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04.2
Autobiografie - Karl
Henckell
Buch des Lebens
Gedichte
Karl
Friedrich Henckell - Bibliografie
Buch
des Lebens
Ruft
das dichterische Werk des Lebenden nach einleitendem Wort und
selbstbiographischen Daten? Hat nicht seine eigentliche Existenz ihren
annähernd wesensgemäßen Ausdruck gerade in den mannigfaltigen
Versschöpfungen
vieler Jahre gefunden, aus deren geschlossener Gliederung die folgenden
Bände
sich wie von selbst zu einem rhythmischen Bilde seiner Natur und seines
Werdeganges gestalteten? Ganz gewiß, für Aufnahme und Wirkung dieser
meiner, im
engeren und weiteren Sinne, lyrischen Lebensbekenntnisse wär kaum
erforderlich,
eine Skizze der äußeren Vorgänge und Umstände voranzuschicken, in denen
sich
von der Geburt bis zum gegenwärtigen Tage mein Dasein auch sonst
bezeugt und
abgespielt hat. Was einmal irgendwie Kunst ward, trägt ja immer den
Führer in
sich, der auf jede Frage die feinste und gültigste Antwort gibt.
Wenn
ich beim Überblicken meiner bisherigen dichterischen Ernte, wie sie in
der
Scheuer dieser Ausgabe geborgen ward, mich gleichwohl veranlaßt fühle,
hier in
aller Kürze die Kurve meines Lebens nochmals zu zeichnen, so geschieht
das vor
allem im Hinblick auf einige, wie ich glaube, besonders bedeutsame
Momente, die
sich in der Laufbahn eines deutschen Dichters meiner Art und in der
Geschichte
seines Werkes als charakteristisch für unsere Zeit und für mich selbst
offenbaren.
Als
die Preußen die Düppeler Schanzen stürmten, kam ich in der
Residenzstadt
des damaligen Königreichs Hannover zur Welt. Mein Vater stammte aus
Bodenfelde
bei Karlshafen an der Weser. Er war Kaufmann und hatte besonders mit
Getreide
gehandelt, daneben auch in seinem Heimatort das Ehrenamt des
Bürgermeisters
verwaltet. In Hannover lebte er mehrere Jahrzehnte hindurch als
Hausbesitzer
und Rentner. Hochbetagt starb er Ende der neunziger Jahre zu Lenzburg
in der
Schweiz. Ich habe vier Geschwister, zwei Brüder und zwei Schwestern,
die
ebenfalls in der Schweiz leben, mit Ausnahme des ältesten Bruders, der
in
jungen Jahren nach Amerika auswanderte. Meine Mutter war hessischer
Geburt –
ihr Stammbaum führt ins Lippe-Detmoldische – und eine Tochter des
kurfürstlichen Hof- und Garnisonspredigers Dr. Piderit in Kassel, der
wegen
„Renitenz“ in allerhöchste Ungnade fiel, später Archivrat wurde und
eine
Geschichte Hessen-Kassels geschrieben hat.
Mit
zwei Jahren, als bei Bismarck verschiedene Fürsten ihrerseits „in
Ungnade
fielen“, die er auch Knall auf Fall davonjagte, wurde ich als
preußischer
Untertan dem expansiven Nachbarstaate einverleibt. Ich bin also
eigentlich
„Mußpreuße“. In meiner Kindheit war ich nicht selten Zeuge von
Scharmützeln
zwischen Schulbuben aus Familien von angestammter Welfentreue und
solchen aus
neuzugezogenen preußischen Militär- und Beamtenkreisen. Mein Vater
huldigte,
mit starker Reserve gegen jedes allzu schneidige „Stockpreußentum“,
einem
gemäßigten Fortschritt und zählte sich zu den Nationalliberalen
Bennigsenscher
Richtung. Ich war für deutsche Einheit und Einigkeit, die ich mir
jedenfalls
viel einfacher dachte, als sie war und ist. Mit sieben Jahren gab es
Siegesjubel mit Sedanfeier, Monstre-Konzert und großer Illumination. An
Kerzen
wurde auch bei uns nicht gespart. So wuchs ich in kindlicher
Hurrastimmung und
Reichsbegeisterung heran. Mein Gott, wie gern holte man dazu frisches,
grünes
Eichenlaub aus der nahen „Eilenriede“ und wand die ersten patriotischen
Reime
um das Bild des greisen Helden-Kaisers! Als Quartaner vertauschte ich
sogar
schon das alte städtische Lyzeum mit dem neugegründeten
Kaisesr-Wilhelm-Gymnasium. Von da an sah ich nun erst recht bis auf
weiteres
die Weltgeschichte mit Hohenzollernaugen an. Geibels
„Heroldsrufe“ waren damals auch mein
geliebtes Evangelium … In Unterprima stellten sich, hauptsächlich wegen
Mathematik, Unstimmigkeiten ein, und ich ging ab. In Kassel wurde ich
glücklich
reif für Leben und Universität. Bei der öffentlichen Schlußfeier hielt
ich die
deutsche Rede „Über das Volkslied“.
