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Literatur


04.2


Gedichte - Karl Henckell





Laß sie!

Laß sie deinem Fluge grollen,
Deinem Sehnen, deinem Wollen,
Die im Schlamm mit Krämersinn
Wälzen sich durch’s Leben hin!

Wie sie mit den Zähnen blecken,
Wie sie ihre Nasen recken,
Wie sie zischeln! Krötenbrut,
Schnüffelst du das Götterblut?

Kauft Pomade, schminkt euch weiter,
Leckt euch auf der Ehrenleiter
In die Höh’ zu Gold und Ruhm,
Zu dem wahren Menschenthum!

Lobt den Herren, kauft euch Dirnen,
Tretet mit erfrechten Stirnen
Lieb’ und Ehre in den Koth –
Aber werdet nur nicht roth!

Denn das wäre gar nicht schicklich
Und genierte augenblicklich,
Und ein echter Herr von chic
Bräche lieber das Genick.

Im Parterre lauscht gefühlvoll,
Wie ein schneid’ger Junker stilvoll,
Leider abgezehrt an Geist,
Seine faulen Witze reißt.

Und Herrn Ebers – o wie labend!
Bringt nur am ästhet’schen Abend
Bei der Tasse dünnen Thee
Voll Bewund’rung auf’s Tapet!

Jeder Backfisch soll ihn preisen,
Spielt er doch so weise Weisen
Aus Egypten spät und früh
Und verletzt den Anstand nie …

Nur nicht, wie das Leben brandet,
Wie der Mensch im Unglück strandet! –
Wer den Vorhang niederreißt,
Stört die schwachen Nerven meist.

„Seht einmal den groben Flegel!
Höflichkeit ist erste Regel,
Und der Wicht – die courtoisie
Lernt der Unverschämte nie.“







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Textgrundlage: Gedichte, Karl Henckell,
aus: Poetisches Skizzenbuch bis 1884,  Verlag Karl Henckell, & Co.
ED: 1898, E-Ort: Zürich und Leipzig, gemeinfrei
Digitalisat Uni-Düsseldorf 

Logo 494: "Bildschmuck von Fidus" aus Gedichte von Karl Henckell,
1884, gemeinfrei - neu bearbeitet und farbig gestaltet von gisela rieger
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