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Literatur


04.7





Gedichte - Herbst

20. Jahrhundert

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 Im Herbst

Der schöne Sommer ging von hinnen,
Der Herbst, der reiche, zog ins Land.
Nun weben all die guten Spinnen
So manches feine Festgewand.

Sie weben zu des Tages Feier
Mit kunstgeübtem Hinterbein
Ganz allerliebste Elfenschleier
Als Schmuck für Wiese, Flur und Hain.

Ja, tausend Silberfäden geben
Dem Winde sie zum leichten Spiel,
Sie ziehen sanft dahin und schweben
Ans unbewusst bestimmte Ziel.

Sie ziehen in das Wunderländchen,
Wo Liebe scheu im Anbeginn,
Und leis verknüpft ein zartes Bändchen
Den Schäfer mit der Schäferin.

Wilhelm Busch

 Herbstgefühl

Der große, abendrote Sonnenball
Rutscht in den Sumpf, des Stromes schwarzen Eiter,
Den Nebel leckt. Schon fließt die Schwäre breiter,
Und trübe Wasser schwimmen in das Tal.

Ins finstre Laub der Eichen sinken Vögel,
Aasvögel mit den Scharlachflügeldecken,
Die ihre Fänge durch die Kronen strecken,
Und Schreien, Geierpfiff, fällt von der Höhe.

Ach, alle Wolken brocken Dämmerung!
Man kann den Schrei des kranken Sees hören
Unter der Vögel Schlag und gelbem Sprung.

Wie Schuss, wie Hussah in den schwarzen Föhren
Ist alle Farbe! Von dem Fiebertrunk
Glänzen die Augen, die dem Tod gehören.

Paul Boldt


 Im Herbst

Die Sonnenblumen leuchten am Zaun,
Still sitzen Kranke im Sonnenschein.
Im Acker mühn sich singend die Frau’n,
Die Klosterglocken läuten darein.

Die Vögel sagen dir ferne Mär’,
Die Klosterglocken läuten darein.
Vom Hof tönt sanft die Geige her.
Heut keltern sie den braunen Wein.

Da zeigt der Mensch sich froh und lind.
Heut keltern sie den braunen Wein.
Weit offen die Totenkammern sind
Und schön bemalt vom Sonnenschein.

Georg Trakl

oben

 Herbst im Fluss

Der Strom trug das ins Wasser gestreute
Laub der Bäume fort. –
Ich dachte an alte Leute,
Die auswandern ohne ein Klagewort.

Die Blätter treiben und trudeln,
Gewendet von Winden und Strudeln
Gezügig, und sinken dann still. – –

Wie jeder, der Großes erlebte,
Als er an Größerem bebte,
Schließlich tief ausruhen will.

Joachim Ringelnatz

 Herbst I

Der Abendhimmel, grau und taub
Sei Tafel meinem Stift.
Der starren Bäume fahles Laub
Sei meines Liedes Gift.

Das Spiel von Liebe und von Tod
Kann warten keine Stund’.
Noch leuchtet ihm des Waldes Rot,
Noch sind die Karten bunt.

Otfried Krzyzanowski

oben




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Textgrundlage: "Im Herbst", Wilhelm Busch, aus: Zu guter Letzt, in Historisch-kritische
Gesamtausgabe in vier Bänden. Band 4, S. 302. ED: 1960, Verlag Vollmer, Wiesbaden und Berlin.

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Textgrundlage "Herbstgefühl", Paul Boldt, aus: Junge Pferde! Junge Pferde! S. 19, ED: 1914,
Kurt Wolff Verlag, Leipzig

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Textgrundlage: "Im Herbst", Georg Trakl, aus: Gedichte, S.23, 1. Auflage, ED: 1913,
Kurt Wolff Verlag, Leipzig

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Textgrundlage: "Herbst im Fluss", Joachim Ringelnatz, aus: 103 Gedichte, S. 56,
1. Auflage, ED: 1933, Ernst Rowohlt Verlag, Berlin

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Textgrundlage: "Herbst" Otfried Krzyzanowski, aus: Unser täglich Gift, S. 20, 1. Auflage,
ED: 1913, Kurt Wolff Verlag, Leipzig

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