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Literatur

"Verzweiflung", Ludwig Meidner (Ausschnitt), 1914, ©Ludwig Meidner Archiv, Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt a. M.
     
04.2


Gedichte - Georg Heym

Frühwerk



Quelle
 

Das Gerippe

Sie stießen im Gemäur auf einen Toten.
Dunkler als Ebenholz ein schwarz Gerippe.
Tief in den düstren Augenhöhlen lohten
Augäpfel zwei, von Steinen, blutigroten.

Und gräßlich, wie zum Schrei die fahle Lippe
Sich krampft, so war des Toten beinern
Gesicht verzerrt im Tod noch, und es drohten
Die Knochenarme noch dem Himmel droben.

Da sank's in sich zusammen. Eh's zerstoben
Erschien ein Lächeln, geisterhaft und steinern
Um seine Augen, als ob die Erstarrten
Sie um des Tods schrecklich Geheimnis narrten.

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An den Tod

Wer bist du wunderlicher Tod, du harter,
Wer bist du, der du trittst in Fetzen
Jedwedes Menschenrecht. Gesetzen
Sprichst du nur Hohn. Zur blutgen Marter

Klirrt an unschuldger Brust des Messers Wetzen.
Des Schurken roten Schädel zarter
Wohl streichelst du, doch stets gescharter
Sendest du Guten Pestgeschwader, hetzen

Tust du auf uns den Mord. Wie Metzen,
Die man nicht von sich schütteln kann, so kleben
An uns des Aussatz Beulen. Letzen

Tust du dich an dem Blick und dann entschweben,
Um dich, ein riesger Geir, zu setzen
Auf ganz Gesunde, daß du frißt ihr Leben.
 
Da sank der Abend und der Tag...
Da sank der Abend und der Tag entschlief,
Der kurze, in der Inseln dünnem Wald.
Des Eises Ton war auf dem See verhallt
Und nur der Wind im trocknen Schilfe lief.

Ein Schatten glitt noch vor dem roten Schein,
Ein schneller Läufer, bis auch er verschwand.
Vereinsamt lag das stumme Winterland,
Und Dämmrung hüllte grau die Fläche ein.

Du wandtest dich. Da lag der Waldung Flucht
Im Dunkel schon. Am kalten Himmel kam
Die Nacht herauf. Aus hohem Walde nahm
Der Mond den Weg. Erhellt war rings die Bucht.

Und Nah und Ferne schwand zu einem Bild,
In eine Wand von gleicher Helligkeit.
Des Mondes Pfad lief auf dem Eise weit,
Ein stumpfes Glänzen, wie auf altem Schild.

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Das Gebet der Seelen

"Wohin gehst du nächtlich, Seele?"
"Durch das stille Sternenfeuer,
Daß das große All uns stähle
Zu dem Kampfe mit dem Tode.

Dorten find ich deiner Liebe Seele.
Wenn wir dann im Lichte schweben,
Sehn wir euch in Frieden schlafen,
Denn ihr kamt zum Hafen,
Denn euch ward die Krone
In dem Kampfe für das Leben.

Und dann beten wir zum Licht,
Kniend in der Weihestunde
Um die ewge Kraft der Schönheit
Für das Leben, das ihr schuft,
Alle Seelen beten wir

In des großen Gottes Bunde,
Daß die junge Seele liebe
Und durch Lieb den Tod bezwinge."

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Das Märchen

Es brandet die Nacht um den schweigenden Wald.
Sie umkost die Wiesen vom Mond betauet.
Ein Raunen und Rauschen und Singen erschallt,
Da hat das Märchen die Welt erschauet.

Zwei Schmetterlingsflügel am Rücken
So schwebt's hinaus in die finstere Welt.
Es will die Menschen beglücken.

Es kommet in die rauchende Stadt,
Auf dem Markt herrscht geschäftig Gewimmel,
Gar bald das Volk sie erblicket hat.

Es treibet mit ihm seinen Spaß,
Beschmutzt ihm den glänzenden Flügelstaub,
Zerbricht ihm das Krönchen aus klingendem Glas.

Da hat es sich tief im Walde verborgen.
Du findst es beim Vollmondschein am Bach,
Der Menschheit blieb die Vernunft und die Sorgen.

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Der alte Krug

Den letzten Becher trank ich aus,
Bis daß mein Herze ruhiger schlug.
Da schloß ich zu das öde Haus
Und nahm hervor den alten Krug.

Nun lag die Stadt in tiefem Schlaf,
Sich auszuruhn von ihrem Tag.
Der Bürgermeister und der Pfaff,
Der auf dem Steiß, der bauchwärts lag.

Und ich war ganz allein noch wach,
Mit mir und meinem Krug allein.
Der Mondschein floß in das Gemach
Und ruhte auf dem Krug von Stein.

Da trug ich ihn zum Fensterlein,
Erbrach mit Andacht meinen Krug.
Du weißt es, lieber Mondenschein,
Wem ich ihn trank so Zug für Zug.

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Der Goldreif

Wann festlich Gewand mir die Glieder umfließt,
Wann weinlaubumkränzt mir der Trank leuchtet klar,
Wann mich beim Scheiden die Rhodierin küßt,
Dann will ich tragen den Goldreif im Haar.

Wann durchbrauset die Schlacht der Päangesang,
Wann Schwerter schwinget die heilige Schar,
Wann Blut mir netzet die bleichende Wang,
Dann will ich tragen den Goldreif im Haar.

Wann man mich legt auf den ruhmreichen Schild,
Wann der Mohngott mich leitet zur freundlichen Bahr,
Wann mich das Leuchten des Alls umhüllt,
Dann will ich tragen den Goldreif im Haar.

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Die Feuergeister

Oft, wenn wir am Abend gehen
Durch die Gasse in dem Dämmer,
Bleiben wir entzücket stehen,
Wo der losen Hämmer
Lautes Klingen nimmer ruht.

Wo ein Lichtschein sich verbreitet
In dem abendlichen Dunkel,
Und auf schmalen Treppen gleitet,
Und verstreuet sein Gefunkel
Auf des dunklen Flusses Flut,

Wo die starken Schmiede zünden
In den Öfen hohe Flammen
Und enttauchen ihren Schlünden,
Wallend in sich neu zusammen
Seltsam Bilder in der Glut.

Seht, das ist ein Wiederkennen
Mit den Geistern, wo ich schwelge,
Wenn sie tanzend sich verbrennen,
Und die hohen Blasebälge
Schüren die belebte Flut.

Immer neue steigen wieder,
Raschelnd aus dem Funkenregen
Flattern ihre zarten Glieder,
Die sie wirbelnd fortbewegen,
Wenn erglüht ihr leichtes Blut.

O, sie möchten gerne leben,
Gerne sich uns zugesellen,
Wenn sie in den Flammen beben,
Lodernd uns entgegenschwellen
Auf der Feuerzunge Glut.

Doch sie werden schnell getragen
In den Abend, ungemessen
Weit, wenn hoch die Flammen schlagen
Rauschend aus den hohen Essen,
Wo zerstiebt die leichte Brut.

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