lifedays-seite

moment in time




 
Literatur


04.7




Gedichte - Winter

______________________



 Trauriger Winter

Nun ziehen Nebel, falbe Blätter fallen,
Öd alle Stellen, die uns oft entzücket!
Und noch einmal tief Rührung uns beglücket,
Wie aus der Flucht die Abschiedslieder schallen.
Wohl manchem blüht aus solchem Tod Gefallen:
Daß er, nun eng ans blühnde Herz gedrücket,
Von roten Lippen holdre Sträuße pflücket,
Als Lenz je beut mit Wäldern, Wiesen allen.
Mir sagte niemals ihrer Augen Bläue:
"Ruh auch aus! Willst du ewig sinnen?"
Und einsam sah ich so den Sommer fahren.
So will ich tief des Lenzes Blüte wahren,
Und mit Erinnern zaubrisch mich umspinnen,
Bis ich nach langem Traum erwach im Maie.

Joseph Freiherr von Eichendorff

 Im Winter

Himmel! zieh' die Trauerschleier
Von der dunklen Welt empor,
Öffne deinem Sonnenfeuer
Endlich nun des Frühlings Thor.

Gieße wieder warme Funken
Nieder in das Thal der Welt,
Bis die Nacht ist ganz versunken,
Die der Mai mit Licht erhellt.

Öffne dich du Blumengarten,
Winters Nachtgestalt entflieh,
Daß die laue Luft mit zartem
Hauch die grüne Flur durchzieh.

Wandelt, weiße Todesdecken,
Euch in junges Lebensgrün!
Schon die zarten Gräser recken
Sich empor in stillem Müh'n.

Laß auf Meeres Wellenflügeln
Wieder leichte Schiffe ziehn,
Nimm den Ernst von allen Hügeln,
Laß sie reich an Blumen blühn.

Mal' in Blumen-Bilderschriften
Neue Wunder-Mährchen fort,
Zeichne durch die grünen Triften
Wieder deines Schaffens Wort.

Helene Branco

 Der Winter

Winter. Bin ich denn etwa freudenleer?
 Meinst du, mein Kind? O, nimmermehr!
 Ich lass’ dich schlitten, lass’ dich schleifen,
 Und willst du meinen Schnee angreifen,
 So ist er wohl ein bischen kalt,
 Doch findest sicherlich du bald,
 Daß sich ein Männchen, weiß und fest,
 Ganz herrlich daraus bauen läßt.

Kind. Wie kannst du auch so artig sprechen!
Doch was du sagst, ist Alles wahr.
Laß nur kein Bein mich bei dir brechen;
Denn allzu leicht bringst du Gefahr!

Winter. Nur nicht verwegen, liebes Kind,
Dann bleib’ ich freundlich dir gesinnt!

Wilhelm August Corrodi

oben






____________________________

Textgrundlage:
"Trauriger Winter", Joseph Freiherr von Eichendorff
gedichte.xbib.de

"Im Winter" Helene Branco. Aus der Sammlung Natur
gedichte.xbib.de

"Der Winter" Wilhelm August Corrodi: Fünfzig Fabeln
und Bilder aus der Jugendwelt
wikisource.org

Logo 103: "The Cart", Claude Monet, 1867,
gemeinfrei
wikimedia.org

   lifedays-seite - moment in time