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Literatur

04.2



Biografie - Ferdinant Freiligrath

und

Anklage

wegen hochverräterischen Unternehmungen durch das Gedicht

"die Todten an die Lebenden" des Ferdinant Freiligraths 1848



Stenografischer Bericht des Prozesses - Seite 3

Präs. läßt die Zeugen vorführen.

1. Zeuge Brandt, Privatsekretär.
Präs.: Sie kennen das Gedicht, die Todten an die Lebenden?
Brandt: Ja.
Präs.: Sie sind vorgeladen worden, um zu bezeugen, daß das Gedicht von dem Angeklagten in dem Volksklub vorgelesen worden.
Brandt: Ja, es ist vorgelesen worden.
Präs.: Ist er aufgefordert worden, dasselbe vorzulesen.
Brandt: Ja. Es wurde bekannt, daß Freiligrath ein Gedicht gemacht und die Freude, von ihm ein Gedicht zu vernehmen, hat uns bewogen, Freiligrath aufzufordern, dasselbe vorzulesen.
Präs.: Welchen Eindruck hat es auf Sie gemacht?
Brandt: Oh, es hat mir sehr gefallen. Es hat den Eindruck auf mich gemacht, den ein schönes Gedicht immer macht.
Präs. Hat es Sie nicht bewogen, zu wünschen, daß zur Gewalt geschritten würde?
Brandt. Nein, es hat mich nur aufgemuntert, ihm meinen Beifall zu zollen.
Präs. Ist das Freiligrath?
Brandt. Ja.

2. Zeuge Rockmann, Emil, Kaufmann.
Präs. Haben Sie den Angeklagten gekannt?
Rockmann. Ja.
Präs. Sie sind über die Vorlesung des Gedichtes schon vernommen worden. Sie kennen daher das Gedicht?
Rockm. Sehr genau.
Präs. Sie haben es gehört, wie es verlesen wurde?
Rockm. Ja.
Präs. Welchen Eindruck hat es auf Sie gemacht?

Rockm. Es hat auf mich den guten Eindruck gemacht, den es gemacht hat auf Jeden, der es verstanden hat.

Präs. Welchen Eindruck haben die angedeuteten Stellen auf die Versammlung gemacht?

Rockm. Ich hatte das Gedicht schon gelesen, ehe Freiligrath es vorgetragen, aber auf mich hat es den Eindruck gemacht, wie gesagt und auf die Versammlung hat es keinen aufreizenden Eindruck ausgeübt. Es hat den Eindruck gemacht, welchen ein großes Geistesproduct nur machen kann, da es Wahrheiten enthält, worüber uns die Zeitungen bereits berichten. Von Aufreizungen, die daraus erfolgt sein sollen, kann nicht die Rede sein.

3. Zeuge. Frank, Karl, Buchdrucker.
Präs. Haben Sie Freiligrath früher gekannt?
Frank. Nein.
Präs. Sie haben das Gedicht gedruckt?
Frank. Ja.
Präs. Auf Rechnung des Dichters?
Frank. Ja, auf Rechnung des Dichters.
Präs. In wie viel Exemplaren?
Frank. 9000.
Präs. Haben Sie diese ihm ausgehändigt?
Frank. Ja!

4. Zeuge. Kampmann, Fr. M. Buchhändler.
Präs. Haben Sie den Angeklagten gekannt?
Kampn. Ja.
Präs. Sie kennen das Gedicht: „Die Todten an die Lebenden?“
Kampm. Ja.
Präs. Sie sollen 1000 Eremplare abgesetzt haben. Wo sind die andern geblieben?

Kampm. Ich habe sie theils nach Leipzig an Wienbrack abgegeben, theils auf dem Lande verkauft.

Adv.-Anw. Meyer trägt darauf an, daß die Frage nicht so gestellt werde, wie sie im Anklageakt stehe, dem Adv.-Anw. Weyler beitritt, welcher will, daß die Thatsache präcisirt werden müsse, ob es nämlich eine Aufregung mit oder ohne Erfolg sei.

