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Literatur


04.2


Gedichte

Charlotte von Ahlefeld



Die Rose im November
An Sophie B.

Herbstlich rau verödet sind die Fluren,
Und verschwunden ist des Sommers Glanz;
Dennoch reich′ ich eine seiner Spuren
Glühend Dir zum jugendlichen Kranz.

Diese Rose, die sich spät erschlossen,
Dufte Lenzgefühl Dir in die Brust. -
Ach sie hat die Sonne nicht genossen,
Nicht der milderen Entwicklung Lust.

Feuchte Lüfte haben sie erzogen,
Dennoch trotzte sie mit inn‘rer Kraft,
Still und schweigend kalten Nebelwogen,
Und des Sturmes wilder Leidenschaft.

Dir, der tiefe Innigkeit und Güte
Mitgefühl für stumme Schmerzen reicht,
Sage ihre bald verwelkte Blüte
Welchem Los ihr trübes Schicksal gleicht.


Der Traum

Ein seltner Traum hielt magisch mich umfangen
Und zauberte mir Wunderbilder vor.
Des Haines Wipfel rauschten, und es drangen
Die Sterne golden durch der Wolken Flor.
Das Meer war still, und in den weiten Fluten
Verloren sich der Abendröte Gluten.

Ich wandelte allein am öden Strande,
Und tief im Busen regte sich mein Schmerz.
Ich wünschte mich zurück in ferne Lande -
Des Heimwehs Qualen füllten bang mein Herz.
Den vollen Mond begrüßten meine Tränen,
Denn mich ergriff ein allgewaltig Sehnen.

Da hob sich aus des Meeres dunkler Bläue
Ein leichter Nebel neben mir empor,
Und es erklang wie Geisterton der Weihe
Melodisch eine Sprache meinem Ohr,
Wie nimmer noch mein trunkner Sinn vernommen;
Sie schien aus höhern Räumen herzukommen.

»Was seufzest Du mit bangen Klagetönen
Um das verlass‘ne, ferne Vaterland?
Mit Deinem Los Dich friedlich zu versöhnen,
Hat mich das Schicksal tröstend Dir gesandt;
So blicke denn mit kindlichem Vertrauen
Zu jenen Sternenhöhen, die wir schauen.

Dort ist die Heimat, die, vom Wahn verblendet,
Der Sterbliche sich schon auf Erden träumt.
Erst wenn sein dumpfes Pflanzenleben endet,
Und aus der Ahndung ihm Erfüllung keimt -
Erst dann gewährt der weisen Vorsicht Hand
In jenen Sphären ihm ein echtes Vaterland.«

Wie Silberlaut′ aus Harfensaiten quellen,
So drang die Stimme tief mir in die Brust,
Und hob mich auf des Wohllauts goldnen Wellen
Aus Bangigkeit zu neuer Lebenslust,
Und frischen Mut - des Daseins schönste Blüte,
Fühlt ich seitdem im ahnenden Gemüte.




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Textgrundlage: Gedichte aus "Natalie", Charlotte von Ahlefeld,
Berlin 1808, gemeinfrei

"Die Rose im November",   "Der Traum"
zgedichte.de

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"Traum", Pierre Puvis de Chavannes, 1883
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