Biografie
- Ferdinant Freiligrath
und
Anklage
wegen
hochverräterischen Unternehmungen
durch das Gedicht
"die
Todten an die Lebenden" des Ferdinant
Freiligraths 1848
Stenografischer
Bericht des Prozesses - Seite 3
Präs. läßt
die
Zeugen vorführen.
1.
Zeuge Brandt, Privatsekretär.
Präs.:
Sie kennen das Gedicht, die Todten an die Lebenden?
Brandt:
Ja.
Präs.:
Sie sind vorgeladen worden, um zu bezeugen, daß das Gedicht
von dem Angeklagten
in dem Volksklub vorgelesen worden.
Brandt:
Ja, es ist vorgelesen worden.
Präs.:
Ist er aufgefordert worden, dasselbe vorzulesen.
Brandt:
Ja. Es wurde bekannt, daß Freiligrath ein
Gedicht gemacht und die Freude, von ihm ein Gedicht zu vernehmen,
hat uns bewogen, Freiligrath aufzufordern,
dasselbe vorzulesen.
Präs.:
Welchen Eindruck hat es auf Sie gemacht?
Brandt:
Oh, es hat mir sehr gefallen. Es hat den Eindruck auf mich gemacht, den
ein
schönes Gedicht immer macht.
Präs. Hat
es Sie
nicht bewogen, zu wünschen, daß zur Gewalt
geschritten würde?
Brandt. Nein,
es
hat mich nur aufgemuntert, ihm meinen Beifall zu zollen.
Präs. Ist
das Freiligrath?
Brandt. Ja.
2.
Zeuge Rockmann, Emil, Kaufmann.
Präs. Haben
Sie
den Angeklagten gekannt?
Rockmann. Ja.
Präs. Sie
sind
über die Vorlesung des Gedichtes schon vernommen worden. Sie
kennen daher das
Gedicht?
Rockm. Sehr
genau.
Präs. Sie
haben
es gehört, wie es verlesen wurde?
Rockm. Ja.
Präs. Welchen
Eindruck hat es auf Sie gemacht?
Rockm. Es
hat auf
mich den guten Eindruck gemacht, den es gemacht hat
auf Jeden,
der es verstanden hat.
Präs. Welchen
Eindruck haben die angedeuteten Stellen auf die Versammlung gemacht?
Rockm. Ich
hatte
das Gedicht schon gelesen, ehe Freiligrath es
vorgetragen, aber auf mich hat es den Eindruck
gemacht, wie gesagt und auf die Versammlung hat es keinen aufreizenden
Eindruck
ausgeübt. Es hat den Eindruck gemacht, welchen ein
großes Geistesproduct nur
machen kann, da es Wahrheiten enthält,
worüber uns die Zeitungen bereits berichten.
Von Aufreizungen, die daraus erfolgt sein sollen, kann nicht die Rede
sein.
3.
Zeuge. Frank, Karl, Buchdrucker.
Präs. Haben
Sie Freiligrath früher gekannt?
Frank. Nein.
Präs. Sie
haben
das Gedicht gedruckt?
Frank. Ja.
Präs. Auf
Rechnung des Dichters?
Frank. Ja,
auf
Rechnung des Dichters.
Präs. In
wie
viel Exemplaren?
Frank. 9000.
Präs. Haben
Sie
diese ihm ausgehändigt?
Frank. Ja!
4.
Zeuge. Kampmann, Fr. M. Buchhändler.
Präs. Haben
Sie
den Angeklagten gekannt?
Kampn. Ja.
Präs. Sie
kennen
das Gedicht: „Die Todten an die Lebenden?“
Kampm. Ja.
Präs. Sie
sollen
1000 Eremplare abgesetzt haben. Wo sind die andern geblieben?
Kampm. Ich
habe
sie theils nach Leipzig an Wienbrack abgegeben,
theils auf dem Lande verkauft.
Adv.-Anw. Meyer trägt
darauf an, daß die Frage nicht so gestellt
werde, wie sie im Anklageakt stehe, dem
Adv.-Anw. Weyler beitritt,
welcher will, daß die Thatsache präcisirt werden
müsse, ob es nämlich eine
Aufregung mit oder ohne Erfolg sei.
