Gedichte
Marie Eugenie Delle Grazie
Abendsonnenschein
Abendsonnenschein! Er flutet
Durch ein marmorn Prunkgemach,
Wo er hinirrt, flammt und glutet
Seide, Gold und Purpur nach.
Schimmernde
Pilaster treten
Aus den Wänden stolz hervor,
Reizvoll prangt in den Lünetten
Pinturicchio’s Farbenflor:
Cherubhäupter lauschen nieder,
Wo
die Makellose fleht –
Heil’ge Unschuld, vom Gefieder
Überird’scher Macht umweht!
Märtyrer in Todesqualen,
Fromme Klausner, weltentrückt,
Augen,
die im Brechen strahlen
Triumphierend und verzückt –
Niederrauscht ein ganzer Himmel
Flammend hier und golddurchwebt,
Eine Glorie, ein Gewimmel,
Das
im Licht sich regt und lebt ....
Hörst du nicht die
Engel flüstern?
Tritt ein Cherub dort herfür?
Da – ein leiser Ruf – ein Knistern –
Weit auf springt die gold’ne Tür
Des
Gemach’s und auf der Schwelle
Steht ein jugend-schönes Weib,
Von des abends Purpurhelle
Übergossen Haupt und Leib.
Rosig schimmern ihre Wangen,
Rosig
blüht der Arme Pracht –
Höll’ und Himmel siehst du prangen
In des Auges samt’ner Nacht.
Kosig unter leichter Hülle
Wogt und ebbt des Busens Schnee
Und
der Locken gold’ne Fülle
Küsst die prächtige Kamee,
Die auf ihrer Schulter flimmert –
Spähend huscht sie nun herein,
Lauscht und winkt – ihr Auge schimmert
Und
die Lippe haucht: „Allein!
Komm, hier wird uns
Niemand stören,
Hier beraten wir’s in Ruh –
Nur die lieben Heil’gen hören
Mit erstaunten Augen zu -
Hahaha!“ Und silberhelle
Tanzt ihr Kichern durch’s Gemach –
Lautlos, mit des Panthers Schnelle
Gleitet ihr ein Ritter nach.
Doch
kein Fremdling: ihre Züge
Weist sein Antlitz streng und treu –
Gleichen Adels stolze Lüge,
Gleicher Schönheit Heuchelei ....
„Cesare –“ und zum Geflüster
Dämpft
des Weibes Stimme sich,
Ihre Marmorstirn wird düster
Und ihr Lächeln fürchterlich –
„Nicht die schlimmste deiner Taten
Wird es sein, wenn meine Qual
Mit
ihm stirbt –“ „Ich kann’s erraten,“
Grinst der Bruder – „dein Gemahl!
Uns zu Trotz kehrt er aufs Neue
Jetzt nach Rom – gewagter Spott!
Oder
sucht er deine Treue,
Oder - unsres Vaters Gott?“
„Einerlei, du musst ihn fassen,
Denn er ist uns feind!“
„Gewiß!
Einig sind wir, wenn wir hassen –
Borgia’s
Wappenspruch sei dies!
Schielst wohl nach dem reichen Este,
Schwesterchen? Ein schmucker Herr!
Neulich merkt’ ich’s schon, beim Feste –
Nun
– Alfonso heißt auch der!
Und du blühst noch
wie die Rose,
Üppig, hold, ein wonnig Weib –
Lass dich küssen, Schöne, Lose –
O – wie schmiegsam dieser Leib
Hängen
möcht ich dir am Munde
So wie einst, wie damals .... ha,
Denkst auch du noch jener Stunde,
Jener Nacht, Lucrezia?“
„Schweig', du fehltest an dem Kinde,
Lüstling,
an dem eignen Blut!“
„Pah – was frag’ ich nach der Sünde?
War es süß, so war’s auch gut!
Nur wer solche Lust genossen,
Führt gleich reu’los Dolch und Schwert –
Hass
und Lieb’ sind Höllensprossen:
Erst der Frevel macht sie wert!“
„Aber wie wirst du’s vollbringen?“
Flüstert sie; „Pah – wie sich’s trifft!
Will’s
dem Schwerte nicht gelingen –
Unfehlbar wirkt Borgia’s Gift!
Ich kredenze es dem Zecher
Schmunzelnd im Falerner-Wein,
Schütt’ es in die Taumelbecher
Ahnungsloser
Lust hinein,
Lass es mit dem Weihrauch
steigen,
Träufle es ins Andachtsbuch
Meiner Feinde – und sie schweigen
Fromm dann unter’m Leichentuch!
Heut’
noch wirst du seiner ledig,
Zaub’rin – doch was ist der Preis?
Wie – du sinnst noch? sei mir gnädig!“
Raunt der Elende und heiß
Strömt, von sünd’ger Lust entglommen
Nach
den Schläfen ihm das Blut –
Da – ein Schrei – „Hinweg! Sie kommen!“
Und fort stürzt die Lasterbrut ....
Fromme Litaneien schallen
Salbungsvoll
den Flieh’nden nach,
Duft’ge Weihrauchwolken wallen
Hinter ihnen durch’s Gemach;
Und wie auf den Fluten gaukelnd
Sich die Gondel hebt und wiegt,
Naht
ein Thron, der leise schaukelnd
Sich an Priesterschultern schmiegt;
Sieh’ – ihn selbst bringt man getragen,
Ihn, den Herrn an Gottes Statt —
Seines Kleides Falten schlagen
Um
den Thron ein Purpurrad;
Aus der funkelnden
Tiare
Bricht es wie ein Feuerschein,
Lockig fallen ihm die Haare
In die mächt’ge Stirn hinein;
Ries’ge
Pfauenwedel fächeln
Kühlung
ihm und Weihrauch zu,
Und
ein sattes Götterlächeln
Kräuselt
seiner Züge Ruh’.
Pinturicchio’s
Heil’ge stieren
Ihm
mit finst’ren Blicken nach
Und
die Sonnenstäubchen schwirren
Hinter
ihm aus dem Gemach. –
Stille
wird es rings .... schon dunkelts,
Fern’
verhallt der letzte Tritt,
Aber
an der Decke funkelt’s
Blutig: „Borgia
– fundavit“ ...
oben
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Textgrundlage: "Abendsonnenschein", Marie Eugenie Delle
Grazie,
aus: Italische Vignetten, S. 63-67, ED: 1892, Verlag: Breitkopf und Härtel,
Leipzig
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Logo 264: "St.
Catherine's Disputation"-
Borgia Appartments,
Pinturicchio, 15. JH, gemeinfrei
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