Adv.-Anw. Meyer: Der Ausdruck, den unser Gesetzbuch für das im Anklageakt gebrauchte Wort: „Vortragen“ hat, ist discours; eine Rede scheint mir aber nicht stattgefunden zu haben. Es ist nie behauptet worden, daß eine Rede gehalten. Rede und Vortragen eines Gedichtes unterscheiden sich wesentlich; ein Gedicht, das an die Nation gewendet ist, ist nicht eine Rede; eine Rede ist an eine Versammlung gerichtet. Hätte man das festgehalten, so hätte der Verfasser des Anklageaktes den Ausdruck: „Vortragen“ nicht gebraucht. Sage ich Vortrag eines Gedichtes, so bezeichne ich nur die Action des Vortrags, womit ich den Inhalt des Gedichts vor die Versammlung bringe. Es ist aber klar, daß keine Rede gehalten worden.

Präs.: Die Anklage stellt Thatsachen dar und dieselbe stellt Nichts auf, als das Vorlesen des Gedichtes.

Adv.-Anw. Meyer: Die Frage muß aber so gestellt werden, daß die Herren Geschworenen dieselbe präcise haben, und das Gesetzbuch sagt, daß die Worte der Fragstellung genau gewählt werden müssen. Das Criterium des Druckes ist eine Thatsache und es muß in der Frage heißen: Ist der Angeklagte N. N. schuldig, durch den Druck des Gedichtes . . . .

Präs.: Trägt auf Aenderung der Frage an.

v. Ammon I.: Meine Herren Geschworenen!

Das Geschwornengericht, dieses mächtige Bollwerk der Freiheit, gehört schon seit langen Jahren zu den Institutionen unserer Rheinlande und hat dazu beigetragen, den Sinn für Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten, und es wird hoffentlich sich immer erhalten und von Ausartungen bewahrt werden. Nur in einer und zwar in einer höchst wichtigen Beziehung ist diese Form des Verfahrens bis dahin noch nicht zur Anwendung gekommen, bei politischen Verbrechen; doch dies gehört auch für uns zu den Errungenschaften der neuesten Zeit. Es ist nicht zu verkennen, daß es gerade bei diesen Verbrechen eine eigenthümliche Bedeutung hat, eine so eigenthümliche, daß sich gerade hieran die widersprechendsten Urtheile knüpfen; die einen forderten hier das Geschwornengericht, weil nur dadurch despotischen Uebergriffen entgegengewirkt werden könne, weil nur so die wahre Gesinnung des Volkes, nicht der todte Buchstabe des Gesetzes zur Ausführung gelangen könne, andere widersprachen. Denn, sagten sie, gerade bei politischen Verbrechen ist die Unbefangenheit, welche allein dem Angeklagten und dem Gesetze die nöthige Bürgschaft gibt, nicht leicht zu erwarten; an ihre Stelle wird die Leidenschaft und die Willkühr der Parteien treten. Je nachdem die Mitglieder des Geschwornengerichts sich zu einer oder der andern politischen Meinung hinneigen, werden sie den Schuldigen freisprechen oder den Unschuldigen der Strafe überliefern. – Ich glaube, m. H., daß die Vertheidiger und ihre Gegner von einem falschen Gesichtspunkte ausgehen, daß sie die Natur der politischen Verbrechen und die Würde des Geschwornengerichts verkennen. Wenn die Gesetze über politische Verbrechen nicht ungerecht, wenn sie nicht das Werk des crassesten Despotismus sind, werden auch die Geschwornen niemals in die Lage kommen, die Gränzen ihrer Wirksamkeit zu verkennen oder gar zu überschreiten. Ich halte es für nöthig, einige Bemerkungen über politische Verbrechen und die Strafgesetze vorauszuschicken, theils, weil Prozesse wie der vorliegende noch neu, theils, weil sie auch zu der Anklage, welche wir gegenwärtig behandeln, in engster Beziehung stehen.

