lifedays-seite

moment in time



Literatur

"Verzweiflung", Ludwig Meidner (Ausschnitt), 1914, ©Ludwig Meidner Archiv, Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt  a. M.
      
04.2


Gedichte - Georg Heym

Frühwerk





Die Abendwolken

Ein Wolkenzug am dunkeln Himmelsrand,
Wie rote Reiter, die auf Rappen reiten,
Wie weißer Leiber tanzgelöstes Band,
Wie altersgrauer Toten traurig Gleiten.

Und nun nur noch ein schmales goldnes Band
Gesponnen auf den tiefen Dunkelheiten
Von Wolkenland schwebend zu Wolkenland,
Wie Brücke in die fernen Ewigkeiten.

Es scheint von Hügel fort zu Hügel
Zu fahrn ein wunderbarer Klang,
Als rauschten tausend zarte Flügel,
Als ob die Brücke leise klang.

zurück




Der Kondor

Ein Kondor, grau vor Alter, sitzt allein
Und unbeweglich auf den kahlen Stangen
Des engen Käfigs, wärmt sich in dem Schein
Der blassen Sonne. Einsam und gefangen
Seit manchem Jahre schon. Wo ist der Tag,
Da du in Freiheit hobst die stolzen Schwingen,
Mit unermeßlich weitem Flügelschlag,
Und in den Äther deine Wege gingen.
Ach du, was träumst du wohl in dieser Stunde?
Sein Auge weilt nicht hier, er sieht zurück,
Er achtet nicht des Lärmens in der Runde,
In die Vergangenheit entschweift sein Blick.

Um seinen Käfig lärmt die Kinderschar.
Die Bonnen schwatzen auf den grünen Bänken
In rotem Reifrock, wie schon manches Jahr.
Das Montagskränzchen sitzt an seinem Tisch
Mit Hund und Strickstrumpf. Ihre Tassen klirren.
"Hat die sich doch verlobt! Wer glaubte das!
Die, und verlobt! Wenn ich nur reden wollte,
Sie staunten, meine Damen! Aber ach,
So geht's! Wär ich wie die gewesen,
Ich würd mich schämen. Aber ach, die Männer
Verachten nur den Anstand! Sie sind's wert.
Ich hätte dreimal mich verloben können,
Doch ich war viel zu stolz. Die, und verlobt!
Von der kann ich erzählen -, wissen Sie ..."
Und alle lauschen auf. So geht es weiter,
In wildem Strom, die langen Nadeln klappern
In dürren Händen ihre Reden mit.

Die Militärmusik setzt wieder an,
Zu einem neuen Stück, der Taktstock klopft
Eins, zwei! Das Stück beginnt,
Das oft gehörte! Vor den Spielern sitzen
Die Kenner, vorgeneigt, die Hand am Ohr.
Sie schwelgen sichtlich. Ein paar Judenjungen
Gehn auf und ab, ihr Haar ist rund geschoren
Auf fettem Hals. Das ist amerikanisch.
Sie rufen weithin schallend: "Halloh! James!"
Doch weiter reden leise deutsch sie dann.
Herr Blumenreich trägt heute den Zylinder,
Er schiebt ihn aus der Stirn. Denn das ist vornehm!
Er sieht sich um, ob er bewundert wird.

Ach du Alltäglichkeit! Du Bleigewicht.
Ach, diese stumpfe Zeit! Mein Bruder, Kondor,
Was magst du träumen, wohin rettest du
Aus diesen Stunden dich. Wo weilt dein Blick.
Träumst von den Anden du, den weiten Tälern,
Darin der Urwald rauscht den Berg hinan,
Träumst von den grünen Matten du, vom Passe,
Darauf der Lamas Karawanen gingen,
Denkst du daran, wie aus dem Äther du,
Ein weißer Pfeil, auf ihren Rücken fielst,
Und sie zum Abgrund rissest. Hörst du noch
Der Treiber Schreien, ihre Flintenschüsse?
Ach Kordilleren, ihr, in Majestät!
Ihr tausend Berge, dran die Steppen branden
Im weiten Süden Patagoniens.
Sahst du die Männer noch, die Tag und Nacht
Nach Schätzen schürften, nach vergrabnem Gold
Atahualpas in den Schluchten suchend?

