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Literatur


04.2


Gedichte - Karl Henckell





Das Lied vom Arbeiter
 
Es summt und dröhnt mit dumpfem Ton
Und qualmt und raucht ringsum,
Und Mann an Mann in schwerer Frohn
An seinem Platze stumm.
Der Hammer sinkt, die Esse sprüht,
Das Eisen in der Flamme glüht.
 
Früh Morgens, wenn der Schlemmer träg
Auf weichem Pfühl sich reckt,
Macht sich der Sklave auf den Weg,
Vom Hunger aufgeschreckt.

Und Stund' um Stund' für kargen Sold
Rührt er die wucht'ge Hand,
Er wirbt um Ehre nicht, um Gold
Und all' den süßen Tand.

Er wirbt mit Weib und Kind um Brod,
Um‘s Leben fort und fort,
Er weiß, wie fürchterlich die Noth
Ihm Mark und Blut verdorrt.

Kein holdes Lied berührt sein Ohr,
Durch das die Sorge gellt,
Kein Dichter öffnet ihm das Thor
Zu einer schönern Welt.

Wohl nagt am Herzen weh und wund
Ihm oft sein bitt’res Loos,
Dann bricht ein Fluch aus trotz’gem Mund,
Verschlungen vom Getos.

Das ist ein rauhes Weltgebot,
Auf ewig Herr und Knecht,
Das Auge blitzt, das Feuer loht –
Ihr Herren, seid gerecht!

„Und wenn ein Gott im Himmel nicht
Den bangen Ruf versteht,
Dann stürm herein, du Weltgericht,
Wo alles untergeht!“
Der Hammer sinkt, die Esse sprüht,
Das Eisen in der Flamme glüht.





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Textgrundlage: Gedichte: "Am Brückenrande" Karl Henckell,
aus: Poetisches Skizzenbuch bis 1884,  Verlag Karl Henckell, & Co.
ED: 1898, E-Ort: Zürich und Leipzig, gemeinfrei
Digitalisat Uni-Düsseldorf 


Logo 74: "Train Tracks at the Saint-Lazare Station, 1877,
Claude Monet, gemeinfrei
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