Die politischen Verbrechen dürfen keine völlige Ausnahme von den allgemeinen Regeln der Strafbarkeit machen; sie unterliegen, wie alle anderen, den ewigen Grundsätzen des Rechts. Wenn je eine Gesetzgebung ihre Aufgabe so weit verkennen sollte, daß sie schon die Meinung vor ihr Forum zöge, dann freilich, m. H., wäre das ewige Recht der Macht der Parteien geopfert. So soll aber die Gesetzgebung nicht beschaffen sein und so sind auch unsere Gesetze nicht beschaffen. Die Meinung, die Ansicht des Einzelnen, jenes freie Erzeugniß geistiger Thätigkeit ist niemals strafbar, sie kann nie das Recht der bürgerlichen Gesellschaft verletzen. Die Strafbarkeit beginnt erst, wo die Meinung zur That wird und dann erst, wenn zur Durchführung der Meinung zu Mitteln gegriffen wird, die auch vor dem Richterstuhle der Moral verwerflich erscheinen. Doch das politische Verbrechen besteht daher in einem Gebrauche strafbarer Mittel zur Durchführung einer politischen Ansicht. Wer vor anderen seine politische Meinung zu rechtfertigen, andere von der Richtigkeit derselben zu überzeugen sucht, bedient sich keiner strafbaren Mittel, aber wer durch Handlungen der Gewalt seine Meinung durchsetzen, in den ruhigen Gang der geistigen Entwickelung eingreifen will, der bedient sich strafbarer Mittel, er verletzt das Recht seiner Mitbürger.

Ich berühre hier freilich einen Begriff, der oft gebraucht und vielfach verkannt worden ist, ich meine den Begriff der Revolution. Wagt man es, wird einer fragen, der Revolution entgegenzutreten, einem Ereignisse, unter deren Folgen wir leben. Ich habe die Antwort auf diese Frage nicht zu scheuen. Eine Revolution ist nicht die That eines Einzelnen, sie ist ein Ereigniß. Wenn durch eine Verkettung der Umstände die Dinge so verwickelt sind, daß die gesetzmäßige Entwickelung nicht mehr zum Ziele führt, dann tritt wohl ein gewaltsamer Umschwung ein, aber sie ist nicht die That, der Wille eines Einzelnen, sie ist der Ausdruck des Gesammtwillens. – Ich kann also als Regel feststellen, daß jede Art der Gewalt zur Durchführung einer politischen Ansicht, wenn sie die vereinzelte That eines oder mehrerer Einzelnen ist, das politische Verbrechen bildet. Diese Gewalt kann eine äußere sein, oder auch eine geistige, durch Einwirkung auf die Willensbestimmung Anderer. Dieser Fall liegt uns gegenwärtig vor und das Gesetz, auf welches die heutige Anklage sich gründet, lautet dahin:

„Alle diejenigen, welche durch an öffentlichen Orten oder in öffentlichen Versammlungen gehaltene Reden, oder mittelst angeschlagener Zettel oder gedruckter Schriften die Bürger oder Einwohner unmittelbar anreizen, die vorerwähnten Verbrechen zu begehen oder die erwähnten Komplotte zu machen, sollen als Mitschuldige an diesen Verbrechen und Komplotten bestraft werden. In diesen vorerwähnten Strafgesetzen, worauf der Artikel sich bezieht, ist der Attentate, der wirklichen Angriffe auf die Ordnung des Staats und der Komplotte, das heißt der Verabredungen zur Ausführung solcher Attentate gedacht.

Als Ziel solcher Attentate ist des Angriffs auf das Leben des Regenten und seiner Familie, der Aenderung oder Umsturz der Thronfolge oder der Staatsverfassung, des Widerstandes gegen die Regierungsgewalt, der Erregung des Bürgerkriegs und der Stiftung bewaffneter Banden zu staatsverbrecherischen Handlungen gedacht.

Wer hierzu direkt anreizt, der soll bestraft werden.

