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Literatur

04.2


Biografie - Ferdinant Freiligrath

und

Anklage

wegen hochverräterischen Unternehmungen durch das Gedicht

"die Todten an die Lebenden" des Ferdinant Freiligraths 1848



Stenografischer Bericht des Prozesses - Seite 4

Was bleibt noch zu sagen? können wir bei alle dem noch zweifelhaft sein, so sehen Sie auf den ruhigen gefühlvollen Mann, mit festem, klaren Blick, den Sie kennen, der unter uns gelebt hat. Sein Charakter ist fleckenlos, es ist ein Mann, welcher der Familie alles ist, Ernährer und Bringer aller Freuden und in letzter Zeit aller Leiden. Ich will Sie nicht in das Heiligthum der Familie einführen, aber in die Werkstätte des Poeten will ich Sie führen; er ist der Dichter. Der Dichter gehört seinem Volke. Sie finden den Dichter, wild, verwegen, seine Phantasie trägt ihn weit von der Heimath; die Liebe, das  Stillleben, das finden Sie nicht in seiner Dichtung; in die Wunder tropischer Natur, in den Haushalt wilder, fremder Thiere, in den Kampf wilder, fremder Völker führt er uns hinein, und da ergibt es sich, daß in der Politik nicht der ruhige Blick sich zeigt, sondern daß sein Geist erwacht, und zwar entfesselt! Was Wunder, daß, nachdem er in seine Heimath zurückgekehrt, und seine Verhältnisse sich umgewandelt, er das sagt, was seiner Ueberzeugung am meisten entspricht. Es kann sein, wie er gesagt, daß ihm der Pegasus durchgegangen. Er tritt stolz vor Sie hin, es ist die mystische Gewalt seiner Muse, welche stärker ist, als er. Sie müssen die dichterische Qualität fern halten von der des Menschen. Das Formgewinnen in der Poesie ist das was alle Völker heilig halten. Wir können den Promotheus [WS:Prometheus] an den Felsen schmieden, aber das Feuer, das er vom Himmel geholt, ist unauslöschbar. Das Gedicht gibt nur die poetische Gestaltung seines Gedankens. – Warum wollen Sie strafen? der Dichter ist der Freund des Volkes; Sie wollen doch nicht das Volk beleidigen und kränken. Das Volk soll verletzt sein, da es zum Bürgerkriege aufgefordert; das Volk klagt ihn aber nicht an. Das sagen Ihnen die Organe des Volkes, daß das Volk seine Verurtheilung nicht will. Sie, m. H., sind betraut mit der Macht, zu entscheiden über Leben, Tod und Ehre. Legen Sie die Hand aufs Herz. Mein Antrag geht auf Freispruch.

