Gedichte
- Mai
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So die bluomen ûz dem grase dringent,
same sie lachen gegen der spilnden sunnen
in eime meien an dem morgen fruo,
und diu kleinen vogellîn wol singent
in ir besten wîse die sie kunnen,
waz wünne mac sich da genôzen zuo?
ez ist wol halb ein himelrîche.
Walther von der Vogelweide.
Maimorgengang,
o still Entzücken:
Der
Äther strahlt im reinsten Blau
Und
bräutlich will der Wald sich schmücken
Mit
zartem Grün und Silberthau.
Mit
weichem träumerischem Schläfern
Strömt
rings ein lauer Frühlingsduft,
und
mit den Faltern und den Käfern
Durchfliegt
ein Blüthenschnee die Luft;
Die
Halden blühn, die jüngst noch dorrten:
Sieh!
es ist Alles neu geworden.
Erneut
im Licht! so will’s des Lebens
Gesetz,
das allen Stoff durchkreist,
Ahriman’s
Winter droh’n vergebens,
Der
Sieg verbleibt dem guten Geist.
Sein
weltverjüngend Maienwunder
Weckt
Saft und Farbe, Ton und Klang,
Drum
schallt von allen Wipfeln munter
Der
Nachtigallen Lobgesang.
Sie
jubeln feiner denn in Worten:
Sieh!
es ist Alles neu geworden.
Im
Kies verstrüppter Uferdämme
Schleicht
heut mein Pfad feldaus waldein,
Da
spiegeln wilde Birnbaumstämme
Mit
Ulm und Esche sich im Rhein.
Auch
ihn erfreun des Maien Wonnen,
Sein
Schuppenvolk taucht wohlig vor,
Der
Aal kommt schlängelnd sich zu sonnen,
Lautplätschernd
schnalzt der Hecht empor,
Und
murmelnd trägt’s die Fluth gen Norden:
Sieh!
es ist Alles neu geworden.
Gekränktes
Herz, wozu dein Härmen?
Streif’
ab den fleckendunkeln Rost,
Laß
Dich von diesen Lüften wärmen
und
schöpf’ aus dieser Landschaft Trost:
Kein
Leid, kein Groll darf allzeit dauern,
Es
kommt der Tag, da Alles grünt,
Da
Kränkung, Schuld und herbes Trauern
In
goldner Sonne Strahl sich sühnt.
Auch
im Gemüth, wie allerorten,
Sieh!
ist dann Alles neu geworden.
Und
ruht im kühlen Schoß der Erde
Von
allem Schmerz Dein sterblich Theil,
Getrost,
getrost! ein kräftig „Werde!“
Beruft
Dich einst zu bess’rem Heil.
Aus
ird’schen Stoffs und Grams Verzehrung
Reift
unsichtbar ein frischer Keim,
Den
eines andern Mai Verklärung
Zur
Blüthe bringt in anderm Heim.
Dort
rauscht’s in höheren Accorden:
Sieh!
es ist Alles neu geworden.
Am
Rhein bei Dettenheim, den 1. Mai 1869.
Victor
Scheffel
oben
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Textgrundlage:
Maimorgengang,
Joseph Victor von
Scheffel,
aus: Die Gartenlaube, Herausgeber:
Adolf Kröner, ED: 1869,
Verlag Ernst Keil’s Nachfolger,
‚EO: Leipzig
wikisource.org
Logo53: "Japanes
Bridge", Claude Monet - 1900, Museum
of Fine Arts (USA)
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