Eine Anreizung muß also stattgefunden haben, und dieser Anreiz muß ein direkter gewesen sein. Die Anreizung ist der Versuch, den Willen eines Anderen zu bestimmen, diese oder jene That zu begehen. Auch bei anderen Verbrechen ist die Anreizung strafbar; so betrachtet der Artikel des Strafgesetzbuchs als Mitschuldige eines Verbrechens, der durch Anschläge oder Kunstgriffe dazu gereizt hat. Aber hier wird die Anreizung nur bestraft, wenn die That wirklich ausgeführt ist. Anders bei politischen Verbrechen. Hier ist die Anreizung strafbar, wenn sie auch keinen Erfolg hat. Der Unterschied ist gewiß wahr begründet. Die Anreizung muß aber eine direkte gewesen sein, d. h. eine Sache, die geradezu unverrückt auf ihr Ziel losgeht, im Gegensatz der indirekten, die dasselbe Ziel aber durch Umwege zu erreichen sucht. Es ist keine Frage, daß die indirekte Aufreizung von den Verführern des Volks oft in Anwendung gebracht worden. Ich will ein berühmtes Beispiel anführen, indem ich an die Rede des Antonius erinnere, die er nach dem Morde des Cäsar dem Volke hielt, und durch die er unter allen Lobeserhebungen, die er den Mördern spendete, die Wuth des Volks aufs heftigste steigerte. Die direkte Anreizung dagegen verlangt eine unmittelbare, unzweideutige Rede. Vielleicht wird die Vertheidigung behaupten, daß die direkte Aufreizung nur vorhanden sei, wenn der Redner beabsichtige, unmittelbar nach dem Schluß seiner Rede zur Ausführung zu schreiten; Zeit und Ort braucht nicht bestimmt zu werden. Aber das Gesetz gibt keine Ansicht zu einer solchen Annahme; der Wortlaut ist dagegen, und die Strafbestimmuug, je nachdem die Aufforderung von einem Erfolge begleitet gewesen oder nicht. Eine schärfere Strafe soll eintreten, wenn der Anreiz einen Erfolg gehabt; daß aber dieser Erfolg ein unmittelbarer sein müsse, erwähnt das Gesetz nicht, und daher ist es unrichtig, unter direkter Anreizung nur den Fall zu verstehen, wo der Aufforderer in der Lage gewesen, unmittelbar zur Ausführung seines Vorhabens zu schreiten. Ich behaupte daher: eine direkte Aufreizung ist diejenige, die gerade und unverrückt und unzweideutig auf ihr Ziel losgeht.

Nach diesen Vorbemerkungen gehen wir zur Prüfung der Anklage selbst über.

Freiligrath ist unzweifelhaft der Verfasser des Gedichtes; er hat es selbst gesagt. Er hat es in der Versammlung vorgelesen und einem Drucker übergeben. Es fragt sich, ob dieses Gedicht eine Aufreizung zum Bürgerkrige [WS:Bürgerkriege] enthalte. Man höre:

O, Volk und immer Friede nur in deines Schurzfells Falten etc. . . . .

Zum Kriege wird aufgefordert, der, „was dich büttelt“ nämlich die Gesetze umstürzen soll; es wird aufgefordert zum Kampfe gegen die Bürger desselben Staates.

Die schauerliche Scene des Bürgerkriegs wird mit einer wahren Liebhaberei geschildert. Für jeden Moment soll der Ausbruch stattfinden. Aber mit Recht kann der Verfasser verlangen, daß das Ganze ins Auge gefaßt werde. Aus den Reden der Todten, die er sprechen läßt, sieht man aber, daß der Dichter dieselbe Ansicht hat. Der Dichter schwindet nicht aus der Reihe der Unzurechnungsfähigen, das würde unserer Poesie nicht zur Ehre gereichen. Die Dichter waren von jeher die Lehrer des Volks, sowohl zum Guten, als zum Bösen; er ist aber deshalb um so verantwortlicher. Mißbraucht er sie, ists gegen die Moral; wenn aber noch zur That, so fällt er in das Gebiet der Verbrecher. M H., ich will Ihre Leidenschaft nicht aufreizen, ich spreche zu Männern, die ihre Pflicht kennen. Nehmen wir an, das Ganze sei ein Werk dichterischer Phantasie, mußte es dann aber der Dichter nicht erkennen, als er es später las? Doch warf er diese Brandfackel in die Welt. In Ihre Hand, m. H. Geschworene, ist der Spruch gelegt; in dem Gedichte liegt die Aufreizung zum Umsturz der bestehenden Ordnung und in dieser Absicht hat der Verfasser es dem Drucke übergeben. Ich schließe diese Rede mit den Worten, welche in der Paulskirche gesprochen wurden: „Meine Herren, wenn Sie die Freiheit wollen, müssen Sie auch Ihr Maaß.“ – Ich trage daher auf das „Schuldig“ an.

