Gedichte - Sommer
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Einem Sommer
Sommer,
eh’ du nun entwandelst
Über
sonnen rote Höhn,
Soll
dir meine Seele sagen,
Wie
du mir vor allen schön!
Wähne
nicht, dass
meinem Herzen
Sommer
so wie Sommer sei;
Seltsam
wie der Wolken Wandel
Ziehn
die Zeiten ihm vorbei.
Und
wie du hervorgetreten
Aus
der Zukunft ernstem Tor,
Atmete
aus dumpfen Qualen,
Atmete
dies Herz empor ...
Dankbar
will ich das nun singen:
Wie
die Wiese lag im Glanz
Und
du gingst am Rand im Schatten,
Und
dein Gehn war Klang und Tanz –
Wie
auf Wolken du gefahren,
Deren
Weg dein Hauch gebeut,
Wie
du in den hohen Himmel
Weiße
Rosen hingestreut –
Wie
du aus des Nussbaums Wipfel
Durchs
Gezweige sahst herab –
Wie
du rote Blüte gossest
Über
ein versunknes Grab –
Wie
im Wald am
schwarzen Stamme
Stumm
du standest, schwertbereit,
Als
ein sonnenblanker Ritter
Aus
verklung’ner Heldenzeit -
Wie
du alle Glocken schwangest
Zum
beglühten Turm des Doms –
Wie
du rötlich hingewandelt
Auf
der Wellenflur des Stroms,
Oder
wie du braun
von Wangen
Westlich
schrittest durch das Feld
Und
mit einer Amsel Tönen
Leis’
erweckt die Sternenwelt ...
Hoher,
ehe du
entwandelst
In
den Saal „Vergangenheit“,
Nimm
mit dir wie Hauch der Felder
Diesen
Hauch der Dankbarkeit!
Wo
gestorb’ne
Sommer wandeln
Hinter
Nacht umraunten Höhn,
Wo
nur Schatten dich umschweigen,
Soll
er singend mit dir gehn.
Otto
Ernst
Sommerabend
Die
große Sonne ist versprüht,
der
Sommerabend liegt im Fieber,
und
seine heiße Wange glüht.
Ja
seufzt er auf: »Ich möchte lieber …«
Und
wieder dann: »Ich bin so müd
…«
Die
Büsche beten Litanein,
Glühwürmchen
hangt, das regungslose,
dort
wie ein ewiges Licht hinein;
und
eine kleine weiße Rose
trägt
einen roten Heiligenschein.
Rainer
Maria
Rilke
Nordwind im
Sommer
Vom
Meere duftend fliegt der Wind ins Land.
Die
dunklen Parke flattern in der Brise.
Kleehügel
blühen vor dem Duft der Wiese;
Der
Himmel steht, sich selber unbekannt,
Ein
weißer
Fischer in den Roggenmeeren,
Wo
Taubenflug aufspritzt, ein Wasserstrahl,
Wo
Wolkenschatten rinnen in das Tal,
Fliegende
Fische sind — die Roggenähren.
Der
Weißklee schmeißt den Junitag zur Seite,
Und
manchmal fliegen Reiher um den stummen,
Fischlosen
See, auf dem die Bienen summen,
Und
nehmen zögernd ihren Flug ins Weite.
Ich
galoppiere vor dem Sonnenschein,
Auf
weißem Pferde flatternd, Wind geworden,
Und
Sonnenfetzen um den Hals, nach Norden.
Ich
werde mittags an dem Meere sein.
Paul
Boldt
Des alten Mannes
Sehnsucht nach dem Sommer
Wenn endlich Juli
würde anstatt März,
Nichts hielte
mich, ich nähme einen Rand,
Zu Pferd, zu Wagen oder mit der
Bahn
Käm‘ ich hinaus ins schöne
Hügelland.
Da stünden Gruppen
großer Bäume nah,
Platanen, Rüster, Ahorn oder
Eiche:
Wie lang ists, dass ich keine solchen sah!
Da stiege ich vom
Pferde oder riefe
Dem Kutscher: Halt! und ginge
ohne Ziel
Nach vorwärts in des
Sommerlandes Tiefe.
Und unter solchen
Bäumen ruht ich aus;
In deren Wipfel wäre Tag und
Nacht
Zugleich, und nicht so wie in
diesem Haus,
Wo Tage manchmal
öd sind wie die Nacht
Und Nächte fahl und lauernd wie
der Tag.
Dort wäre Alles Leben, Glanz
und Pracht.
Und aus dem
Schatten in des Abendlichts
Beglückung tret ich, und ein
Hauch weht hin,
Doch nirgend flüsterts: ›Alles
dies ist nichts.‹
Das Tal wird
dunkel, und wo Häuser sind,
Sind Lichter, und das Dunkel
weht mich an,
Doch nicht vom Sterben spricht
der nächtige Wind.
Ich gehe übern
Friedhof hin und sehe
Nur Blumen sich im letzten
Scheine wiegen,
Von gar nichts anderm fühl ich
eine Nähe.
Und zwischen
Haselsträuchern, die schon düstern,
Fließt Wasser hin, und wie ein
Kind, so lausch ich
Und höre kein ›Dies ist
vergeblich‹ flüstern!
Da ziehe ich mich
hurtig aus und springe
Hinein, und wie ich dann den
Kopf erhebe,
Ist Mond, indes ich mit dem
Bächlein ringe.
Halb heb ich mich
aus der eiskalten Welle,
Und einen glatten Kieselstein
ins Land
Weit schleudernd steh ich in
der Mondeshelle.
Und auf das
mondbeglänzte Sommerland
Fällt weit ein Schatten:
dieser, der so traurig
Hier nickt, hier hinterm Kissen
an der Wand?
So trüb und
traurig, der halb aufrecht kauert
Vor Tag und böse in das
Frühlicht starrt
Und weiß, dass auf uns beide
etwas lauert?
Er, den der böse
Wind in diesem März
So quält, dass er die Nächte
nie sich legt,
Gekrampft die schwarzen Hände
auf sein Herz?
Ach, wo ist Juli
und das Sommerland!
Hugo von
Hofmannsthal
oben
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Gedicht: "Einem
Sommer", Otto Ernst,
aus: Siebzig Gedichte, S. 4-5, 1.
Auflage, ED:
1907, Verlag L.
Staackmann, Leipzig
Wikisource
Gedicht: "Sommerabend", Rainer Maria
Rilke, Larenopfer, in: Siebzig
GedichtSämtliche Werke, Band I., S. 43-44, Herausgeber: Rilke-Archiv in
Verbindu mit Ruth Sieber-Rilke, besorgt durch Ernst Zinn.
ED: 1955,
Insel-Verlag, Frankfurt/Main, Erstdruck:1895.
ED: 1907, Verlag L. Staackmann, Leipzig
Wikisource
Gedicht: "Nordwind im Sommer, Paul Boldt, aus: Junge
Pferde! Junge
Pferde!,
S. 11, 1. Auflage ED: 1914, Verlag Kurt
Wolff, Leipzig
Wikisource
Gedicht: "Des alten Mannes Sehnsucht ..., Hugo von
Hofmannsthal,
aus:
Junge Pferde! Junge Pferde!
Gedichte, S. 44-45, Entstehung: 1905, ED: 1922,
Insel-Verlag, Leipzig
Wikisource
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