Adv.-Anw. Meyer:
Der Ausdruck, den unser Gesetzbuch für das im
Anklageakt gebrauchte
Wort: „Vortragen“ hat,
ist discours;
eine Rede scheint mir aber nicht stattgefunden zu haben. Es ist nie
behauptet
worden, daß eine Rede gehalten. Rede und Vortragen eines
Gedichtes
unterscheiden sich wesentlich; ein Gedicht, das an
die Nation gewendet ist, ist nicht eine Rede; eine
Rede ist an
eine Versammlung gerichtet. Hätte man das
festgehalten, so hätte der
Verfasser des Anklageaktes den Ausdruck:
„Vortragen“ nicht gebraucht. Sage ich
Vortrag eines Gedichtes, so bezeichne ich nur die Action des Vortrags,
womit
ich den Inhalt des Gedichts vor die Versammlung bringe. Es ist aber
klar, daß
keine Rede gehalten worden.
Präs.:
Die Anklage stellt Thatsachen dar und dieselbe stellt Nichts auf, als
das
Vorlesen des Gedichtes.
Adv.-Anw. Meyer:
Die Frage muß aber so gestellt werden, daß die
Herren Geschworenen dieselbe präcise haben, und das Gesetzbuch
sagt, daß die
Worte der Fragstellung genau gewählt werden müssen.
Das Criterium des Druckes
ist eine Thatsache und es muß in der Frage heißen:
Ist der Angeklagte N. N.
schuldig, durch den Druck des Gedichtes . . . .
Präs.:
Trägt auf Aenderung der Frage an.
v.
Ammon I.: Meine Herren Geschworenen!
Das Geschwornengericht,
dieses mächtige Bollwerk der Freiheit,
gehört schon
seit langen Jahren zu den Institutionen unserer Rheinlande und hat dazu
beigetragen, den Sinn für Recht und Ordnung aufrecht zu
erhalten, und es wird
hoffentlich sich immer erhalten und von Ausartungen bewahrt werden. Nur
in
einer und zwar in einer höchst wichtigen Beziehung ist diese
Form des
Verfahrens bis dahin noch nicht zur Anwendung gekommen, bei politischen
Verbrechen; doch dies gehört auch für uns zu den
Errungenschaften der neuesten
Zeit. Es ist nicht zu verkennen, daß es gerade bei diesen
Verbrechen eine
eigenthümliche Bedeutung hat, eine so eigenthümliche,
daß sich gerade hieran
die widersprechendsten Urtheile knüpfen; die einen forderten
hier das
Geschwornengericht, weil nur dadurch despotischen Uebergriffen
entgegengewirkt
werden könne, weil nur so die wahre Gesinnung des Volkes,
nicht der todte
Buchstabe des Gesetzes zur Ausführung gelangen könne,
andere widersprachen.
Denn, sagten sie, gerade bei politischen Verbrechen ist die
Unbefangenheit,
welche allein dem Angeklagten und dem Gesetze die nöthige
Bürgschaft gibt,
nicht leicht zu erwarten; an ihre Stelle wird die Leidenschaft und die
Willkühr
der Parteien treten. Je nachdem die Mitglieder des Geschwornengerichts
sich zu
einer oder der andern politischen Meinung hinneigen, werden sie den
Schuldigen
freisprechen oder den Unschuldigen der Strafe überliefern.
– Ich glaube, m. H.,
daß die Vertheidiger und ihre Gegner von einem falschen
Gesichtspunkte
ausgehen, daß sie die Natur der politischen Verbrechen und
die Würde des
Geschwornengerichts verkennen. Wenn die Gesetze über
politische Verbrechen
nicht ungerecht, wenn sie nicht das Werk des crassesten Despotismus
sind, werden
auch die Geschwornen niemals in die Lage kommen, die Gränzen
ihrer Wirksamkeit
zu verkennen oder gar zu überschreiten. Ich halte es
für nöthig, einige
Bemerkungen über politische Verbrechen und die Strafgesetze
vorauszuschicken, theils, weil Prozesse wie der vorliegende noch neu,
theils,
weil sie auch zu der Anklage, welche wir gegenwärtig
behandeln, in engster
Beziehung stehen.