Auf den Wunsch eines Geschworenen tritt eine Ruhe von 5 Minuten ein, nach welcher die Vertheidigung beginnt.

Adv. Anw. Meyer. – M. H. Geschworenen!

Sie haben eben aus dem klaren, bündigen Vortrage der Staatsbehörde eine Anklage gehört, eine Anklage, die den Verlust aller Rechte des Vaterlandes zur Folge hat und wogegen ich in die Schranken trete.

Mit Recht würde der Angeklagte der Rechte verlustig gehen, wenn es sein Wille gewesen, das zu vollbringen, wessen die Staatsbehörde ihn beschuldigt, und ich würde hier nicht in die Schranken treten. Aber ich thue es, und das Urtheil wird vernommen in ganz Deutschland über einen großen Dichter. Hören Sie, was ich für einen Angeklagten, den ich seit 10 Jahren meinen Freund nenne, empfinde. – Das öffentliche Ministerium hat den Wortlaut an die grammatische Bedeutung einzelner Stellen geknüpft, die aus dem Zusammenhange gerissen sind; ich werde dem öffentlichen Ministerium darthun, daß in dem Gedicht, im Zusammenhange gefaßt, Nichts Erschwerendes liegt; denn in der Politik war gestern etwas strafbar, was es heute nicht mehr ist. Ich werde auch auf den subjektiven Standpunkt des Dichters kommen.

Sie haben einzelne Stellen gehört, der Sinn kann nur im Ganzen liegen, nicht aus einzelnen Stellen gezogen werden. Als ich das Gedicht zuerst las, hat es auf mich einen ungünstigen Eindruck gemacht. Mir war die Beschreibung, welche diese Todten und Leichen entwarfen, zu craß; der rothe Grimm schien mir zu wild, zu craß, um ihn schön zu finden. Nachdem ich mich aber auf den Standpunkt des März gestellt, und ich wieder fühlte, was ich damals gefühlt und als ich mich in die Stellung des Dichters versetzte, habe ich die Schönheiten in dem Gedichte erkannt, ohne gerade die Grundgedanken desselben als meine Gedanken zu adoptiren.

Die Todten an die Lebenden
Juli 1848.

Die Kugel mitten in der Brust, die Stirne breit gespalten,
So habt ihr uns auf blut'gem Brett hoch in die Luft gehalten!
Hoch in die Luft mit wildem Schrei, daß unsre Schmerzgeberde
Dem, der zu tödten uns befahl, ein Fluch auf ewig werde!
Daß er sie sehe

So war’s! Die Kugel in der Brust, die Stirne breit gespalten,
So habt ihr uns auf schwankem Brett auf zum Altan gehalten!
Das Heer indeß verließ die Stadt, die sterbend wir genommen!
Dann „Jesus meine Zuversicht!“, wie ihr’s im Buch könnt lesen;
Ein „Eisen meine Zuversicht“ wär’ paßlicher gewesen!