Du sahest wohl in ferner Jugendzeit
Den letzten Inka noch in Herrlichkeit.
Du sahst die tausend Großen niederknien,
Vor seinem Antlitz, das der Strahlenkranz
Der Göttlichkeit in tiefem Glanz umgab.
Du sahst gefangen ihn im Kerkerturm
Wie er verzweifelt an den Stäben riß.
Du sahest ihn zum Richtblock hingeschleift,
Du sahst das edle Haupt des Kaisers fallen,
Du tauchtest deine Schwingen in sein Blut,
Und trugst zur Sonne es, zum Götterschoß.

Wie lange schon ist's her! O wieviel Jahre !
O welche Zeiten gingen dir vorbei,
Sie raubten dir die bittren Träume nicht
Der fernen Heimat und der Jugendzeit.

zurück




Der Blick

I
Sahst du den Blick schon, der vom Auge flieht,
Wenn Liebe hart getroffen bis ins Mark,
Mit Hohn verstoßen, in ihr Innres flieht?
Wie hell war sonst dies Auge, frei und stark.

Nun gleicht es einer Scheibe trüben Bleis,
So seelenlos, so matt, so ohne Licht.
Ein Vorhang liegt vor diesem Auge weiß.
Voll Neugier fragst du: Sieht es, sieht es nicht?

Kehr um! Du siehst nicht, daß ihm Gift entschwebt.
Mit seinem Hauche schwängert es die Luft,
Wie von dem Kranken wider dich sich liebt
Des Auswurfs und des Eiters warmer Duft.

Dies Gift ist tödlich, das der Seel entquillt,
Die, da sie blühen wollte, ward gefällt.
Und niemand ist, der ihre Wunde stillt,
Die wie ein rotes Maul zum Himmel bellt.

Der Bernstein selber wäre ihm erlegen,
Der sonst des Giftes Kraft zu brechen weiß.
Ihm unterläge Mithradates' Segen,
Der Herr war in asiatscher Gifte Kreis.

Niemals vergißt du dieses Blicks Gewalt.
Siehst du ihn wieder, du erkennst ihn gleich:
Wenn auf den Block ein Mörder wird geschnallt
Und seine Augen warten auf den Streich.

II
Befreit. Erlöst. So kehrt das Meer zum Strande
Aus seinen Höhlen, aus der Mitternacht,
Wenn Morgenstrahlen zittern auf dem Sande.
In Purpur rollt heran die blaue Pracht.

Sie schlägt das Festland ein mit lautem Brausen,
In ihrer Freude wildem Überschwang.
Vom Meere schallt der hohen Winde Sausen,
Und der Tritonen bunter Hörnerklang.

So blickt der Schöpfer einer neuen Welt,
Der Segler, der durchs All den Pfad gefunden.
Der die Erkenntnis in den Händen hält,
Der nach und nach er rang durch manche Stunden.

Schiffbrüchiger Matrosen Augen schauen
Mit diesem Scheine, denen rief der Späher:
"Ein Schiff. Ein Schiff. Sie lassen von den Tauen
Die Boote schon. Sie rudern nah und näher."

Das ist der Blick des Bergmanns, den sie hoben
Aus tagelangem Dunkel in das Licht.
Die schon vergeßne Sonne sieht er droben.
Und von der Freude glänzt sein Angesicht.

Die Götter selber, die in dunkle Sphäre
Gestoßen wurden von dem bleichen Mann,
Kehrn zu den Thronen, brennen die Altäre
An dieses Auges hohem Glanze an.

zurück




Abend am Meer

Hinter der grauen Wolkenwand
Taucht in verglühenden 
Die Sonn in rauschende Wogen hinab,
Und Abendwinde wehn mit Fächeln mit gelinden.

Das alte Meer braust über die Klippen,
Es rauschet seinen ewgen Sang,
Ich schau in die Sonne mit wehen Blicken.

"O großer Helios, willst du scheiden in dein Grab,
Wo stille Ruh ist und ewger Frieden,
So nimm auch mich mit dir hinab."

zurück











   lifedays-seite - moment in time