Die
politischen Verbrechen dürfen keine völlige Ausnahme
von den allgemeinen Regeln
der Strafbarkeit machen; sie unterliegen, wie alle anderen, den ewigen
Grundsätzen des Rechts. Wenn je eine Gesetzgebung ihre Aufgabe
so weit
verkennen sollte, daß sie schon die Meinung vor ihr Forum
zöge, dann freilich,
m. H., wäre das ewige Recht der Macht der Parteien geopfert.
So soll aber die
Gesetzgebung nicht beschaffen sein und so sind auch unsere Gesetze
nicht
beschaffen. Die Meinung, die Ansicht des Einzelnen, jenes freie
Erzeugniß
geistiger Thätigkeit ist niemals strafbar, sie kann nie das
Recht der
bürgerlichen Gesellschaft verletzen. Die Strafbarkeit beginnt
erst, wo die
Meinung zur That wird und dann erst, wenn zur Durchführung der
Meinung zu
Mitteln gegriffen wird, die auch vor dem Richterstuhle der Moral
verwerflich
erscheinen. Doch das politische Verbrechen besteht daher in einem
Gebrauche
strafbarer Mittel zur Durchführung einer politischen Ansicht.
Wer vor anderen
seine politische Meinung zu rechtfertigen, andere von der Richtigkeit
derselben
zu überzeugen sucht, bedient sich keiner strafbaren Mittel,
aber wer durch
Handlungen der Gewalt seine Meinung durchsetzen, in den ruhigen Gang
der
geistigen Entwickelung eingreifen will, der bedient sich strafbarer
Mittel, er
verletzt das Recht seiner Mitbürger.
Ich
berühre hier freilich einen Begriff, der oft gebraucht und
vielfach verkannt
worden ist, ich meine den Begriff der Revolution. Wagt man es, wird
einer
fragen, der Revolution entgegenzutreten, einem Ereignisse, unter deren
Folgen
wir leben. Ich habe die Antwort auf diese Frage nicht zu scheuen. Eine
Revolution ist nicht die That eines Einzelnen, sie ist ein
Ereigniß. Wenn durch eine Verkettung der Umstände
die
Dinge so verwickelt sind, daß die
gesetzmäßige Entwickelung nicht mehr zum
Ziele führt, dann tritt wohl ein gewaltsamer Umschwung ein,
aber sie ist nicht
die That, der Wille eines Einzelnen, sie ist der Ausdruck des
Gesammtwillens. –
Ich kann also als Regel feststellen, daß jede Art der Gewalt
zur Durchführung
einer politischen Ansicht, wenn sie die vereinzelte That eines oder
mehrerer
Einzelnen ist, das politische Verbrechen bildet. Diese Gewalt kann eine
äußere
sein, oder auch eine geistige, durch Einwirkung auf die
Willensbestimmung
Anderer. Dieser Fall liegt uns gegenwärtig vor und das Gesetz,
auf welches die
heutige Anklage sich gründet, lautet dahin:
„Alle
diejenigen, welche durch an öffentlichen Orten oder in
öffentlichen
Versammlungen gehaltene Reden, oder mittelst angeschlagener Zettel oder
gedruckter Schriften die Bürger oder Einwohner unmittelbar
anreizen, die
vorerwähnten Verbrechen zu begehen oder die erwähnten
Komplotte zu machen,
sollen als Mitschuldige an diesen Verbrechen und Komplotten bestraft
werden. In
diesen vorerwähnten Strafgesetzen, worauf der Artikel sich
bezieht, ist der
Attentate, der wirklichen Angriffe auf die Ordnung des Staats und der
Komplotte, das heißt der Verabredungen zur
Ausführung solcher Attentate
gedacht.
Als Ziel solcher Attentate ist
des Angriffs auf das Leben des
Regenten und seiner Familie, der Aenderung oder Umsturz der Thronfolge
oder der
Staatsverfassung, des Widerstandes gegen die Regierungsgewalt, der
Erregung des
Bürgerkriegs und der Stiftung bewaffneter Banden zu
staatsverbrecherischen
Handlungen gedacht.
Wer
hierzu direkt anreizt, der soll bestraft werden.
