Gedichte
- Winter
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Der
Sonnenaufgang im Winter
Sonne
komm hervor!
Sonne
steig’ empor!
Sieh’,
es neiget
Sich
der Tanne Wipfel!
Sieh’
es beuget,
Halb
im Schnee versteckt,
Halb
im Morgenrot entdeckt,
Jedes
Hälmchen seine Spitze dir!
Leise
schwebt, wie nur der Geist empfindet,
Hauch
der Liebe ungesehen,
Wie
ein Kind der Mutter Arm umwindet,
Auf
den kleinsten Hälmchen deines Atems Wehen!
Und
es steigt empor zu Himmelshöhen
Leise
das Erhaltungsflehen
Aller
Creatur,
Und
von der erstarrten Flur
Das
Dankopfer der Natur!
Halb
gesehn, und halb verschwunden,
Neigt,
nach still durchwallten Stunden,
Cynthia
ihr mattes Haupt;
Schön
mit Rosen ihre Stirn’ umwunden,
Früh’
Aurorens Kranz geraubt.
Fliege
schnell, wie sanfter Liebe Sehnen,
Morgenrot!
zum besten Vater hin;
Hin
zur
stillen Ruhestätte,
Wo,
nach innigem Gebete,
Frohe
Träume seine Stirn’ umziehn!
Und
mit leisem, liebevollem Säuseln,
Wie
dem Abendhauch sich Bäche kräuseln,
Sag’ ihm mit
der Liebe Laut: Dass seine
Fern
von ihm getrennte Tochter weine,
Dass
sie nicht den heitern Morgengruß
Heut
empfängt, und ihres Vaters Kuss
Friederike
Brun
oben
Wintermärchen
Auf
dem Baum vor meinem Fenster
Saß
im rauhen Winterhauch
Eine
Drossel, und ich fragte:
„Warum
wanderst du nicht auch?
Warum
bleibst du, wenn die Stürme
Brausen
über Flur und Feld,
Da
dir winkt im fernen Süden
Eine
sonnenschöne Welt?“
Antwort
gab sie leisen Tones:
„Weil
ich nicht wie andre bin,
Die
mit Zeiten und Geschicken
Wechseln
ihren leichten Sinn.
Da
die wandern nach der Sonne
Ruhelos
von Land zu Land,
Haben
nie das stille Leuchten
In
der eignen Brust gekannt.
Mir
erglüht’s mit ew’gem Strahle
– Ob
auch Nacht auf Erden zieht –,
Sing’
ich unter Flockenschauern
Einsam
ein erträumtes Lied.
Wundersamer
Trost in Schmerzen!
Doch
nur jene kennen ihn,
Die
in Nacht und Sturm beharren
Und
vor keinem Winter fliehn.
Dir
auch leuchtet hell das Auge;
Deine
Wange zwar ist bleich;
Doch
es schaut dein Blick nach innen
In
das ew’ge Sonnenreich.
Lass
uns hier gemeinsam wohnen,
Und
ein Lied von Zeit zu Zeit
Singen
wir von dürrem Aste
Jenem
Glanz der Ewigkeit.“
Otto
Ernst
oben
Winternachmittag
an der Elbe
Durch
den Schnee, der Schlucht und Gräben füllt,
Wandert
meine Seele ruh umhüllt.
Ach,
sie möchte sich Genüge tun,
Lebenswarm
im weißen Totenlinnen ruhn!
Denn
es wacht wie eine Flamme mein Gemüt
In
der Stille dieser Schlummerzeit.
Wie
ein einzig Licht in Waldesnächten glüht,
Brennt
mein Herz in Wintereinsamkeit.
Horch,
wer hat den toten Hain erschreckt?
Überlast
des Schnees fiel von den Zweigen.
Einen
Laut hat sich Natur erweckt,
Weil
ihr graute vor dem eignen Schweigen.
Durch
beschneite Zweige kann ich ferne sehn,
Wo
die stillen Segel gehn.
Aus
dem Reich der stummen Nebelhöhn gesandt,
Ziehn
sie lautlos in des Traumes Land. –
Holder
Tag, der unterm Eis verrinnt,
Ewig
wirst du mir im Herzen sein!
Tief
gebettet dort, wirst du noch einst ein Wein,
Der
die alten Augen mir mit Licht umspinnt.
Otto
Ernst
oben
Schlittschuhlaufen
Der
Winter geht so starr und kalt,
Der
Teich ist festgefroren,
Frischauf
die Schlittschuh angeschnallt,
Die
Pelze um die Ohren!
Wir
gleiten hin, wir gleiten her
Auf
spiegelglattem Eise,
Wir
schwingen uns die Kreuz und Quer
Und
schlingen unsre Kreise.
Und
plumpst auch Einer ’mal dahin,
Das
darf nicht scheu ihn machen,
Er
stehet auf mit frischem Sinn
Und
er beginnt zu lachen.
Er
mischt sich wieder in die Reihn
Und
läuft in Freude weiter,
Denn
auf dem Eis, da muss man sein
Recht
munter, frisch und heiter.
Wolfgang
Müller von Königswinter
oben
Winterdämmerung
An
Max von Esterle
Schwarze
Himmel von Metall.
Kreuz
in roten Stürmen wehen
Abends
hungertolle Krähen
Über
Parken gram und fahl.
Im
Gewölk erfriert ein Strahl;
Und
vor Satans Flüchen drehen
Jene
sich im Kreis und gehen
Nieder
siebenfach an Zahl.
In
Verfaultem süß und schal
Lautlos
ihre Schnäbel mähen.
Häuser
dräu’n aus stummen Nähen;
Helle
im Theatersaal.
Kirchen,
Brücken und Spital
Grauenvoll
im Zwielicht stehen.
Blutbefleckte
Linnen blähen
Segel
sich auf dem Kanal.
Georg
Trakl
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Gedicht: "Sonnenaufgang
im Winter,
Frederike Brun, Untertitel 1783,
Herausgeber:
Friedrich von Matthiessen, ED
1783, erschienen 1795,
Verlag Orell,
Gessner, Füsslein und Co., Zürich
Wikisource
Gedicht: "Wintermärchen", Otto
Ernst, aus:
Siebzig Gedichte, S. 12-13, 1. Auflage.
ED: 1907, Verlag:
L.Staackmann, Leipzig
Wikisource
Gedicht: "Winternachmittag
an der Elbe", Otto
Ernst, aus: Siebzig Gedichte,
S. 11, 1. Auflage.
ED: 1907, Verlag: L.
Staackmann, Leipzig
Wikisource
Gedicht: "Schlittschuhlaufen",
Wolfgang Müller
von Königswinter,
aus: Kindrleben in
Liedern und Bildern, ED: 1850,
Verlag
Johann Heinrich Schulz, Düsseldorf
Wikisource
Gedicht: "Winterdämmerung",
Georg Trakl, aus
Gedichte, S. 13, 1.
Auflage, ED: 1913,
Kurt Wolff Verlag, Leipzig
Quelle: Der
Jüngste Tag. Die Bücherei einer Epoche. Herausgegeben
von Heinz Schöffler.
Faksimile-Ausgabe.
Band 1. Frankfurt am Main:
Societäts-Verlag 1981.
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Logo 103: "The Cart" Claude Monet, 1867,
gemeinfrei
wikimedia.org
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