Sturm
und Drang
Sturm
und Drang (auch Geniezeit oder Genieperiode) bezeichnet eine Strömung
der deutschen Literatur in der Epoche der Aufklärung, die etwa von 1767
bis 1785 hauptsächlich von jungen, etwa 20- bis 30-jährigen Autoren
getragen wurde.
Die
Benennung erfolgte in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts nach dem
Drama „Sturm und Drang“ des deutschen Dichters Friedrich Maximilian
Klinger. Wegen der „Verherrlichung des ‚Originalgenies‘ als Urbild des
höheren Menschen und Künstlers“ (Gero von Wilpert) wird diese Strömung
auch als „Geniezeit“ bezeichnet.
Literatur
der Aufklärung als Voraussetzung
In
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist das philosophische und
literarische Leben im deutschen Sprachraum weitestgehend von der
Aufklärung bestimmt. Der Verstand ist die bestimmende Größe der Zeit,
durch dessen freien Einsatz, wie Kant später formuliert, der „Ausgang
des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ erreicht
werden soll. Literatur sollte den Leser moralisch bilden, ihn erhellen
und seine Vernunft wecken.
Die
von der Aufklärung angestrebte Freiheit begünstigte Literaturformen,
die der vernünftig argumentierenden und gebändigten Sprache
verpflichtet waren. Die Forderung nach einer „regelmäßigen“ Dichtkunst
wurde von Theoretikern wie Gottsched auch während der Aufklärung mit
Nachdruck vorgebracht. Die Einheit von Ort, Zeit und Handlung, eine
gehobene Sprache und die Trennung der Besetzung von Tragödie und
Komödie mit Adel und Bürgertum waren Postulate, die man in zahlreichen
Dichterakademien die angehenden Literaten lehrte.
Anfänge
Doch
bereits in Friedrich Gottlieb Klopstocks Oden von 1750 zeigte sich,
dass dieses Reglement zu eng gefasst war. Mit dieser Demonstration
gegen die rein verstandesmäßige Haltung der Aufklärung war der
Grundstein für die Überwindung der Vernunftherrschaft und eine
Entfesslung des Gefühlsüberschwangs, der Fantasie und der Gemütskräfte
als neuer dichterischen Grundhaltung gelegt.
Diese
erneuernde Bewegung, die wie ein Ruck durch die deutschsprachige
Literatur ging, war in ihrem bürgerlich-jugendlichen Charakter von
einem hohen Idealismus gekennzeichnet: Fülle des Herzens und Freiheit
des Gefühls, Ahnung und Trieb, emotio statt ratio. Das Aufbegehren der
Jugend hatte nun sein literarisches Äquivalent gefunden, eine neue
Generation deutschsprachiger Schriftsteller fand in den Thesen Johann Gottfried Herders den
Widerhall ihrer Erfahrungen und Gefühlswelt.
Herder,
der zu einem Wegbereiter des Sturm und Drang wurde, kritisierte die
Arroganz der Aufklärung gegenüber dem einfachen Volk und forderte dazu
auf, auch die „Ächtheit“ und Tiefe von Volkslied und -dichtung als
Kunst anzuerkennen. Auch Heinrich Wilhelm von Gerstenbergs Ugolino
(1768) kann man in die Frühphase des Sturm und Drang einordnen.
Besonderheiten
Das
Persönlichkeitsideal der jungen Generation in der deutschen Literatur
des ausgehenden 18. Jahrhunderts wendete sich gegen Autorität und
Tradition. An Stelle einer erlernbaren Regelpoetik, die man in
Dichterakademien lernen konnte, setzten die „jungen Wilden“ die
Selbstständigkeit des Original-Genies, das sein Erleben und seine
Erfahrungen in eine individuelle künstlerische Form brachte, die mit
den Regeln der traditionellen Poetik sehr frei umging. Außerdem war der
Sturm und Drang wesentlich von Historismus und Irrationalismus geprägt.
Man wandte sich von der aufklärerischen ratio ab und begann die emotio
ins Zentrum zu rücken.
Die
überkommenen Regeln wurden mit Verweis auf das eigene Können und die
Kraft genialer Originalität als Krücken verworfen, die das gesunde
Genie der jungen Autoren nicht benötige. Nicht in eine Form sollte das
Werk passen, sondern in die Welt, wie die Generation des Sturm und
Drang sie erlebte, ihr Lebensgefühl widerspiegelnd.
Ein
neues, innig umfassendes und sich einfühlendes Verhältnis zur Natur
vereinte sich mit einer tragischen Grundauffassung vom Genie. Das
Gefühl rückte ins Zentrum der literarischen Aussage. „Die Stimme des
Herzens ist ausschlaggebend für die vernünftige Entscheidung.“ Dieses
Zitat von Johann Gottfried Herder zeigt den Protest gegen die
herrschenden Moralvorstellungen, die Entscheidungen von der Moral und
nicht vom Herzen abhängig machten. Hinzu kam die Kritik am feudalen
System. Dessen Überwindung hatte die Aufklärung ebenfalls zum Ziel, sah
jedoch die Vernunft als höchstes Gut, während im Sturm und Drang das
Gefühl an erster Stelle stand.
Die
Hauptform der Dichtung in der Epoche des Sturm und Drang stellte das
Drama dar. Das immer wiederkehrende Thema war der Konflikt des
Naturgenies, der nach Freiheit strebenden, widerspenstigen Jugend, mit
den Schranken der bestehenden Weltordnung, die die handelnden Personen
als Aufrührer und Verbrecher erscheinen ließ. Formales Vorbild wurde
Shakespeare anstelle der Dichter der antiken – vor allem griechischen –
Welt.
Die
exaltierte, ungebändigte und doch gefühls- und ausdrucksstarke Sprache
des Sturm und Drang war voller Ausrufe, halber Sätze und forcierter
Kraftausdrücke und neigte zum derbrealistisch Volkstümlichen. Man nahm
kein Blatt mehr vor den Mund und brachte die Sprache des Volkes und der
Jugend auf die Bühnen. Die Frontstellung der jungen Schriftsteller
gegen eine aristokratische Hofkultur nach französischem Vorbild sowie
ihre Sympathie für Begriffe wie Natur, Herz und Volk fielen bereits den
Zeitgenossen auf. Eine eigenständige „Jugendkultur“ in der Literatur
war entstanden. Kritiker bemängelten, die Vernachlässigung der
dramatischen Technik und Einheiten in den Werken des Sturm und Drang
gehe bis zum beliebig häufigen Schauplatzwechsel, oft über den Grad
bühnenmäßiger Wirksamkeit (und Darstellbarkeit) hinaus.
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