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Literatur


04.2


Gedichte - Karl Henckell






Melodieen klingen
 
Melodieen klingen
An mein lauschend Ohr
Und auf Traumesschwingen
Schwebt mein Geist empor.
Düst’re Töne,
Wildes Lied, aus Qual geboren,
Deiner kunstverklärten Schöne
Folgt mein Sinnen weitverloren.
Heimath, deine Räume
Steigen auf im Flug,
Wo ich stolze Träume,
Trotz’ger Knabe, trug
Und verlassen,
Gramgefoltert, Sklav’ des Zwanges,
Durch die Wälder, durch die Gassen
Jäh hinstürmte dunklen Dranges.
Da auf heiße Wunden,
Die kein Blick erschaut,
Legten sel’ge Stunden
Labevolles Kraut.
Kindeswangen,
Schwesterhaupt so treu umschlossen,
Wenn die Töne voll erklangen,
Zauberwelten uns umflossen.
Rauscht, ihr Melodieen,
Nehmt mich ganz dahin!
Aus dem Engen fliehen
Will auf euch mein Sinn.
Gute Geister
Seh’ ich eurem Meer entquellen,
Meiner Schmerzen werdet Meister,
Spült sie fort in euren Wellen!








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Textgrundlage: Gedichte, Karl Henckell,
aus: Poetisches Skizzenbuch bis 1884,  Verlag Karl Henckell, & Co.
ED: 1898, E-Ort: Zürich und Leipzig, gemeinfrei
Digitalisat Uni-Düsseldorf 


Logo 295:
"Late Autumn at Barbazon", 1879, Thomas Milliiie Dow,
 gemeinfrei
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