Eine
Anreizung muß also stattgefunden haben, und dieser Anreiz
muß ein direkter gewesen
sein. Die Anreizung ist der Versuch, den Willen eines
Anderen zu bestimmen, diese oder jene That zu begehen. Auch bei anderen
Verbrechen
ist die Anreizung strafbar; so betrachtet der Artikel des
Strafgesetzbuchs als
Mitschuldige eines Verbrechens, der durch Anschläge oder
Kunstgriffe dazu
gereizt hat. Aber hier wird die Anreizung nur bestraft, wenn die That
wirklich
ausgeführt ist. Anders bei politischen Verbrechen. Hier ist
die Anreizung
strafbar, wenn sie auch keinen Erfolg hat. Der Unterschied ist
gewiß wahr
begründet. Die Anreizung muß aber
eine direkte gewesen sein, d.
h. eine Sache, die geradezu unverrückt auf ihr Ziel losgeht,
im Gegensatz der
indirekten, die dasselbe Ziel aber durch Umwege zu erreichen sucht. Es
ist
keine Frage, daß die indirekte Aufreizung von den
Verführern des Volks oft in
Anwendung gebracht worden. Ich will ein berühmtes Beispiel
anführen, indem ich
an die Rede des Antonius erinnere, die er nach dem Morde des
Cäsar dem Volke
hielt, und durch die er unter allen Lobeserhebungen, die er den
Mördern
spendete, die Wuth des Volks aufs heftigste steigerte. Die direkte
Anreizung
dagegen verlangt eine unmittelbare, unzweideutige Rede. Vielleicht wird
die
Vertheidigung behaupten, daß die direkte Aufreizung nur
vorhanden sei, wenn der
Redner beabsichtige, unmittelbar nach dem Schluß seiner Rede
zur Ausführung zu
schreiten; Zeit und Ort braucht nicht bestimmt zu werden. Aber das
Gesetz gibt
keine Ansicht zu einer solchen Annahme; der Wortlaut ist dagegen, und
die
Strafbestimmuug, je nachdem die Aufforderung von einem Erfolge
begleitet
gewesen oder nicht. Eine schärfere Strafe soll eintreten, wenn
der Anreiz einen
Erfolg gehabt; daß aber dieser Erfolg ein unmittelbarer sein
müsse, erwähnt das
Gesetz nicht, und daher ist es unrichtig, unter direkter Anreizung nur
den Fall
zu verstehen, wo der Aufforderer in der Lage gewesen, unmittelbar zur
Ausführung seines Vorhabens zu schreiten. Ich behaupte daher:
eine direkte Aufreizung ist diejenige, die gerade und
unverrückt und unzweideutig auf ihr Ziel losgeht.
Nach
diesen Vorbemerkungen gehen wir zur Prüfung der Anklage selbst
über.
Freiligrath ist
unzweifelhaft der Verfasser des Gedichtes; er hat es selbst gesagt. Er
hat es
in der Versammlung vorgelesen und einem Drucker übergeben. Es
fragt sich, ob
dieses Gedicht eine Aufreizung zum
Bürgerkrige [WS:Bürgerkriege] enthalte.
Man höre:
O,
Volk und immer Friede nur in deines Schurzfells Falten etc. . . . .
Zum
Kriege wird aufgefordert, der, „was dich
büttelt“ nämlich die Gesetze
umstürzen soll; es wird aufgefordert
zum Kampfe gegen die Bürger desselben Staates.
Die
schauerliche Scene des Bürgerkriegs wird mit einer wahren
Liebhaberei
geschildert. Für jeden Moment soll der Ausbruch stattfinden.
