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Literatur


04.7



Gedichte - Herbst

19. Jahrhundert

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 Liebesfrühling im Herbst
(1883)

Nun weht es rau und scharf aus Norden,
Und immer früher kommt die Nacht;
Die Welt ist seltsam ernst geworden,
trotz ihrer bunten Laubespracht,

Und von der Herbstnacht muß ich träumen,
Die weiß die Dächer überreift
Und von den Büschen, von den Bäumen,
Die letzten welken Blätter streift.

Es ist still – nur eine Meise
Schlüpft auf dem alten Apfelbaum
Durch das Gezweig und flüstert leise
Und sträubt wie fröstelnd ihren Flaum.

Kein Summen mehr von ems’gen Bienen;
Kein Falter irrt, ein Spiel der Luft,
Um Astern her und Georginen
Und andre Blumen ohne Duft.

Durch dürres Laub verfolgt der Rüde
Im Wald des flücht’gen Wildes Spur.
Das ist die Zeit, da legt sich müde
Zurück zum Schlummer die Natur;

Der Rede Fluß beginnt zu stocken,
Die Lider schließt ein sanfter Druck
Und ihren Händen, ihren Locken
Entfällt der Blumen bunter Schmuck.

So oft ich sonst in diesen Tagen
Den Wald, mein grünes Reich, gesehn,
Schien mir ein scheues, irres Klagen
Durch seinen Säulensaal zu gehn,

Und meinem Lauschen wollt’ es scheinen,
Als höre man zu dieser Zeit
Ein leises, unterdrücktes Weinen,
Ein banges Schluchzen weit und breit.

Ich habe dieses trübe Wähnen,
In Trauer selber, nicht gescheut;
Mir war so weh – von stummen Thränen
War Auge mir und Wange feucht.

Mir war, sah ich auf allen Wegen
Im Wirbeln welkes Laub sich drehn,
Als müßt’ ich still mich niederlegen,
Um nimmer wieder aufzustehn.

Auch dieser Herbst hat seine Schauer,
Auch er ist wehmuthweckend still –
Wie kommt es nur, dass keine Trauer
In meiner Brust sich regen will?

Was läßt dies Welken und Vergehen
Nur diesmal unberührt den Sinn?
Was ist mit mir, in mir geschehen,
Daß ich so froh und muthig bin?

Ich muß es vor der Welt verschweigen,
Denn sie ist arg und falsch und schlecht –
Du giebst mit einem leichten Neigen
Des Hauptes deinem Freunde recht?

Du weißt, es ward dem Friedelosen
In dir der herrlichste Gewinn,
Du nimmst des Gartens letzte Rosen
Mit himmlisch-stillem Lächeln hin.

Der Winter kommt und wir frohlocken,
Und haben’s weislich überdacht,
Denn tanzen in der Luft die Flocken,
So währet länger ja die Nacht,

Und muß nach reichem Liebesmahle
Dein Freund hinaus in Nacht und Reif,
So dämmert nicht im Ost der fahle,
Der immer unwillkommne Streif.

Es wird kein Hahnenkrähen schneiden
Hinein in Kuß und Liebeswort,
Wenn halbe Stunden lang wir scheiden,
Es weckt kein: „Horch, nun mußt du fort!“

Im Dunkel lenk’ ich heim die Schritte
Und wenn vorbei der Wächter geht,
So hat im Schnee die Spur der Tritte
Der Wind bedächtig zugeweht.

Du drohst mir scherzend und voll Güte:
„Wo bleibt dein Vorsatz? halte ein!
Es sollte diese Wunderblüthe
Ja aller Welt verborgen sein!

Nun giebst du selbst der argen, schlechten
Die Fülle unsres Glückes kund?“ –
Und einen Finger deiner Rechten
Legst du auf deines Dichters Mund.

Rudolf Lavant

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Textgrundlage: „Liebesfrühling im Herbst“, Rudolf Lavant,
aus: In Reih und Glied,
1. Auflage, ED: 1893,  Verlag: Verlag
von J. H. W. Dietz, EO: Stuttgart

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