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Literatur


04.7




Gedichte - Herbst

19. Jahrhundert

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 Das gelbe Laub erzittert

Das gelbe Laub erzittert,
Es fallen die Blätter herab.
Ach! alles was hold und lieblich
Verwelkt und sinkt ins Grab!

Die Wipfel der Bäume umflimmert
Ein schmerzlicher Sonnenschein;
Das mögen die letzten Küsse
Des scheidenden Sommers seyn.

Mir ist als müßt’ ich weinen
Aus tiefstem Herzensgrund –
Dies Bild erinnert mich wieder
An unsre Abschiedstund.

Ich mußte dich verlassen
Und wußte du stürbest bald.
Ich war der scheidende Sommer,
Du warst der kranke Wald.

Heinrich Heine

 Der Herbstwind rüttelt ...

Der Herbstwind rüttelt die Bäume,
Die Nacht ist feucht und kalt;
Gehüllt im grauen Mantel,
Reite ich einsam im Wald!

Und wie ich reite, so reiten
Mir die Gedanken voraus;
Sie tragen mich leicht und luftig
Nach meiner Liebsten Haus.

Die Hunde bellen, die Diener
Erscheinen mit Kerzengeflirr;
Die Wendeltreppe stürm’ ich
Hinauf mit Sporengeklirr.

Im leuchtenden Teppichgemache,
Da ist es so duftig und warm,
Da harret meiner die Holde –
Ich fliege in ihren Arm.

Es säuselt der Wind in den Blättern,
Es spricht der Eichenbaum:
Was willst du, törichter Reiter,
Mit deinem törichten Traum?

Heinrich Heine

 Octoberlied

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden;
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden.

Und geht es draußen noch so toll,
Unchristlich oder christlich
Ist doch die Welt, die schöne Welt,
So gänzlich unverwüstlich!

Und wimmert auch einmal das Herz, –
Stoß an, und laß es klingen!
Wir wissen’s doch, ein rechtes Herz
Ist gar nicht umzubringen.

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden.

Wohl ist es Herbst; doch warte nur,
Doch warte nur ein Weilchen!
Der Frühling kommt, der Himmel lacht,
Es steht die Welt in Veilchen.

Die blauen Tage brechen an;
Und ehe sie verfließen,
Wir wollen sie, mein wackrer Freund,
Genießen, ja genießen!

Theodor Storm


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Textgrundlage: „Der Herbstwind rüttelt die Bäume“,   
 Heinrich Heine aus: Buch der Lieder, Lyrisches Intermezzo,
S. 161–162, Auflage 1. Entst.: 1822–1823, ED: 1827, Verlag:
Hoffmann und Campe, EO: Hamburg

wikisource.org

Textgrundlage: „Das gelbe Laub erzittert“, Heinrich Heine
aus: Sammelhandschrift, S. 545
Entst.: 1834, ED: 1834
wikisource.org

Textgrundlage: Octoberlied, Theodor Storm, aus:
Sommergeschichten und Lieder, S. 1–2
Entst.: 1849, ED:1851,
Verlag Duncker, EO: Berlin

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