Aber mit Recht
kann der Verfasser verlangen, daß das Ganze ins Auge
gefaßt werde. Aus den
Reden der Todten, die er sprechen läßt, sieht man
aber, daß der Dichter
dieselbe Ansicht hat. Der Dichter schwindet nicht aus der Reihe der
Unzurechnungsfähigen, das würde unserer Poesie nicht
zur Ehre gereichen. Die
Dichter waren von jeher die Lehrer des Volks, sowohl zum Guten, als zum
Bösen;
er ist aber deshalb um so verantwortlicher. Mißbraucht er
sie, ists gegen die
Moral; wenn aber noch zur That, so fällt er in das Gebiet der
Verbrecher. M H.,
ich will Ihre Leidenschaft nicht aufreizen, ich spreche zu
Männern, die ihre
Pflicht kennen. Nehmen wir an, das Ganze sei ein Werk dichterischer
Phantasie,
mußte es dann aber der Dichter nicht erkennen, als er es
später las? Doch warf
er diese Brandfackel in die Welt. In Ihre Hand, m. H. Geschworene, ist
der
Spruch gelegt; in dem Gedichte liegt die Aufreizung zum Umsturz der
bestehenden
Ordnung und in dieser Absicht hat der Verfasser es dem Drucke
übergeben. Ich
schließe diese Rede mit den Worten, welche in der Paulskirche
gesprochen wurden: „Meine Herren, wenn Sie die Freiheit
wollen, müssen Sie auch
Ihr Maaß.“ – Ich trage daher auf das
„Schuldig“ an.
Auf
den Wunsch eines Geschworenen tritt eine Ruhe von 5 Minuten ein, nach
welcher
die Vertheidigung beginnt.
Adv.
Anw. Meyer. – M. H. Geschworenen!
Sie
haben eben aus dem klaren, bündigen Vortrage der
Staatsbehörde eine Anklage
gehört, eine Anklage, die den Verlust aller Rechte des
Vaterlandes zur Folge
hat und wogegen ich in die Schranken trete.
Mit
Recht würde der Angeklagte der Rechte
verlustig gehen, wenn es sein Wille gewesen, das zu vollbringen, wessen
die
Staatsbehörde ihn beschuldigt, und ich würde hier
nicht in die Schranken
treten. Aber ich thue es, und das Urtheil wird vernommen in ganz
Deutschland
über einen großen Dichter. Hören Sie, was
ich für einen Angeklagten, den ich
seit 10 Jahren meinen Freund nenne, empfinde. – Das
öffentliche Ministerium hat
den Wortlaut an die grammatische Bedeutung einzelner Stellen
geknüpft, die aus
dem Zusammenhange gerissen sind; ich werde dem öffentlichen
Ministerium
darthun, daß in dem Gedicht, im Zusammenhange
gefaßt, Nichts Erschwerendes
liegt; denn in der Politik war gestern etwas strafbar, was es heute
nicht mehr
ist. Ich werde auch auf den subjektiven Standpunkt des Dichters kommen.
Sie
haben einzelne Stellen gehört, der Sinn kann nur im Ganzen
liegen, nicht aus
einzelnen Stellen gezogen werden. Als ich das Gedicht zuerst las, hat
es auf
mich einen ungünstigen Eindruck gemacht. Mir war die
Beschreibung, welche diese
Todten und Leichen entwarfen, zu craß; der rothe Grimm schien
mir zu wild, zu
craß, um ihn schön zu finden. Nachdem ich mich aber
auf den Standpunkt des März
gestellt, und ich wieder fühlte, was ich damals
gefühlt und als ich mich
in die Stellung des Dichters versetzte, habe ich die
Schönheiten in dem
Gedichte erkannt, ohne gerade die Grundgedanken desselben als meine
Gedanken zu
adoptiren.
Die
Todten an die Lebenden
Juli
1848.
Die
Kugel mitten in der Brust, die Stirne breit
gespalten,
So
habt ihr uns auf blut'gem Brett hoch in die Luft gehalten!
Hoch
in die Luft mit wildem Schrei, daß unsre Schmerzgeberde
Dem,
der zu tödten uns befahl, ein Fluch auf ewig werde!
Daß
er sie sehe
So
war’s! Die Kugel in der Brust, die Stirne breit gespalten,
So
habt ihr uns auf schwankem Brett auf zum Altan gehalten!
Das Heer
indeß verließ die Stadt, die sterbend wir genommen!
Dann
„Jesus meine Zuversicht!“, wie ihr’s im
Buch könnt lesen;
Ein
„Eisen meine Zuversicht“ wär’
paßlicher gewesen!
