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Literatur


04.2


Gedichte - Karl Henckell





Flute, o Maienhauch
 
Flute, o Maienhauch,
Flute mir zu!
Ach, dich verlangen
Brennende Wangen,
Kose mich, fäch’le mich, Sänftiger du!

Süße Erinnerung
Säuselt im Wind.
Traumbild, zu gleichen
Scheinst du dem bleichen,
Lockigen, dunkeläugigen Kind.
 
Frühester Knabentraum,
Lächelndes Glück!
Golden und luftig,
Maienhauchduftig -
Knabenzeit, Knabenzeit, kehre zurück!


oben
Ghasel
 
Leicht wogt dein Goldgelock im Wind, der in der
weichen Flut sich fängt,
Den Schleier hoch, du schlankes Kind, daß meines
Blickes Glut dich sengt!
Im Zauberbanne folg’ ich dir in lauer Abenddämmerung,
Wie an gewihtem Götterbild mein Aug’ an deinem
Körper hängt.
O, eile nicht, o, eile nicht und harre meiner Worte Ton,
Ich muß dir sagen, wie zu dir die Sehnsuchgt Herz
und Busen sprengt.
Ich weiß es wohl, daß hold dein Herz dem Künder
deiner Schöne schlägt,
Nie meidet ungestraft der Mensch, wozu der Seele
Trieb ihn drängt!
Die Jugend flieht, das Herz erstarrt, nur eine Blüthe
schenkt der Gott:
O, öffne sie der Liebe doch, daß er sie nicht umsonst
dir schenkt!








oben


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Textgrundlage: Gedichte, Karl Henckell,
aus: Poetisches Skizzenbuch bis 1884,  Verlag Karl Henckell, & Co.
ED: 1898, E-Ort: Zürich und Leipzig, gemeinfrei
Digitalisat Uni-Düsseldorf 


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"Late Autumn at Barbazon", 1879, Thomas Milliiie Dow,
 gemeinfrei
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