Gedichte - Herbst
18. Jahrhundert
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Der
Herbst
Des
Frühlings Sänger sind entflohn,
Auch
Freundin Flora ist von uns gewichen,
Den
fernen Wüsten klagt sie schon,
Dass
gestern noch ihr jüngstes Kind erblichen.
Schon
rauscht
der Nord mit raschem Fuß
Durch
Feld und Wald, den Aufenthalt der Weste,
Bedeckt
mit dürrem Laub den Fluss,
Und
störet wild der Hirten Freudenfeste.
Beraubt
des Schmucks ist jede Flur,
Die
Freude stirbt auf blumenleeren Wegen,
Und
mütterlich beut die Natur
Mit
grauem Haar uns schon den letzten Segen.
Bald
schlummert sie, und bald verhüllt
Der
Winter sie im ernsten Flockenkleide,
Ach!
bald ist sie des Todes Bild,
Ein
ödes Grab die holde Blumenweide! –
So
komm dann, kleines Saitenspiel,
An
der verwaisten Buche sollst du trauern,
Das
letzte Laub, das ihr entfiel,
Mit
einem leisen Seufzer auch bedauren.
Dort
klage, bis der Lenz beginnt,
Bis
Zephyrs Hauch die jungen Veilchen wecket,
Zum
lauen Bach das Eis zerrinnt,
Die
Liebe sich im Rosenhain verstecket.
Doch
feige
Toren klagen nur,
Entflieht
das Glück mit seinen Flittergaben:
Ein
Hirte sucht der Freude Spur,
Wie
tief sie auch der Winter mag vergraben.
Der
Musen edelstes Geschenk
Soll
Unmut nicht, und Klageton entweihen,
Entflohner
Freuden eingedenk,
Will
ich die Winterflur mit Blumen streuen.
Was
ist der Feen Wunderstab,
Was
ist er sonst als diese Dichterleyer,
Die
uns die holde Muse gab,
Und
in der Brust dies schöpferische Feuer?
Die
Fee
spricht: es türmt ein Schloss
Aus
düstern Sümpfen sich in stolze Höhen,
Sie
wills: es reisst ein Fels sich los,
Sie
winkt dem Berg, und sieht ihn vor sich stehen.
Der
Dichter spricht: der Winter flieht,
Der
Lenz erwacht aus seinem Grabe wieder,
Ihm
singt der Hain sein Feierlied,
Ihm
fährt der Mai, so bald er will, hernieder.
Er
hilft in
Cypris Myrthenhain
Den
Grazien die ersten Rosen brechen.
Auch
schafft er Götter groß und klein,
Fährt
zum Olymp, und trinkt aus Nektarbächen.
Und
was er sonst für Wunder schafft; –
Die
härtsten Steine weiß er zu beseelen –
Doch
lasst die hohe Schöpferkraft
Der
kleinen Hirtenleyer immer fehlen:
O,
zaubert sie an meinen Herd
Zufriedenheit
und unschuldsvolle Freude
Mit,
eurem Gold, was seid ihr wert,
Ihr
Indien! besitz ich diese beide?
Karoline
Christiane Louise Rudolphi
oben
Feldeinwärts
flog ein Vögelein
Und
sang im muntern Sonnenschein
Mit
süßem wunderbaren Ton:
Ade!
ich fliege nun davon,
Weit,
weit,
Reis’
ich noch heut.
Ich
horchte auf den Feldgesang,
Mir
ward so wohl und doch so bang,
Mit
frohem Schmerz, mit trüber Lust
Stieg
wechselnd bald und sank die Brust,
Herz,
Herz,
Brichst
du vor Wonn’ oder Schmerz?
Doch
als ich Blätter fallen sah,
Da
sagt’ ich: ach! der Herbst ist da,
Der
Sommergast, die Schwalbe zieht,
Vielleicht
so Lieb’ und Sehnsucht flieht
Weit,
weit,
Rasch
mit der Zeit.
Doch
rückwärts kam der Sonnenschein,
Dicht
zu mir drauf das Vögelein,
Es
sah mein tränend Angesicht
Und
sang: Die Liebe wintert nicht,
Nein!
nein!
Ist
und bleibt Frühlingsschein!
Ludwig
Tieck
oben
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Textgrundlage:
"Der Herbst",
Karoline
Chr. L. Rudolphi, 1775, aus: Gedichte, S. 64-67,
Herausgeber Johann Friedrich
Reichardt, 1. Auflage, ED: 1781,
Verlag: In Commission bei August Mylius, Berlin
Wikisource
Textgrundlage:
"Herbstlied", Ludwig
Tiecke, aus: Friedrich Schiller,
Musen-Almanach für das
Jahr 1799, S. 26-27, Herausgeber Friedrich Schiller, 1.
Auflage, ED: 1799, Verlag J.G. Cotta, Tübingen.
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56: "Gebirgslandschaft mit Regenbogen", Friedrich Casper David - 1910,
Museum Folkwang, Essen, gemeinfrei
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