Das
ist das Gedicht in seinem Zusammenhange. Nun frage ich Sie, was ist der
Inhalt
dieses poetischen Ergusses? Die gefallenen
Märzkämpfer klagen, daß Alles wieder
verloren, was sie trotzig errungen; sie schließen dann die
Klage an: „Auch
Alles hast du gelitten!“ Hieran knüpft sich die
Prophezeihung mit der Warnung:
Bis zum Tage, wo zum zweitenmal sich das Ereigniß zeigt, bis
dahin seiet
besonnen und wachsam. Eine Aufreizung zur Waffengewalt gegen die
Königliche
Macht ist nicht darin enthalten.
Die
Anklage hat nur einzelne Stellen herausgehoben und es wird sich zeigen,
ob
diese Stellen eine Aufreizung enthalten. Durch die Worte:
O,
Volk und immer Friede . . . .
sagt
das öffentliche Ministerium, will der Verfasser den Krieg; er
wendet sich ans
Volk, er will, daß
er herausgeschüttelt werde.
„Die
rost’ge Büchse legt er an“ . . .
— das sei nur Krieg; ja, wenn es erlaubt wäre,
Alles wegzulassen, was dazwische stehtn[WS:dazwischen steht].
Aber
das öffentliche Ministerium hat es für gut gefunden,
jenes wegzulassen. Die
Stelle: „O, Volk“ etc. ist die Pointe der Klage;
allerdings beschweren sich die
Todten, daß man es duldet. Schüttelt den
Krieg heraus! ist eine Redeform. Ich kann mich beschweren auf
allerlei Weise; ich kann meine Klage so aussprechen, daß ich
stürmisch fordere,
was ich will.
Diese
starke Form ist
es, welche der Dichter gewählt hat. Gleich das
nächste Wort heißt: Umsonst. –
Wenn ich auffordere und ich weiß, daß meine
Aufforderung keinen Erfolg gehabt
und daß man keine Rücksicht darauf nehmen will, dann
kann nicht der
allergeringste Zweifel über diese Interpretation sein. Die
berühmte Rede des
Antonius am Grabe Cäsars, wurde behauptet, sei eine indirekte
Aufreizung; aber
es ist meine Ansicht, daß man direkt auffordert und die
indirekte
Form wählt. So bei Antonius: „Brutus
sagt’s und Brutus ist ein ehrenwerther
Mann.“
Wäre
es den Todten nicht ernstlich gemeint gewesen, so würden wir
das im Verlauf des
Gedichts sehen. Erst von der Zukunft erwarten sie die Hülfe
dessen, was sie
wollen. Nicht liegt in jener Klage eine Aufforderung. Das Gesetz
bestraft Gott
sei Dank, keine indirekte Aufforderung, weil man sonst viele
Ungerechtigkeit
begehen könne. Es kommt nicht darauf an, ob die Aufforderung
auf Umsturz oder
Waffengewalt gezielt. Aber das rechtfertigt sich aus dem Texte des
Gedichtes; der
Dichter hat es Ihnen selbst gesagt, daß er das Wort
„Krieg“ nur bildlich
gewollt; und ich beehre mich, hierin mit der Staatsbehörde in
Handgemenge zu
treten. Es ist hier weder an Kanonen und Säbel zu denken. Ich
fordere Sie auf,
wenn Sie an ein Schurzfell schütteln und keine Waffen daraus
fallen, sondern
nur Sägemehl und Spreu, so werden Sie mit mir schon derselben
Ansicht sein.
Wird das Staatsgebäude durch das Schurzfell
erschüttert, dann ist das
Staatsgebäude nichts als ein Kartenhaus, das der Wind
umstößt. (Beifall.) – Der
Dichter hat das Herz aufwecken, die öffentliche Meinung wach
rufen wollen, die
mächtiger ist, als Tausend Barrikaden; denn Nichts
vermögen diese, wenn jene
nicht das Medusenschild entgegenwirft. Am 5. August ist die
königliche Rathskammer
derselben Ansicht gewesen. Ihr Antrag lautet so. (Er
verlies’t denselben)
Gegen
diesen Beschluß der Rathskammer hat Herr
Ober-Prokurator Schnaase opponirt, und der
Staatsprokurator des
Appellationshofs hat sich gegen diese Opposition Schnaase’s
erhoben, dieselbe
zu verwerfen. (Er verliest dieses Aktenstück.) Der
Oberprokurator hat sich
bewogen gefunden, ohne Gründe die Klage dennoch an den
Assisenhof zu bringen. Sie
werden daher nicht das Schuldig aussprechen.