Als
Studiosus der Philologie ging ich zunächst nach Berlin, wohin mich
frühangesponnene literarische Fäden und Fehden zu den „kritischen
Waffengängern“ Heinrich und Julius Hart zogen. Ich wurde regelmäßiger
Mitarbeiter ihrer Monatsschrift. Bald erschien, bei Bruns in Minden,
mein
lyrisches Konfirmationsbrevier, das „Poetische Skizzenbuch“, mit
melancholischen Niederschlägen vom Spreeufer. In ihm stand auch schon
das „Lied
des Steinklopfers“ und ein paar andere soziale Verse, die ich vom
Straßenbild
der Reichshauptstadt ablas. Das Elend und die Kontraste der Welt
griffen mir
ans Herz und drängten nach Ausdruck. Ohne Zweifel – keine Richtung oder
Schule
hat mich zum Dichter gemacht, sondern die Natur und das Leben. Im
Gefühl keimten
die Samenkörner auf, die der Wind der modernen Welt geheimnisvoll
daherwehte.
Den jungen Dichtern wandelten sie Weise und Wort. So auch mir.
Meine
Nerven waren überreizt. Ein Heidelberger Sommer mit Odenwaldlüften
brachte Genesung. In Hannover diente ich als Infanterist mein Jahr ab.
In
Uniform schrieb ich, eben zwanzigjährig, das eine Vorwort zu den
“Modernen
Dichtercharakteren“, die Dokumente einer neuen Geistesströmung waren
und
bekennerisch wirken sollten. Das andere Vorwort schrieb Hermann Conradi
aus
Magdeburg. Beim Militär mußte ich vieles mit ansehen, was empörte und
sich tief
eingrub.
Nach
kurz abgebrochenem Wintersemester in München, wo Michael Georg Conrad
mit
Bomben und Granaten Bresche in die Festung des schöngeistigen
Epigonentums
legte, und wo ich auch mit Wolfgang Kirchbach, Martin Greif und
Heinrich v.
Reder in persönlichen Verkehr trat, kam ich zur Entspannung ins
hannoversche
Elternhaus zurück und reiste sodann im nächsten Frühjahr frischen Mutes
und
Entschlusses in die republikanische Schweiz.
Von
Zürich als literatischem Hauptquartier, wo ich auch meine
Universitätsstudien fortsetzte, gab ich Ende der achtziger Jahre einen
Gedichtband nach dem anderen heraus. Ihre Hauptelemente waren leichter
Liebesfrühling und schwere soziale Gewitterstimmung. Ersteres wurde als
harmlos, beifällig, letzteres hochnotpeinlich aufgenommen. Die
Rezensenten
hielten sich das Taschentuch vor die zarte Nase, und der preußischen
Regierung
ging ich auf die, allerdings weniger zarten, Nerven. Nur wegen meiner
Verse –
anders war ich politisch überhaupt nie aktiv – wurde ich auf
Grund des Sozialistengesetzes kurzerhand als
„gemeingefährlich“ verboten. Damit war mein Bücherschicksal in
Deutschland,
auch nach dem Fall des Ausnahmegesetzes, auf Jahrzehnte besiegelt.