Weiler II. Wenn ich annehmen darf, daß die Freisprechung Freiligrath’s nach dem beredten Vortrage meines Collegen Hrn. Meyer erfolgt, so erlaube ich mir doch noch über den zu sprechen, den ich seit 4 Jahren kenne. Ich bin ein Anhänger der demokratisch-konstitutionellen Verfassung, bin nicht für die Republik; aber wir stehen nicht vor dem Tribunale, wo es sich um politische Ansichten handelt. Es handelt sich um ein Verbrechen, das scheußlich dasteht. Ich würde mich aber angeklagt  haben, wenn ich nicht die Vertheidigung übernommen hätte. Während man im vorigen Jahre dafür schrieb, eine Verfassung zu erlangen, und gesagt wurde: Die Krone kann nicht beschränkt werden durch ein Blatt Papier, die Verfassung ist die absolute Monarchie: müßte der da auch nicht vor Ihr Forum gestellt werden, der das gesagt? Gesetzt, es würde die republikanische Verfassung bei uns eintreten, würde ich da nicht vervehmt und vor Ihren Richterstuhl gezogen werden, da ich Anhänger der konstitutionellen Verfassung bin. Das Gedicht ist von meinem Collegen Meyer vorgelesen und interpretirt worden und ich theile vollkommen seine Ansichten. Ueber den dichterischen Werth haben wir uns nicht zu befragen, sondern nur ob es eine Aufreizung zum Umsturz der Verfassung enthalte. Ich frage: kann, was in dem Gedicht einzeln Anstößiges und Gehässiges gefunden worden, kann das dazu dienen, die Behauptung auszusprechen, es sei zur Aufreizung geschrieben? Wenn das, was Hrn. Freiligrath zu Schuld gegeben, wahr gewesen und eingetroffen sei, wäre es dann möglich, daß wir hier schon 3 Stunden säßen? Nein, daran kann nicht gedeutelt werden. Wollen wir uns in Räthsel ergehen? Nein, wir müssen uns klar sein. Mancher mag das Gedicht mißbilligen, ich halte meine Meinung zurück. Aber das haben wir errungen im März: es ist die Presse frei, die Rede frei, die Ueberzeugung kann sich Geltung verschaffen in der Prosa und Poesie. Es sind Aeußerungen vorgebracht worden, die für eine gewisse Person, ich will ihn nennen, Se. Majestät den König unangenehm sein mögen. Sehen Sie aber auf die Plakate, die in Berlin an allen Straßenecken angeheftet sind und worin es heißt: die Krone ist für verlustig erklärt. Wenn das Gedicht Sie auch nicht angesprochen, so urtheilen Sie darnach nicht, denn Sie würden einen schlimmen Pfad gehen. Was das anlangt, daß der König die erste Magistratsperson sei, so ist das schon von der Staatsbehörde in Köln zurückgewiesen worden. Der heutigen Verhandlung ist das durchaus fremd. Heute haben wir es mit dem Verbrechen zu thun, wodurch Gewalt zum Umsturze angewendet sei. Der Artikel 102 reiht sich an eine ganze Masse von Bestimmungen an; es ist darin ausdrücklich gesagt, daß die Rede zu einem Attentate gewirkt haben müsse.

Müssen wir uns etwa nun fragen, was nach Zeitumständen vorgekommen ist? Aber es ist gesagt worden, daß der Umsturz beabsichtigt worden, aber da recurrire ich auf daß, was Meyer gesagt. Es ist nichts nach dem Gedichte erfolgt; aber es muß denn doch was vorliegen. Sehen Sie nach Berlin, da erfahren wir, wie man’s macht: Wir wollen das Ministerhaus stürmen heißt es da, und es geschieht nichts darauf. Da haben wir den Fall, aber was haben wir erlebt? Nichts. Der erste Zeuge sagt: Es hat mir gut gefallen und Rockmann sagt, daß Niemand gemeint habe, es sei darin eine Aufforderung zu physischer Gewalt.

Ich will hier eine Stelle (Commentar über das Criminal-Gesetzbuch von Bourguignon zu Art. 102.) wörtlich mittheilen, um meine Behauptung noch mehr zu erhärten:

Die Aufwiegelung, sagte der Redner der Regierung, kann nur aus Reden hervorgehen, die an öffentlichen Oertern oder in öffentlichen Versammlungen gehalten, oder aus Schriften, welche angeheftet oder gedruckt wurden. Zu diesen ersten Kennzeichen muß man noch ein anderes hinzufügen, die Aufwiegelung muß unmittelbar geschehen. So werden einige unsinnige Wünsche oder verbrecherische Träumereien, welche auf ein Manuscript geworfen, aber nicht umhergetragen werden, jene Aufwiegelung nicht begründen, die das Gesetz dem Verbrechen selbst gleich stellt, und wenn sie entdeckt werden, und geeigenschaftet sind, um die Aufsicht der obern Staats-Gewalt auf sich zu ziehen, so wird es geschehen, ohne die von einer weisen Vorsicht gesetzten Schranken zu übertreten. Eine starke und gerechte Regierung wird nie einen Sidney aufs Schaffot führen, noch jenen unglücklichen Syracusaner, welcher geträumt hatte, daß er den Tyran Dynonys umgebracht habe, und zum Tode verurtheilt wurde, weil seine Richter in diesem Traume selbst den Beweis fanden, daß er sich wachend mit diesem Gegenstand beschäftigt habe. Eine solche Ausdehnung des Rechts zu strafen ist zu weit von unsern Sitten und der Gerechtigkeit entfernt. (Siehe die Art. 285 und 293.)

