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Literatur


04.2


Gedichte
 

Marie Eugenie Delle Grazie



 Prolog

Du steinern Buch, darin in mächt’gen Zügen
Das hohe Lied der Weltgeschichte steht,
Mit ihren Kämpfen, ihren schönsten Lügen
Und ihrer Wahrheit herber Majestät;
Du Marmorchronik, die noch im Zerfallen

Der Macht und Schönheit stolze Sprache führt,
Du herrlichste Ruine unter allen,
Die je des Todes Flügelschlag berührt –
O Roma, Ew’ge du, so lange leben,
Erscheinen, Ringen und Versinken heißt –

Wirst du dem kecken Sängermut vergeben,
Wenn er am Flore deiner Trauer reißt?
Und dennoch! Wehen nicht die grünsten Ranken
Gerad von deinen Mauern ernste Stadt?
Die Schwermut deiner traurigsten Gedanken,

Umschmeicheln sie nicht prangend Blüt’ und Blatt?
Clematis wallt in Prachtguirlanden nieder,
Wo goldig einst des Cäsars Thron erglänzt,
Um öde Tempel duftet süß der Flieder
Und selbst das Colosseum ward bekränzt –

O Rom, du steinern Buch voll Weltgedanken
Und Weltleid – stolze Marmorchronik du –
Vignetten gleich nur soll mein Lied umranken
Die Schicksalshieroglyphen deiner Ruh’!


  Motto

Mit elegischem Geflüster
Blickt vom öden Palatin
Eine einz’ge Pinie düster
Nach dem stillen Forum hin. 

Oben lien die Paläste
Der Cäsaren all’ im Staub,
Unten klagen Säulenreste:
Schändung, Brand und Tempelraub.

„Oben sank der Imperator,
Unten stürzten Götter hin
Und der Tod blieb Triumphator –“
Seufzt der Baum am Palatin ...

 


 Stimmen des Palatin

Stachelfeigen und Kakteen
Prunken jetzt im Heiligtum
Cäsars, und die Palmen wehen
Kühlung in’s Triklinium.

Wo die Füße scheuer Sklaven
Lautlos hin- und hergehuscht,
Haben Schlingkraut und Agaven
Nun den Mosaik umbuscht.

Eingesunken seine Thermen
Und der Säle gold’ne Pracht –
Trümmer und gestürzte Hermen
Halten rings die Totenwacht.

Faul sein Purpur, morsch sein Zepter,
Doch sein Atem und sein Geist,
Noch in den Ruinen lebt er,
Wie ein Aar, der sie umkreist!

Steige noch so keck und munter
Hier hinauf, Despotenfeind, –
Trüb und stumm kehrst du hinunter,
Schauerst, wo du leicht verneint!

Ihrer Stimmen mächtig Dröhnen
Schallt vernehmbar an dein Ohr,
Ihre Opfer hörst du stöhnen,
Doch auch ihren Siegeschor

Mit dem Roth der Abendgluten
Flammt dir ihres Purpurs Saum.
Vor den Augen – und verbluten
Siehst du ihren Weltentraum...

Schreite sacht auf diesen Fliesen
Tadler, ob dein Herz auch grollt,
Denn sie waren Willensriesen
Und wir – werden nur gewollt!






oben
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Textgrundlage: Marie Eugenie Delle Grazie, aus: Italische Vignetten,
S. 63-67, ED: 1892, Verlag: Breitkopf und Härtel, Leipzig

Prolog, S. 3,   Motto, S. 4,   Stimmen des Palatin, S. 6-7
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Logo 266: "Coliseum at dusk" Diliff, 2007
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