Traditioneller Boykott, erheblich verstärkt durch notgedrungenes
Selbstverlegertum, suchte mich auch buchhändlerisch auf lange Zeit
hinaus
unmöglich zu machen, Jahre des oft verzweifelten Kampfes um menschliche
und
dichterische Selbstbehauptung folgten. Die Wilhelminische Epoche ließ
es mir
verflucht schwer werden. Aber sie hat mich keinen Augenblick
untergekriegt.
Auch als Deutschen nicht. In Zürich lernte ich Gottfried Keller, Arnold
Böcklin
und Conrad Ferdinand Meyer kennen, in Bern Joseph Viktor Widmann. Ihre
Würdigung und Sympathie taten mir wohl, ihre Persönlichkeit und
Atmosphäre
förderten mich innerlich. Ich trieb weiter Sprachstudien, übersetzte,
hielt
Vorträge über Literatur und brach so
zuerst für Liliencron und die deutschen „Neutöner“ beim schweizerischen
Publikum eine Gasse.
Eines
Tages besuchte mich
ein Hofrat aus Koburg und machte mir auf dem Sonnenberg bei Zürich den
liebenswürdigen Vorschlag, gleich mit ihm zu reisen, er wolle mich
seinem
Herzog vorstellen. Ich lehnte verbindlichst dankend ab. Nicht aus
plumpem
Fürstenhaß natürlich, der mir völlig ferne lag und liegt, sondern aus
purer
Antipathie gegen „Karriere“. Theodor Storms Verse „Für meine Söhne“
waren mir
zu lieb:
„Was
du immer kannst zu
werden,
Arbeit
scheue nicht und Wachen;
Aber
hüte deine Seele
Vor
dem Karriere-Machen!“
Ich
hatte es nie zu bereuen. 1890 wurde ich – mein Herz schlug längst
republikanisch – Schweizer Bürger im Kanton Zürich.
„Amselrufe“
und „Trutznachtigall“ warben mir wertvolle Freunde, auch jenseits
des Ozeans. Zeitweilig hielt ich mich in Wien, Mailand und Brüssel auf.
So
erweiterte ich meinen Horizont und befreite mich aus quälenden
Herzensketten.
Von Brüssel aus datierte ich das Vorwort zu meinem „Buch der Freiheit“,
einer
umfangreichen Sammlung sozialer Freiheitsdichtungen von Goethe bis zur
Gegenwart, von Byron und Shelley bis auf Dehmel und Mackay. Fast das
ganze Werk
schrieb ich eigenhändig aus den Quellen ab, wodurch ich mir sein Gehalt
noch
stärker zum wirklichen Besitz machte.
Über
solcher literarischen Pionierarbeit der Zukunft vergaß ich nicht, dem
ewigen Liede Pans zu lausen. Natur und Liebe lockten mich in ihr
stilles,
träumerisch versonnenes Reich. Die Kunst übte ihre erlösende,
kampfverklärende
Gewalt. Aus Liebesgrund wuchs Lebensbund, aus Lava blühte der Wein des
„Neuen
Lebens“.
Vom
Züricher See ließ ich Flugblätter der Lyrik in die Lande flattern,
„Sonnenblumen“, die den Samen der Dichtung in manches empfängliche Herz
senkten. Mit den Künstlern des rhythmisch gegliederten Wortes aus
Vergangenheit
und Gegenwart verkehrte ich wie mit Freunden, deren geheimes Wesen ich
in
horchender Zwiesprache zu ertasten suchte.
1902
vertauschte ich das idyllische Heim am Schweizer See mit dem
geräuschvolleren Charlottenburg. Es war ein neuer Sprung von einer für
mich
unberechenbaren Tragweite. Von eigenen Werken gab ich noch das Buch
„Gipfel und
Gründe“ in Druck, warf rote Gedichthefte mit Fidusbildern zu
Kolportagepreisen
ins Volk und löste dann nach und nach meinen Verlag auf, bei dem ich
zwar
materiell keine Seide gesponnen, aber ideell mein Ziel entscheidend
gefördert
hatte und schließlich mit einem blauen Auge davonkam,
Nachdem
ich mir in solcher Weise und als öffentlicher Sprecher eigener Gedichte
auf volkstümlichen Kunstabenden verschiedener Städte, die meinem
Schaffen
gewidmet waren, ein Wirkungsfeld nach außen bereitet hatte, tauchte aus
der
treibenden Flut der Berliner Tage in rhythmischen „Schwingungen“ das
Eiland der
Seele silberschimmernd neu empor.