Ich
gehe zur zweiten Stelle über:
„die
rothe Fahne läßt er weh’n . . . .
Was
sagt der Dichter? Du Bürgerwehr folge der rothen Fahne? Hat er
gesagt: Schließ
dich der Revolution an?! Nein.
Die
gefallenen Barrikadenkämpfer sehen wir im Traume einen zweiten
Krieg in der
Zukunft, auf den sie hinweisen. Wie kann hierin eine Aufforderung
liegen. Ich
kann zu Gewaltthat auffordern, wenn sie für die ferne Zukunft
sei, das würde
eine lächerliche Aufforderung sein. Die Barrikadenhelden
sagen, daß es noch zu
früh sei; die Zukunft werde das erfüllen, was unser
Herz erfüllt; sie rufen:
haltet euch wach. Conspiriren kann man nur für die Zukunft,
Aufreizen nur für
die Gegenwart. Es bleibt Jedem die Ueberzeugung, an die Prophezeihung
zu
glauben, und Cassandra ruft: „Folgt seit Iliums Tagen den
Propheten.“
Ich
könnte Sie an Prophezeiungen erinnern, die der Dichter, der
hier auf der
Anklagebank sitzt, vor 2 Jahren verkündet und die heute
eingetroffen sind. Ich
möchte Sie warnen, darüber nicht den Stab zu brechen,
damit die Zukunft nicht
richte über diesen Spruch. Das führt mich
hinüber zu dem historisch-politischen
Punkte in dem Gedichte. Das öffentliche Ministerium hat
richtig gerechnet, wenn
es von der Revolution spricht; wir stehen auf revolutionärem
Boden, es ist ein
provisorischer Zustand der Formen, die die konstitutionelle Monarchie
hat. Die
Gestalten der Zukunft gehören allen Parteien an und ein Jeder
hat das Recht,
allen Idealen nachzustreben; von einem Umsturz scheint mir nicht Rede
zu sein.
Es
muß gestattet sein, unsern Besitz so zu wahren wie wir ihn
erhalten haben. Alle
Statuten der Bürgerwehr deuten dahin, daß sie da
sind zur Aufrechthaltung der
März-Errungenschaft. In diesem Gedichte wird die Macht der
Stimme in Anspruch
genommen. Das Abnorme unserer Zustände ist, daß wir
nichts Bestimmtes haben und
dieser abnorme Zustand wird so lange dauern, bis eine feste Form an
dessen
Stelle getreten. M. H. blicken Sie eine Woche, einen Monat
zurück auf die
Märztage, so werden Sie Aufreizung zu Waffengewalt in
Blättern finden, welche
größer sind als das, was man in das
Freiligrath’sche Gedicht hinein
interpretirt hat. Ich will nicht anklagen, aber 117 u. 212 der Rh.- u.
Moselztg. fordert zur Waffengewalt auf. Die kölnische Zeitung
und die neue
rheinische Zeitung dasselbe. Ist jene Redaktion, ist jener
Correspondent, ist jener
Antragsteller in Anklagezustand versetzt worden? Ist das in
Köln, Koblenz,
Mainz geschehen? Nein. Was dem einen Recht, ist dem andern billig. M.
H. Sie
werden auf die Annahme dieses Grundsatzes eingehen.
Ich
würde erröthen, dem öffentlichen Ministerium
den Verdacht zu unterstellen, als
habe es gewollt, der Dichter sei eher strafbar, als ein andrer
Schriftsteller,
denn sonst wäre des Dichters Wort wahr:
„Der
Dichtung Flamme ist allemal ein Fluch.“
der
Freispruch bleibt unbedingt für ihn übrig.
oben
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Protokoll:
Entstehung und Erscheinung 1848,
Verlag: Buddeus'sche Buchhandlung- und
Kunsthandlung,
Düsseldorf
wikisource
Bild1:
Porträt Ferdinant Freiligrath, 1851,
Urheber: Johann Peter
Hasenclever (1810-1853) gemeinfrei
wikipedia
Logo 43: Liebesakt, Studie, Schiele
Egon.
EJ: 1915 -
Gemeinfrei, Sammlung Leopold, Wien
zeno.org
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