Wenn ein Mensch Mißfallen erregt und zwar mit einer Ansicht, dann verhält es sich anders; aber hier fehlt jeder Faden, den wir dafür finden. Ich will unterstellen, daß der Angeklagte das gewollt, was in dem Gedicht steht, so ist das noch nicht vermögend, das Schuldig auszusprechen. Wenn ich sage: der Mann ist ein Ehebrecher, so darf man ihn noch nicht dafür halten, wenn ich keine Beweise bringe; sage ich aber: er hat den Beischlaf mit der oder der vollzogen, so ist es eine Verläumdung. Der Staatsprocurator in Köln findet das nicht. Die beiden Leute, welche die Staatsbehörde hiehin sistirt hat, haben dasselbe gesagt. Ich sage Ihnen, daß ich sicher hier nicht stände, um für ihn das Wort zu nehmen, wenn Waffengewalt gemeint gewesen.

M. H. Sie schöpfen diese Ueberzeugung nur auf künstliche Weise; sie müssen auf künstliche Weise verfahren, wenn Sie die Anklage begründet finden wollen. Wie wäre es, wenn Sie das Schuldig aussprächen; sie brächten eine Lüge in Ihre Brust hinein. Sie sollen urtheilen frei als rechtschaffene Männer. Heute liegt Ihnen nichts anders vor, als sein Gedicht und nur sein Gedicht. Dasselbe hat der Rathskammer unsres königl. Landgerichtes vorgelegen, die aus 5 Personen besteht, und diese entscheidet: Es ist kein Grund zur Untersuchung vorhanden.

Wenn ein Collegium von Richtern, das die Staatsgewalt und die Bürger zu schützen hat, sich so ausspricht, so weiß ich nicht, wie Sie das Schuldig aussprechen können. Der Staatsprocurator, der Wächter des Gesetzes trug auf Verwerfung gegen den erlassenen Rathskammerbeschluß an; Sie haben Urtheile von Männern, von denen wir wissen, daß sie ihrer Ueberzeugung und ihrer politischen Meinung gefolgt sind. Im Artikel 102 wird die Rede bestraft, die unmittelbar ein Attentat nach sich ziehet. Ich hoffe, an Ihr günstiges Urtheil appelliren zu können. Zum ersten Male haben wir heute den Tag, daß gleiche Staatsbürger zu Gerichte sitzen über den Dichter Freiligrath. Ich glaube nicht daß die Staatsbehörde durch das kurze und treffende Bild auf Ihre Ueberzeugung influiren wird. Sie sitzen nicht zu Gericht, um zu urtheilen, ob einePersönlichkeit verletzt worden, es gilt nur dem Attentate.

Es ist der Pfad des Dichters immer ruhig gewesen und nicht können Sie ihm vorwerfen, daß er habe aufregen wollen. Der Redner der Regierung hat bei Abfassung des Artikels 102 dahingedeutet. Beranger ist verurtheilt worden, weil er gegen Karl X. gesprochen, aber das Urtheil, was damals über seine polit. Meinung erging, ist durch seine Ehre, mit der man ihn später bekleidete, vernichtet worden.

Unsere herrlichsten Geschichtswerke müßten in Trauer begraben werden, wenn die Schriftsteller sich nicht hätten verantworten können. Sehen Sie auf Klopstock. Lesen Sie die Worte Schiller’s in Don Carlos, (Marquis Posa), lesen Sie den Tell (Tod der Tyrannen!) Es ist diesen kein Preßproceß gemacht worden.

Unser Dichter hat keinen äußern Lohn gewollt. Eine Anerkennung hat er von Sr. Majestät dem König bekommen, aber er hat nur in Ostende gesagt: ich bin kein Royalist und will nicht gesagt wissen, als hätte ich doch von einem Könige Geld bekommen. Er ging nach England und arbeitete dort als Kaufmann in nicht glänzenden Verhältnissen. Als er von Deutschlands Umschwung hörte, faßte es ihn mächtig und er glaubte, der Himmel habe sich in Deutschland geöffnet. Er kam hierher und in diesem Drange schrieb er das Gedicht. Wer will dem Dichter versagen, seinen Ingrimm in einigen Versen Luft zu machen?

