Weimarer
Klassik
Der
Ausdruck Weimarer Klassik bezeichnete im Verständnis des 19.
Jahrhunderts die Zeit, in der das „Viergestirn“ Wieland, Goethe, Herder
und Schiller in Weimar wirkte. Im engeren Sinn wird die Epoche nach
Johann Wolfgang Goethes erster Italienreise 1786 damit bezeichnet. Die
Weimarer Klassik dauerte etwa bis zu Schillers Tod 1805. Oft wird mit
Weimarer Klassik auch nur die gemeinsame Schaffensperiode der
befreundeten Dichter Goethe und Schiller bezeichnet, die von 1794 bis
1805 ging.
Grundzüge
Gegen
die Unruhe der Zeit (Französische Revolution, Aufstieg Napoleons,
Frühindustrialisierung) setzt die Klassik Harmonie und Humanität als
Leitideen. Ausrichtung am Idealbild der gr.-röm. Klassik, das auf den
Schriften Johann Joachim Winckelmanns (1717-68) beruht
(charakterisierende Formel von der edlen Einfalt und stillen Größe): In
der antiken Kultur und ihren künstlerischen Zeugnissen sieht man die
Harmonie zwischen Leben und Ideal, Natur und Freiheit (Schiller) und
eine der Natur entsprechende Schönheit (Goethe) erreicht.
Dem starren Rationalismus der Aufklärung stehen in der Klassik die
Ideale des Guten, Wahren, Schönen entgegen; Abkehr vom Subjektivismus
des Sturm und Drang; statt der dynamisch auf "Unendlichkeit"
gerichteten "Universalpoesie" der Romantik: Statik, Vollendung und
Schönheit als Harmonie zwischen sinnlichem Trieb und Vernunft.
Sittlicher Idealismus: Sittengesetz als allgemeines Gesetz für das
Vernunftwesen Mensch (kategorischer Imperativ Kants: "Handle so, dass
du die Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden
anderen jederzeit als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst"). Der
Mensch gewinnt Freiheit und Autonomie dadurch, dass er die moralischen
Gebote in den eigenen Willen aufnimmt. Die "reine Menschlichkeit" als
Ideal. Werte: Menschlichkeit, Toleranz, Maß, Vollendung, Ausgleich;
Übereinstimmung von Geist und Gemüt, Mensch und Natur, Individuum und
Gesellschaft.
Menschenbild
Mittelstellung
des Menschen zwischen Geist und Materie; Mensch hat durch seinen Geist
an der "Gottheit", durch seine Natur an der "Tierheit" teil. Bildung
zur Humanität durch Kunst und Dichtung (Schiller: "ästhetische
Erziehung"); Erziehungsideal: der in sich ruhende gute und schöne
Mensch, in dessen Handeln Pflicht und Neigung sich in Übereinstimmung
befinden (die "schöne Seele"); stimmen Pflicht und Neigung nicht
überein, so tritt in der Überwindung der Neigung die Würde des
Menschen, seine "Erhabenheit" hervor.
Überwindung nationaler
Schranken: Gedanke des Weltbürgertums.
Kunstideal
Bändigung, Maß, Formung:
Nach Schiller liegt
das Wesen der Schönheit in der Harmonie
zwischen sinnlichem Trieb und dem Gesetz der Vernunft; antikes
Griechentum als Muster der Humanität und der künstlerischen Darstellung
des "schönen" Menschen.
Kunstgegenstand ist nicht "das
Leben", sondern die Gesetzlichkeit des Lebens, nicht die Wirklichkeit,
sondern die Wahrheit.
Goethe: Der Dichter muss in der
individuellen Gestalt den Typus erkennen lassen, dem Typus durch
individuelle Gestalt Leben verleihen.
Entsprechend
Wille zur Form, strenges Formideal: Naturgemäßheit, Beschränkung in den
Mitteln, Ordnung im Aufbau, Harmonie der Teile; Fünf-Akt-Schema im
Drama, Orientierung an den drei Einheiten; wohlgestaltete Sprache;
Übernahme antiker Formen (Versmaße); Sparen an Personen und
realistischem Detail; allgemeingültige Formulierungen.
Themen
Abwendung
von der Alltagswirklichkeit: erhabene Gegenstände, große Charaktere;
Stoffe von grundsätzlicher Bedeutung (Goethe: Genie und Gesellschaft im
Tasso; Humanität in der Iphigenie; Schiller: Freiheit, der Einzelne und
das Schicksal, Schuld, Läuterung). Übernahme antiker Inhalte
(Mythologie).
Bevorzugte
Formen
Drama als
wichtigste Gattung; Gedankenlyrik (Ideengedichte); Balladen;
Bildungsroman ("Wilhelm Meister").
Textgrundlage