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Literatur


04.7






Gedichte - Herbst

19. Jahrhundert

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 Herbstmorgen
1840

Die Wolken ziehn wie Trauergäste
Den Mond zu Grabe zu geleiten;
Der Wind durchfegt die starren Äste,
Und sucht ein Blatt aus bessren Zeiten.

Die grünen Tannen schaun so düster
Auf eine jung-geknickte Eiche,
Als blickten trauernde Geschwister
Auf der geliebten Schwester Leiche.

Schon flattern in der Luft die Raben,
Des Winters unheilvolle Boten;
Bald wird er tief in Schnee begraben
Die Erde – seinen großen Toden.

Ein Bach läuft hastig mir zur Seite;
Er ahnt des Winters Eisesketten,
Und stürzt sich fort und sucht das Weite
Als könnt’ ihm Flucht das Leben retten.

Da mocht’ ich länger nicht inmitten
So todesnaher Öde weilen;
Es trieb mich fort, mit hast’gen Schritten
Dem flücht’gen Bache nachzueilen.

Theodor Fontane

oben

 Spätherbstnebel, kalte Träume

Spätherbstnebel, kalte Träume,
Ueberfloren Berg und Tal,
Sturm entblättert schon die Bäume,

Und sie schaun gespenstisch kahl.
Nur ein einz’ger, traurig schweigsam
Einz’ger Baum steht unentlaubt,

Feucht von Wehmutstränen gleichsam,
Schüttelt er sein grünes Haupt.
Ach, mein Herz gleicht dieser Wildnis,

Und der Baum, den ich dort schau
Sommergrün, das ist das Bildnis,
Vielgeliebte, schöne Frau!

Heinrich Heine
 Herbstblumen

In des Herbstes weicher Luft
Hab’ ich dir den Strauß gepflückt,
Auf der Schöpfung stiller Gruft

Noch mit Farben bunt geschmückt.
Alle Farben sind hier, schau,
Wie sie nur der Frühling bot,

Violet, gelb, weiß und blau,
 Nur kein brennend-heißes Roth.
Mit der Sommerlüfte Glühn

Ist erloschen Rosenbrand,
Aber blassre Blumen blühn
Schön noch an des Lebens Rand

Friedrich Rückert

oben

  Der klare Herbst

Mir gefällt der Herbst, der klare,
Weil er ist die Zeit im Jahre,
Die im Lebenskreise bist,
Alter, du, und ich gewahre,
Dass an dir mein Jahr nun ist.

Mir gefällt der Herbst, der klare,
Weil er spät vom frühen Jahre
Bringt den milden Wiederglanz;
Wie ich flecht’ in greise Haare
Einen Jugendliederkranz.

Mir gefällt der Herbst, der klare,
Weil er feierlich die Bahre
Der erblichnen Freuden schmückt,
Und ich an mir selbst erfahre,
Dass die Wehmut mich beglückt.

Mir gefällt der Herbst, der klare,
Weil er bringt zu Markt als Ware
Frucht, die flücht’ge Blüte war;
Wie ich meinem Winter spare,
Was mein Sommer heiß gebar.

Mir gefällt der Herbst, der klare,
Der das beste Korn vom Jahre
Ausstreut für die künft’ge Zeit;
Wie ich Keim’ in mir bewahre,
Reifend zur Unsterblichkeit.

Friedrich Rückert

oben



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Textgrundlage: "Herbstmorgen" Theodor Fontane, aus: Gedichte S. 11-12, 1. Auflage, ED: 1851,
Carl Reimarus Verlag, W. Ernst, Berlin

Wikisource

Textgrundlage "Spätherbstnebel, kalte Träume", Heinrich Heine, aus: Neue Gedichte,
S. 4, 1. Auflage, ED: 1844, Hoffmann und Campe Verlag

Wikisource

Textgrundlage: "Herbstblumen", Friedrich Rückert, aus: Gedicht S. 682, ED: 1841,
Verlag Johann David Sauerländer, Frankfurt am Main

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Textgrundlage: "Der klare Herbst", Friedrich Rückert, aus Gedichte, S. 621-622, ED: 1841,
Verlag Johann David Sauerländer, Frankfurt am Main

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