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Literatur


04.7




Gedichte - Sommer

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 Einem Sommer

Sommer, eh’ du nun entwandelst
Über sonnen rote Höhn,
Soll dir meine Seele sagen,
Wie du mir vor allen schön!

Wähne nicht, dass meinem Herzen
Sommer so wie Sommer sei;
Seltsam wie der Wolken Wandel
Ziehn die Zeiten ihm vorbei.

Und wie  du hervorgetreten
Aus der Zukunft ernstem Tor,
Atmete aus dumpfen Qualen,
Atmete dies Herz empor ...

Dankbar will ich das nun singen:
Wie die Wiese lag im Glanz
Und du gingst am Rand im Schatten,
Und dein Gehn war Klang und Tanz –

Wie auf Wolken du gefahren,
Deren Weg dein Hauch gebeut,
Wie du in den hohen Himmel
Weiße Rosen hingestreut –

Wie du aus des Nussbaums Wipfel
Durchs Gezweige sahst herab –
Wie du rote Blüte gossest
Über ein versunknes Grab –

Wie im Wald am schwarzen Stamme
Stumm du standest, schwertbereit,
Als ein sonnenblanker Ritter
Aus verklung’ner Heldenzeit -

Wie du alle Glocken schwangest
Zum beglühten Turm des Doms –
Wie du rötlich hingewandelt
Auf der Wellenflur des Stroms,

Oder wie du braun von Wangen
Westlich schrittest durch das Feld
Und mit einer Amsel Tönen
Leis’ erweckt die Sternenwelt ...

Hoher, ehe du entwandelst
In den Saal „Vergangenheit“,
Nimm mit dir wie Hauch der Felder
Diesen Hauch der Dankbarkeit!

Wo gestorb’ne Sommer wandeln
Hinter Nacht umraunten Höhn,
Wo nur Schatten dich umschweigen,
Soll er singend mit dir gehn.

Otto Ernst

 Sommerabend

Die große Sonne ist versprüht,
der Sommerabend liegt im Fieber,
und seine heiße Wange glüht.
Ja seufzt er auf: »Ich möchte lieber …«
Und wieder dann: »Ich bin so müd …«

Die Büsche beten Litanein,
Glühwürmchen hangt, das regungslose,
dort wie ein ewiges Licht hinein;
und eine kleine weiße Rose
trägt einen roten Heiligenschein.

Rainer Maria Rilke
 
 Nordwind im Sommer

Vom Meere duftend fliegt der Wind ins Land.
Die dunklen Parke flattern in der Brise.
Kleehügel blühen vor dem Duft der Wiese;
Der Himmel steht, sich selber unbekannt,
Ein weißer Fischer in den Roggenmeeren,
Wo Taubenflug aufspritzt, ein Wasserstrahl,
Wo Wolkenschatten rinnen in das Tal,
Fliegende Fische sind — die Roggenähren.

Der Weißklee schmeißt den Junitag zur Seite,
Und manchmal fliegen Reiher um den stummen,
Fischlosen See, auf dem die Bienen summen,
Und nehmen zögernd ihren Flug ins Weite.

Ich galoppiere vor dem Sonnenschein,
Auf weißem Pferde flatternd, Wind geworden,
Und Sonnenfetzen um den Hals, nach Norden.
Ich werde mittags an dem Meere sein.

Paul Boldt
      
         
 Des alten Mannes Sehnsucht nach dem Sommer

Wenn endlich Juli würde anstatt März,
Nichts hielte mich, ich nähme einen Rand,
Zu Pferd, zu Wagen oder mit der Bahn
Käm‘ ich hinaus ins schöne Hügelland.

Da stünden Gruppen großer Bäume nah,
Platanen, Rüster, Ahorn oder Eiche:
Wie lang ists, dass ich keine solchen sah!

Da stiege ich vom Pferde oder riefe
Dem Kutscher: Halt! und ginge ohne Ziel
Nach vorwärts in des Sommerlandes Tiefe.

Und unter solchen Bäumen ruht ich aus;
In deren Wipfel wäre Tag und Nacht
Zugleich, und nicht so wie in diesem Haus,

Wo Tage manchmal öd sind wie die Nacht
Und Nächte fahl und lauernd wie der Tag.
Dort wäre Alles Leben, Glanz und Pracht.

Und aus dem Schatten in des Abendlichts
Beglückung tret ich, und ein Hauch weht hin,
Doch nirgend flüsterts: ›Alles dies ist nichts.‹

Das Tal wird dunkel, und wo Häuser sind,
Sind Lichter, und das Dunkel weht mich an,
Doch nicht vom Sterben spricht der nächtige Wind.

Ich gehe übern Friedhof hin und sehe
Nur Blumen sich im letzten Scheine wiegen,
Von gar nichts anderm fühl ich eine Nähe.

Und zwischen Haselsträuchern, die schon düstern,
Fließt Wasser hin, und wie ein Kind, so lausch ich
Und höre kein ›Dies ist vergeblich‹ flüstern!

Da ziehe ich mich hurtig aus und springe
Hinein, und wie ich dann den Kopf erhebe,
Ist Mond, indes ich mit dem Bächlein ringe.

Halb heb ich mich aus der eiskalten Welle,
Und einen glatten Kieselstein ins Land
Weit schleudernd steh ich in der Mondeshelle.

Und auf das mondbeglänzte Sommerland
Fällt weit ein Schatten: dieser, der so traurig
Hier nickt, hier hinterm Kissen an der Wand?

So trüb und traurig, der halb aufrecht kauert
Vor Tag und böse in das Frühlicht starrt
Und weiß, dass auf uns beide etwas lauert?

Er, den der böse Wind in diesem März
So quält, dass er die Nächte nie sich legt,
Gekrampft die schwarzen Hände auf sein Herz?

Ach, wo ist Juli und das Sommerland!

Hugo von Hofmannsthal

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Gedicht: "Einem Sommer", Otto Ernst, aus: Siebzig Gedichte, S. 4-5, 1.
 Auflage,
ED: 1907, Verlag L. Staackmann, Leipzig
Wikisource

Gedicht: "Sommerabend", Rainer Maria Rilke, Larenopfer, in: Siebzig
GedichtSämtliche Werke, Band I., S. 43-44, Herausgeber: Rilke-Archiv in
Verbindu mit Ruth Sieber-Rilke, besorgt durch Ernst Zinn.
ED: 1955, Insel-Verlag, Frankfurt/Main, Erstdruck:1895.
ED: 1907, Verlag L. Staackmann, Leipzig

Wikisource

Gedicht: "Nordwind im Sommer, Paul Boldt, aus: Junge Pferde! Junge Pferde!,
S. 11, 1. Auflage
ED: 1914,
Verlag Kurt Wolff, Leipzig
Wikisource

Gedicht: "Des alten Mannes Sehnsucht ..., Hugo von Hofmannsthal,
aus: Junge Pferde! Junge Pferde!
Gedichte, S. 44-45, Entstehung: 1905, ED: 1922, Insel-Verlag, Leipzig

Wikisource

Logo 48 : "Bauerngarten", Gustav Klimt - 1905/06, Národni Galerie, AT
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