Das ist das Gedicht in seinem Zusammenhange. Nun frage ich Sie, was ist der Inhalt dieses poetischen Ergusses? Die gefallenen Märzkämpfer klagen, daß Alles wieder verloren, was sie trotzig errungen; sie schließen dann die Klage an: „Auch Alles hast du gelitten!“ Hieran knüpft sich die Prophezeihung mit der Warnung: Bis zum Tage, wo zum zweitenmal sich das Ereigniß zeigt, bis dahin seiet besonnen und wachsam. Eine Aufreizung zur Waffengewalt gegen die Königliche Macht ist nicht darin enthalten.

Die Anklage hat nur einzelne Stellen herausgehoben und es wird sich zeigen, ob diese Stellen eine Aufreizung enthalten. Durch die Worte:

O, Volk und immer Friede . . . .

sagt das öffentliche Ministerium, will der Verfasser den Krieg; er wendet sich ans Volk, er will, daß er herausgeschüttelt werde.

„Die rost’ge Büchse legt er an“ . . . — das sei nur Krieg; ja, wenn es erlaubt wäre, Alles wegzulassen, was dazwische stehtn[WS:dazwischen steht].

Aber das öffentliche Ministerium hat es für gut gefunden, jenes wegzulassen. Die Stelle: „O, Volk“ etc. ist die Pointe der Klage; allerdings beschweren sich die Todten, daß man es duldet. Schüttelt den Krieg heraus! ist eine Redeform. Ich kann mich beschweren auf allerlei Weise; ich kann meine Klage so aussprechen, daß ich stürmisch fordere, was ich will.

Diese starke Form ist es, welche der Dichter gewählt hat. Gleich das nächste Wort heißt: Umsonst. – Wenn ich auffordere und ich weiß, daß meine Aufforderung keinen Erfolg gehabt und daß man keine Rücksicht darauf nehmen will, dann kann nicht der allergeringste Zweifel über diese Interpretation sein. Die berühmte Rede des Antonius am Grabe Cäsars, wurde behauptet, sei eine indirekte Aufreizung; aber es ist meine Ansicht, daß man direkt auffordert und die indirekte Form wählt. So bei Antonius: „Brutus sagt’s und Brutus ist ein ehrenwerther Mann.“

Wäre es den Todten nicht ernstlich gemeint gewesen, so würden wir das im Verlauf des Gedichts sehen. Erst von der Zukunft erwarten sie die Hülfe dessen, was sie wollen. Nicht liegt in jener Klage eine Aufforderung. Das Gesetz bestraft Gott sei Dank, keine indirekte Aufforderung, weil man sonst viele Ungerechtigkeit begehen könne. Es kommt nicht darauf an, ob die Aufforderung auf Umsturz oder Waffengewalt gezielt. Aber das rechtfertigt sich aus dem Texte des Gedichtes; der Dichter hat es Ihnen selbst gesagt, daß er das Wort „Krieg“ nur bildlich gewollt; und ich beehre mich, hierin mit der Staatsbehörde in Handgemenge zu treten. Es ist hier weder an Kanonen und Säbel zu denken. Ich fordere Sie auf, wenn Sie an ein Schurzfell schütteln und keine Waffen daraus fallen, sondern nur Sägemehl und Spreu, so werden Sie mit mir schon derselben Ansicht sein. Wird das Staatsgebäude durch das Schurzfell erschüttert, dann ist das Staatsgebäude nichts als ein Kartenhaus, das der Wind umstößt. (Beifall.) – Der Dichter hat das Herz aufwecken, die öffentliche Meinung wach rufen wollen, die mächtiger ist, als Tausend Barrikaden; denn Nichts vermögen diese, wenn jene nicht das Medusenschild entgegenwirft. Am 5. August ist die königliche Rathskammer derselben Ansicht gewesen. Ihr Antrag lautet so. (Er verlies’t denselben)

Gegen diesen Beschluß der Rathskammer hat Herr Ober-Prokurator Schnaase opponirt, und der Staatsprokurator des Appellationshofs hat sich gegen diese Opposition Schnaase’s erhoben, dieselbe zu verwerfen. (Er verliest dieses Aktenstück.) Der Oberprokurator hat sich bewogen gefunden, ohne Gründe die Klage dennoch an den Assisenhof zu bringen. Sie werden daher nicht das Schuldig aussprechen.

