse des
Angeklagten noch das der bürgerlichen Gesellschaft, welche ihn anklagt;
mit
Niemanden Rücksprache zu nehmen, bevor sie ihren Ausspruch gethan
haben, nicht
zu hören auf die Stimme des Hasses oder der Bosheit, noch auf die der
Furcht
oder der Zuneigung; sich zu entscheiden nach den Belastungsgründen und
den
Vertheidigungsmitteln, nach Ihrem Gewissen und ihrer innigsten
Zuneigung, mit
der Unpartheilichkeit und Festigkeit, die einem braven und freien Manne
geziemen.“
Jeder
Geschworene, vom Präsidenten einzeln aufgerufen, erhebt hierauf die
Hand und
antwortet: „Ich schwöre es!“
Freiligrath erschien
umgeben von den Offizieren der Bürgergarde im
Gerichtssale und nahm Platz in der Reihe der Vertheidiger. Hierauf
verliest der Obersekretar den Antrag des
Appellationsgerichtshofes zu Köln, wodurch Freiligrath vor
die Assisen verwiesen worden; dann den Anklage-Akt, welchen wir
vorher in wörtlicher Fassung mitgetheilt haben. Während die Worte:
„Hoch auf
den Barrikaden!“ verlesen wurden, erhob sich ein lauter Beifallsruf aus
der
Mitte der Zuhörer. Der Präsident ermahnte hierauf die Versammlung zur
Ordnung,
weil er sonst den Platz räumen lassen müsse. Nach dieser Bemerkung
bleibt es
ruhig.
Der
Präsident wendet sich zu Freiligrath,
indem er ihn um Namen, Stand und Wohnort fragt.
Freiligrath:
Ich heiße Freiligrath, bin 38 Jahre alt, zu Detmold geboren und wohnte
zuletzt
in Düsseldorf.
Der
Präsident ermahnt die Geschworenen, daß sie nach Pflicht und Gewissen
zu prüfen
und zu urtheilen hätten.
(Zu Freiligrath gewendet): Die Anklage,
welche gegen Sie erhoben ist,
lautet dahin, daß Sie in einer hiesigen Volks-Versammlung ein Gedicht:
„die
Todten an die Lebenden“ vorgetragen haben, worin Sie zum Umsturz der
Verfassung
und zum Bürgerkriege auffordern.
von
Ammon I. erhebt sich, indem er sagt, daß der Thatbestand des
vorliegenden Gedichtes in dem Vorlesen desselben liege, und der
Angeklagte
läugne nicht, dasselbe verfaßt zu haben. Vernähmen wir den Dichter
selbst, so
habe er gesagt, daß er es in der Absicht geschrieben
habe, moralisch, friedlich einzuwirken; aber aus allem geht
hervor, daß er den
Umsturz der bestehenden Ordnung und zum Bürgerkriege habe herbeiführen
wollen.
– Er trägt hierauf an, die Zeugen zn vernehmen.
Die
Zeugen erscheinen und der Präsident richtet an sie die Mahnung, nach
Pflicht
und Gewissen ihr Zeugniß abzugeben.
Präs. fragt Freiligrath, ob er der
Verfasser des Gedichtes, „die Todten an
die Lebenden“ sei, und ob das bei den Akten liegende Manuskript von
seiner Hand
herrühre und ob er das Gedicht bei Stübben in einer
Versammlung vorgelesen. Hierauf antwortet der
Angeklagte: Ja! es ist entweder am 1. August oder um diese Zeit gewesen.
Präs. Haben
Sie
selbst unaufgefordert das Gedicht vorgetragen, oder haben Sie es
aufgefordert
gethan?
Freil. Nein.
Präs. Haben
Sie
es gethan, um die Schulden des Volksklubs zu tilgen?
Freil. Deß
weiß
ich mich nicht mehr zu erinnern; aber es ist möglich, da der Klub sich
in
Schulden befand.
Präs. Haben
Sie
es drucken lassen?
