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Literatur



04.7




Gedichte - Winter

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 Der Sonnenaufgang im Winter

Sonne komm hervor!
Sonne steig’ empor!
Sieh’, es neiget
Sich der Tanne Wipfel!
 Sieh’ es beuget,
Halb im Schnee versteckt,
Halb im Morgenrot entdeckt,
Jedes Hälmchen seine Spitze dir!

Leise schwebt, wie nur der Geist empfindet,
Hauch der Liebe ungesehen,
Wie ein Kind der Mutter Arm umwindet,
Auf den kleinsten Hälmchen deines Atems Wehen!

Und es steigt empor zu Himmelshöhen
Leise das Erhaltungsflehen
Aller Creatur,
Und von der erstarrten Flur
     
Das Dankopfer der Natur!
Halb gesehn, und halb verschwunden,
Neigt, nach still durchwallten Stunden,
Cynthia ihr mattes Haupt;

Schön mit Rosen ihre Stirn’ umwunden,
Früh’ Aurorens Kranz geraubt.
Fliege schnell, wie sanfter Liebe Sehnen,
Morgenrot! zum besten Vater hin;

Hin zur stillen Ruhestätte,
Wo, nach innigem Gebete,
Frohe Träume seine Stirn’ umziehn!
Und mit leisem, liebevollem Säuseln,
Wie dem Abendhauch sich Bäche kräuseln,

Sag’ ihm mit der Liebe Laut: Dass seine
Fern von ihm getrennte Tochter weine,
Dass sie nicht den heitern Morgengruß
Heut empfängt, und ihres Vaters Kuss 

Friederike Brun

oben

 Wintermärchen

Auf dem Baum vor meinem Fenster
Saß im rauhen Winterhauch
Eine Drossel, und ich fragte:
„Warum wanderst du nicht auch?

 Warum bleibst du, wenn die Stürme
Brausen über Flur und Feld,
Da dir winkt im fernen Süden
Eine sonnenschöne Welt?“

Antwort gab sie leisen Tones:
„Weil ich nicht wie andre bin,
Die mit Zeiten und Geschicken
Wechseln ihren leichten Sinn.

Da die wandern nach der Sonne
Ruhelos von Land zu Land,
Haben nie das stille Leuchten
In der eignen Brust gekannt.

Mir erglüht’s mit ew’gem Strahle
– Ob auch Nacht auf Erden zieht –,
Sing’ ich unter Flockenschauern
Einsam ein erträumtes Lied.
Wundersamer Trost in Schmerzen!
Doch nur jene kennen ihn,
Die in Nacht und Sturm beharren
Und vor keinem Winter fliehn.
 Dir auch leuchtet hell das Auge;
Deine Wange zwar ist bleich;
Doch es schaut dein Blick nach innen
In das ew’ge Sonnenreich.

Lass uns hier gemeinsam wohnen,
Und ein Lied von Zeit zu Zeit
Singen wir von dürrem Aste
Jenem Glanz der Ewigkeit.“

 Otto Ernst

oben

 Winternachmittag an der Elbe
 
Durch den Schnee, der Schlucht und Gräben füllt,
Wandert meine Seele ruh umhüllt.
Ach, sie möchte sich Genüge tun,
Lebenswarm im weißen Totenlinnen ruhn!

 Denn es wacht wie eine Flamme mein Gemüt
In der Stille dieser Schlummerzeit.
Wie ein einzig Licht in Waldesnächten glüht,
Brennt mein Herz in Wintereinsamkeit.

 Horch, wer hat den toten Hain erschreckt?
Überlast des Schnees fiel von den Zweigen.
Einen Laut hat sich Natur erweckt,
Weil ihr graute vor dem eignen Schweigen.

 Durch beschneite Zweige kann ich ferne sehn,
Wo die stillen Segel gehn.
Aus dem Reich der stummen Nebelhöhn gesandt,
Ziehn sie lautlos in des Traumes Land. –

 Holder Tag, der unterm Eis verrinnt,
Ewig wirst du mir im Herzen sein!
Tief gebettet dort, wirst du noch einst ein Wein,
Der die alten Augen mir mit Licht umspinnt.

Otto Ernst

oben

 Schlittschuhlaufen

Der Winter geht so starr und kalt,
Der Teich ist festgefroren,
Frischauf die Schlittschuh angeschnallt,
Die Pelze um die Ohren!

 Wir gleiten hin, wir gleiten her
Auf spiegelglattem Eise,
Wir schwingen uns die Kreuz und Quer
Und schlingen unsre Kreise.

Und plumpst auch Einer ’mal dahin,
Das darf nicht scheu ihn machen,
Er stehet auf mit frischem Sinn
Und er beginnt zu lachen.

Er mischt sich wieder in die Reihn
Und läuft in Freude weiter,
Denn auf dem Eis, da muss man sein
Recht munter, frisch und heiter.

Wolfgang Müller von Königswinter

oben

 Winterdämmerung
An Max von Esterle

Schwarze Himmel von Metall.

Kreuz in roten Stürmen wehen
Abends hungertolle Krähen
Über Parken gram und fahl.

 Im Gewölk erfriert ein Strahl;
Und vor Satans Flüchen drehen
Jene sich im Kreis und gehen
Nieder siebenfach an Zahl.

In Verfaultem süß und schal
Lautlos ihre Schnäbel mähen.
Häuser dräu’n aus stummen Nähen;
Helle im Theatersaal.

Kirchen, Brücken und Spital
Grauenvoll im Zwielicht stehen.
Blutbefleckte Linnen blähen
Segel sich auf dem Kanal.

 Georg Trakl




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Gedicht: "Sonnenaufgang im Winter, Frederike Brun, Untertitel 1783,
Herausgeber: Friedrich von Matthiessen, ED 1783, erschienen 1795,
Verlag Orell, Gessner, Füsslein und Co., Zürich
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Gedicht: "Wintermärchen", Otto Ernst, aus: Siebzig Gedichte, S. 12-13, 1. Auflage.
ED: 1907, Verlag: L.Staackmann, Leipzig
Wikisource

Gedicht: "Winternachmittag an der Elbe", Otto Ernst, aus: Siebzig Gedichte,
S. 11, 1. Auflage. ED: 1907, Verlag: L. Staackmann, Leipzig
Wikisource

Gedicht: "Schlittschuhlaufen", Wolfgang Müller von Königswinter,
aus: Kindrleben in Liedern und Bildern, ED: 1850,
Verlag Johann Heinrich Schulz, Düsseldorf
Wikisource

Gedicht: "Winterdämmerung", Georg Trakl, aus Gedichte, S. 13, 1.
Auflage, ED: 1913, Kurt Wolff Verlag, Leipzig
Quelle: Der Jüngste Tag. Die Bücherei einer Epoche. Herausgegeben von Heinz Schöffler.
Faksimile-Ausgabe. Band 1. Frankfurt am Main: Societäts-Verlag 1981.
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