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Literatur


04.7


Gedichte


Frühling

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 Heiterer Frühling

1.
Am Bach, der durch das gelbe Brachfeld fließt,
Zieht noch das dürre Rohr vom vorigen Jahr.
Durchs Graue gleiten Klänge wunderbar,
Vorüberweht ein Hauch von warmem Mist.

An Weiden baumeln Kätzchen sacht im Wind,
Sein traurig Lied singt träumend ein Soldat.
Ein Wiesenstreifen saust verweht und matt,
Ein Kind steht in Konturen weich und lind.

Die Birken dort, der schwarze Dornenstrauch,
Auch fliehn im Rauch Gestalten aufgelöst.
Hell Grünes blüht und anderes verwest
Und Kröten schliefen durch den jungen Lauch.

2.
Dich lieb ich treu du derbe Wäscherin.
Noch trägt die Flut des Himmels goldene Last.
Ein Fischlein blitzt vorüber und verblaßt;
Ein wächsern Antlitz fließt durch Erlen hin.

In Gärten sinken Glocken lang und leis
Ein kleiner Vogel trällert wie verrückt.
Das sanfte Korn schwillt leise und verzückt
Und Bienen sammeln noch mit ernstem Fleiß.

Komm Liebe nun zum müden Arbeitsmann!
In seine Hütte fällt ein lauer Strahl.
Der Wald strömt durch den Abend herb und fahl
Und Knospen knistern heiter dann und wann.

3.
Wie scheint doch alles Werdende so krank!
Ein Fieberhauch um einen Weiler kreist;
Doch aus Gezweigen winkt ein sanfter Geist
Und öffnet das Gemüte weit und bang.

Ein blühender Erguß verrinnt sehr sacht
Und Ungebornes pflegt der eignen Ruh.
Die Liebenden blühn ihren Sternen zu
Und süßer fließt ihr Odem durch die Nacht.

So schmerzlich gut und wahrhaft ist, was lebt;
Und leise rührt dich an ein alter Stein:
Wahrlich! Ich werde immer bei euch sein.
O Mund! der durch die Silberweide bebt.

Georg Trakl


 Und das ist Frühling

Und das ist Frühling,
wenn die schweren Nischen, wo die Apostel wohnen,
aus dem Dunkel schreiten,
wenn um die grauen, würdigen Gestalten
die Schwalben zwitschernd ihre Flügel breiten.

In weichen, warmen Wind gehüllt die Blinden
sich sonnen vor den aufgeschlagnen Türen,
auf steinernem Gewinde alter Stufen
den goldnen Flaum der jungen Pappeln spüren.
O Frühling! Süßer Frühling!

Und dann bücken sich drinnen in den schwergeschnitzten Stühlen
die jungen Menschen.
Drängend zum Gebete.
Und sind wie Blumen, die das Erdreich fühlen.

Frida Bettingen


 Die schönen Augen der Frühlingsnacht

Die schönen Augen der Frühlingsnacht,
Sie schauen so tröstend nieder:
Hat dich die Liebe so kleinlich gemacht,
Die Liebe sie hebt dich wieder.

 Auf grüner Linde sitzt und singt
Die süße Philomele;
Wie mir das Lied zur Seele dringt,
So dehnt sich wieder die Seele.

Heinrich Heine

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Textgrundlage: „Heiterer Frühling“, Georg Trakl, aus: Gedichte, S. 41–42
1. Auflage, ED: 1913, Kurt Wolff Verlag, EO: Leipzig
Aus:  Der Jüngste Tag. Die Bücherei einer Epoche. Herausgegeben von Heinz Schöffler.
Faksimile-Ausgabe. Band 1. Frankfurt am Main: Societäts-Verlag 1981, Scans auf Commons
wikisource.org

Textgrundlage:
„ Und das ist Frühling, Frida Bettingen,  aus: Gedichte. S. 11
1. Auflage, Entstehung: 1911 ED: 1922, Verlag: Georg Müller, EO: München
wikisource

Textgrundlage:
"Die schönen Augen der Frühlingsnacht", Heinrich Heine
aus: Neue Gedichte. Seite 8, 1. Auflage, ED: 1844
Verlag:Hoffmann und Campe
wikisource.org

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