 Ich gehe zur zweiten Stelle über:

„die rothe Fahne läßt er weh’n . . . .

Was sagt der Dichter? Du Bürgerwehr folge der rothen Fahne? Hat er gesagt: Schließ dich der Revolution an?! Nein.

Die gefallenen Barrikadenkämpfer sehen wir im Traume einen zweiten Krieg in der Zukunft, auf den sie hinweisen. Wie kann hierin eine Aufforderung liegen. Ich kann zu Gewaltthat auffordern, wenn sie für die ferne Zukunft sei, das würde eine lächerliche Aufforderung sein. Die Barrikadenhelden sagen, daß es noch zu früh sei; die Zukunft werde das erfüllen, was unser Herz erfüllt; sie rufen: haltet euch wach. Conspiriren kann man nur für die Zukunft, Aufreizen nur für die Gegenwart. Es bleibt Jedem die Ueberzeugung, an die Prophezeihung zu glauben, und Cassandra ruft: „Folgt seit Iliums Tagen den Propheten.“

Ich könnte Sie an Prophezeiungen erinnern, die der Dichter, der hier auf der Anklagebank sitzt, vor 2 Jahren verkündet und die heute eingetroffen sind. Ich möchte Sie warnen, darüber nicht den Stab zu brechen, damit die Zukunft nicht richte über diesen Spruch. Das führt mich hinüber zu dem historisch-politischen Punkte in dem Gedichte. Das öffentliche Ministerium hat richtig gerechnet, wenn es von der Revolution spricht; wir stehen auf revolutionärem Boden, es ist ein provisorischer Zustand der Formen, die die konstitutionelle Monarchie hat. Die Gestalten der Zukunft gehören allen Parteien an und ein Jeder hat das Recht, allen Idealen nachzustreben; von einem Umsturz scheint mir nicht Rede zu sein.

Es muß gestattet sein, unsern Besitz so zu wahren wie wir ihn erhalten haben. Alle Statuten der Bürgerwehr deuten dahin, daß sie da sind zur Aufrechthaltung der März-Errungenschaft. In diesem Gedichte wird die Macht der Stimme in Anspruch genommen. Das Abnorme unserer Zustände ist, daß wir nichts Bestimmtes haben und dieser abnorme Zustand wird so lange dauern, bis eine feste Form an dessen Stelle getreten. M. H. blicken Sie eine Woche, einen Monat zurück auf die Märztage, so werden Sie Aufreizung zu Waffengewalt in Blättern finden, welche größer sind als das, was man in das Freiligrath’sche Gedicht hinein interpretirt hat. Ich will nicht anklagen, aber 117 u. 212 der Rh.- u. Moselztg. fordert zur Waffengewalt auf. Die kölnische Zeitung und die neue rheinische Zeitung dasselbe. Ist jene Redaktion, ist jener Correspondent, ist jener Antragsteller in Anklagezustand versetzt worden? Ist das in Köln, Koblenz, Mainz geschehen? Nein. Was dem einen Recht, ist dem andern billig. M. H. Sie werden auf die Annahme dieses Grundsatzes eingehen.

Ich würde erröthen, dem öffentlichen Ministerium den Verdacht zu unterstellen, als habe es gewollt, der Dichter sei eher strafbar, als ein andrer Schriftsteller, denn sonst wäre des Dichters Wort wahr:

„Der Dichtung Flamme ist allemal ein Fluch.“

der Freispruch bleibt unbedingt für ihn übrig.


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Protokoll: Entstehung und Erscheinung 1848,
Verlag: Buddeus'sche Buchhandlung- und Kunsthandlung,
Düsseldorf

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Bild1: Porträt Ferdinant Freiligrath, 1851,
Urheber: Johann Peter Hasenclever (1810-1853) gemeinfrei

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Logo 43: Liebesakt, Studie, Schiele Egon. EJ: 1915 -
Gemeinfrei, Sammlung Leopold, Wien

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