Auf
einmal winkte von Süden
München. Zwischendrein erfrischte das Herz einen Frühling und Sommer in
Mecklenburg, an der Waterkant, in Hamburg, wo ich Detlev von Liliencron
und
Gustav Falke besuchte, in Hannoverland an der Weser auf Väterspuren.
Seit
Herbst 1908 bin ich an der Isar in München-Bogenhausesen, gegenüber dem
Englischen Garten, ansässig. Die herbfrische Luft, die von der hier
mövenreichen und nicht selten wildüberschäumenden Tochter der Berge zu
Tal
gebracht wird, feite mich wohl auch gegen vorzeitiges Stockigwerden.
„Im Weitergehen“
faßte ich allmählich festeren Fuß auf dem Boden einer Welt, die Schmach
und
rohe Gewalt der Zeit nicht so leicht mehr ins Schwanken bringen.
Freilich
– die schwerste
Probe war noch zu bestehen. Sie kam mit dem Weltkrieg auch für mich.
Das Chaos
riß Geist und Seele in seine aufreibenden Wirbel. Alles, was ich mir
lebenslang
mitfühlend, mitdenkend, mitschaffend an der Veredelung der menschlichen
Kulturgemeinschaft, wie in Fleisch und Blut verwandelt, errungen hatte,
schien
mit grauenhafter Unheimlichkeit jählings in Frage gestellt. Nur die
unbedingte
Mitverbundenheit am Schicksal des deutschen Volkes war für mich
jenseits aller
Fragestellung. Im festen Rhythmus der „Weltmusik“ suchte ich mich
selbst zu
behaupten und lähmendes Verstummen zu bannen.
Aber
merkwürdig: Gang, Ausgang und Folge des Krieges, alles, was mit
welterschütternder Wucht durch ihn selbst offenbart ward, dient nun
erst recht
dazu, meine innerste Anschauung zu bestätigen und zu verstärken. Die
wesentlichen Elemente einer in Gefühl und Erkenntnis wurzelnden
Sinnesart, wie
sie längst vor Ausbruch des Krieges mir eigen war, hielten schließlich
doch dem
wahnsinnigen Wirrwarr des allgemeinen Zusammenbruches stand und
sammelten sich
allmählich mit verdoppelter Kraft der Selbstbejahung. Das Ideal der
Freiheit,
wie es so manchen meiner Kampfgesänge leidenschaftlich durchdringt, hat
nicht
Schiffbruch gelitten, das Gestade von Neuland taucht wieder im Nebel
auf. Wir
wollen wie das Heimchen sein, das an Bord des Columbus auch der irre
gewordenen
Bemannung in tiefster Verzagtheit die Nähe der gesuchten Erde verkündet
…
Doch
selbst, wenn alles das nur Traum und Utopia wäre, unser Lied ist und
wir
sind. Dessen Zeuge sei dies gesammelt Werk, das nicht mehr sein will
als ein in
Verse verwandeltes Menschenleben, aus unserer Zeit der Götterdämmerung.
Ein
Leben und Buch voll Wahrheit, Irrtum und Widerspruch, voll Sehnsucht ,
Glauben,
Verzweiflung, Erfüllung, Verzicht und Erlösung, voll Hohnlachen, Groll
und
Empörung, voll Sonne, Gewitter, Freude und Elend, Klage , Jammer und
Jubelschall, voll Quellenrauschen und Gipfelhauch, voll Stille und
Sturm, Ruhe
und Reigentanz der unergründlichen Seele.
München,
Silvester 1920/21
oben
___________________________
Textgrundlage: "Bibliografie"
, aus: Gesammelte Lyrik, K. Henckell
©2012,
Jazzybee Verlag, Jürgen Beck, 86450 Altenmünster,
Loschberg9, DE
ISBN: 9783849627560, Lizenz
jazzybee-verlag
Bild: Karl Henckell
WEB-Lexicon der Wiener Sozialdemokratie
dasrotewien.at
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