Freil. Allerdings.
Präs. Bei wem?
Freil. Bei
Buchdrucker Frank in
der Neustraße.
Präs. Haben Sie
es in Verlag gegeben?
Freil. Allerdings!
Herrn Kampmann.
Präs. Wo sind
die andern Eremplare geblieben?
Freil. Ich
habe
mich darum nicht kümmern können, da ich dieselbe dem
Buchhändler Wienbrack in Leipzig überlassen habe.
Präs. Sie
werden
beschuldigt, die Person des Königs beleidigt und verläumdet und die
Bürger
direkt aufgereizt zu haben, die bestehende Verfassung umzustürzen?
Freil. Ich kann
nur bei der bisher ausgesagten Aeußerung bleiben; es hat das Gedicht
die
Absicht, gegen die Reaction zu arbeiten, aber nur durch moralische
Einwirkung.
Was die Form des Gedichtes anbelangt, so
mag mir beim Niederschreiben desselben
der Pogasus [WS:Pegasus]durchgegangen sein; es ist dies Nichts,
als poetische
Licenz.
„Er wartet nur
des Augenblicks“ ist nur eine
Prophezeihung, ist nur in die Zukunft gesprochen.
Präs.:
Die Stelle: „O Volk, und immer Friede nur in deines Schurzfell’s
Falten“ meint
die Anklage, daß sie zum Kampfe auffordere.
Freil.:
Es ist dies nur ein Bild. Wie kann ein solches Bild gebraucht werden
für den
wirklichen Krieg; denn aus dem Schurzfelle ist der Krieg nicht
herauszuschütteln und es spricht diese Stelle dafür, daß ich
einen moralischen Kampf gewollt.
Präs.:
Es kann diese Allegorie doch dahin
gehen. Die Worte: „Laß deinen Ruf: „die Republik!“ die Glocken
überdröhnen“ ist
von der Anklage hervorgehoben worden, weil es scheint, als habe die
Bewaffnung,
welche Sie wollen, nicht dem Schutze, sondern dem Angriffe gegolten.
Freil.:
Es fragt sich, ob diese Stelle ein Ruf zur Bewaffnung gegen die
bestehende
Ordnung sei.
Präs.:
Ist die Stelle: „Gehobnen Armes, weh’nden Haar’s dasteht er wild und
prächtig!“
eine Prophezeiung?
Freil.:
Ja. Die Worte „darinn wir liegen strack und starr, ganz
eine freie werde“ sind aus dem
Zusammenhange gerissen und können nur verstanden werden, wenn von
„Indessen“ .
. . . begonnen wird. Es ist in die Zukunft gewiesen. So lange wartet,
habe ich
sagen wollen, bis die Stunde schlägt, bis die historische
Nothwendigkeit ein
Freiwerden herbeiführt. Das ist der ganze Commentar des Gedichtes.
Präs.:
Der Inhalt des Gedichtes ist also der, daß Sie darinn zu einem Kampfe,
aber zu
einem moralischen auffordern, daß Sie unter dem Kriege nicht die
physische
Gewalt, sondern die moralischen Waffen verstehen. Ferner, daß in dem
Gedichte
eine Bezeichnung der zukünftigen Lage der Dinge sei und daß Sie
daß Herz zu ergreifen gesucht haben und daß die
Verwirklichung einer Umgestaltung der Dinge durch die
historische
Nothwendigkeit herbeigeführt wäre. Ist das so?
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Protokoll: Entstehung und Erscheinung 1848,
Verlag: Buddeus'sche Buchhandlung- und Kunsthandlung,
Düsseldorf
wikisource
Bild1: Porträt
Ferdinant Freiligrath, 1851,
Urheber: Johann Peter Hasenclever (1810-1853) gemeinfrei
wikipedia
Logo:
Liebesakt, Studie, Schiele Egon. EJ: 1915 -
Gemeinfrei, Sammlung Leopold, Wien
zeno.org
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