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Literatur


04.2


Gedichte - Karl Henckell





Hölderlin
Der Frühling leuchtet blüthenreich,
Die Glocken tönen schwellend weich,
Ein frischer Maienmorgenhauch
Küßt sehnend den Syringenstrauch.

Des Geistes Flur steht blüthenleer,
Die arme Seele tönt nicht mehr,
Der Lebenshauch, der mich umfangen,
Ist – dreimal wehe mir! – vergangen.


oben
Das Lied des Steinklopfers
 
Ich bin kein Minister,
Ich kein König,
Ich bin kein Priester,
Ich bin kein Held;
Mir ist kein Orden,
Mir ist kein Titel
Verliehen worden
Und auch kein Geld.

Dich will ich kriegen,
Du harter Plocken,
Die Splitter fliegen,
Der Sand stäubt auf -
„Du armer Flegel,“
Mein Vater brummte,
„Nimm meinen Schlägel;“
Und starb darauf.

Heut’ hab’ ich Armer
Noch nichts gegessen,
Der Allerbarmer
Hat nichts gesandt;
Von gold’nem Weine
Hab’ ich geträumet
Und klopfe Steine
Für’s Vaterland.








oben


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Textgrundlage: Gedichte, Karl Henckell,
aus: Poetisches Skizzenbuch bis 1884,  Verlag Karl Henckell, & Co.
ED: 1898, E-Ort: Zürich und Leipzig, gemeinfrei
Digitalisat Uni-Düsseldorf 


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"Late Autumn at Barbazon", 1879, Thomas Milliiie Dow,
 gemeinfrei
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