Ich schließe mit Schiller's schönen Worten, indem ich hoffe, daß unser Dichter aus dem Saale frei ausgehe:

(Schillers Huldigung der Künste.)

Poesie

Mich hält kein Band, mich fesselt keine Schranke,
Frei schwing’ ich mich durch alle Räume fort.
Mein unermeßlich Reich ist der Gedanke,
Und mein geflügelt Werkzeug ist das Wort,
Was sich bewegt im Himmel, und auf Erden,
Was die Natur tief im Verborgnen schafft,
Muß mir entschleiert und entsiegelt werden,
Denn nichts beschränkt die freie Dichterschaft.


Präs. Haben Sie, Hr. Freiligrath, noch was zu sagen?

Freil. Nein.

 Präs. Ich erkläre die Verhandlung für geschlossen.

Der Präsident stellt nun alles sehr klar und fußbar [WS:faßbar] zusammen, was für und was gegen die Anklage vorgebracht worden und macht die Herren Geschworenen nochmals auf den rechten Begriff des „direkt“ aufmerksam, da wir noch nicht, wie in Frankreich, die verschiedenen Kategorien dieses Begriffes kennen gelernt und in Anwendung gebracht. Nachdem er nun noch resumirt, was die Vertheidigung geltend gemacht, wendete er sich an die Geschworenen und verliest ihnen die Frage, welche wörtlich mit dem Schlußpassus des Anklageaktes übereinstimmt und überreicht dieselbe ihnen. Er erklärt ihnen, daß 7 Stimmen einfache Stimmenmehrheit sei.

Die Geschworenen begeben sich in das Berathungszimmer und nach einer viertelstündigen Berathung treten die Geschworenen wieder ein und der Erste derselben erklärt, indem er die Hand auf’s Herz legt, und nachdem er die gestellte Frage vorgelesen „Nein, der Angeklagte ist nicht schuldig.“ Kaum war das „Nein“ über seine Lippen, als sich ein Freudengeschrei im Hörsaal erhob, welches bald von den gedrängten Massen, die überall in den Straßen umher standen, des Urtheils begierig, lautes, mehrfaches Echo fand. –

Freiligrath wird nun durch die Offiziere der Bürgerwehr eingeführt; sein Antlitz glänzt vor Freude, denn er wußte ja schon sein Urtheil, der Freudenruf hatte es ihm verkündet. Der Präsident liest das Freisprechungsurtheil nun nochmal vor und alsbald eilen alle Freunde und Bekannte auf ihn zu und beglückwünschen ihn. Seine vertrauten Freunde führen ihn zum Saale hinaus; da zeigt man ihm plötzlich seine liebende, mit ihm leidende Gattin, wovon er nicht gewußt, daß sie den Verhandlungen beigewohnt, er sieht sie und – wir können den seligen Augenblick nicht schildern. Die Bürgerwehr, welche sich hier stets ehrenwerth und mannhaft benommen, geleitet den Dichter, gefolgt von einer großen, jauchzenden Volksmenge. Damen waren es, welche ihm aus den Fenstern Blumen zuwarfen, denn es war der Dichter der „Blumenrache!“ So geleitete ihn der Freudesturm bis an seine Wohnung, wo er in kurzen Worten, da er sichtlich tief ergriffen war, seinen innigen Dank aussprach.

Abends wurde ihm ein Fackelzug gebracht.

So war erfüllt, was der Vertheidiger gefordert hatte.

„Gebt den Dichter dem Volke zurück, der Dichter gehört seinem Volke!“

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Düsseldorf, Buchdruckerei von Herm. Voß


oben






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Protokoll: Entstehung und Erscheinung 1848,
Verlag: Buddeus'sche Buchhandlung- und Kunsthandlung,
Düsseldorf

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Bild1: Porträt Ferdinant Freiligrath, 1851,
Urheber: Johann Peter Hasenclever (1810-1853)
gemeinfrei

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Logo 43: "Liebesakt, Studie", Schiele Egon. EJ: 1915 -
Gemeinfrei, Sammlung Leopold, Wien

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