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Literatur


04.2



Kleines Fabelbuch

Gustav Holting

 

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Der Wolf und das Lamm















Ein Lämmchen trank aus einer klaren Quelle,
Ein Wolf erwählte just dieselbe Stelle,
Und gierig, wie er immer war nach Beute,
Sucht er Gelegenheit zum Streite.
 
„Was,“ schrie er, „trübst Du mir das Wasser? Bösewicht!
Dafür entgehst Du Deiner Strafe nicht.“
„Ach,“ sprach das Lamm, „ach, Herr, Ihr wollt verzeih’n,
Was Ihr mir Schuld gebt, kann ja gar nicht sein;
 
Ihr steht ja höher, als ich hier.
Von Euch fließt erst das Wasser her zu mir.“
„Verweg’ner, schweig‘, ich dulde keinen Hohn!“
Versetzt der Wolf darauf im barschen Ton.
 
„Du bist ein Lästermail! Wie eben ich erfahre,
Hast Du auf mich geschimpft im vor’gen Jahre.“
„Ach, gnäd’ger Herr, im vor’gen Jahr,
Da ich noch nicht geboren war?“
 
„So war’s Dein Bruder, das gilt gleich;
Genug, es ward geschimpft von Euch.“
„Ach hoher Herr, ach urtheilt doch gelind,
Ich bin ja meiner Eltern einzig Kind.“
 
„So war’s ein and’res Lamm, was nutzt das Widersprechen,
Ich bin es endlich müd‘ und muß mich ein Mal rächen.“
So schrie der Wolf, und würgt das Lamm voll Wuth,
Und sättigt sich an dessen schuldlos Blut.
 
Die Fabel zeigt, daß oft die Bösen siegen,
Und der Gewalt das Recht muß unterliegen.


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Spätzchen
 
Schwälbchen und Storch sind dem Winter entflogen,
Eilig zu südlichen Ländern gezogen.
Spätzchen, das Graue, nur bleibt uns getreu,
Fragt nicht ob Sommer, ob Winter es sei,
Flattert Jahr ein und Jahr aus durch die Gassen,
Denkt nicht daran uns im Herbst zu verlassen.
 
Lasset dafür, wenn des Winters Hand
Scheeige Decken gebreitet auf’s Land,
Dankbar uns Spätzchen, dem Treuen, erweisen,
Lasset uns freundlich mit Krumen ihn speisen;
Bringt dann der Sonne strahlender Blick
Grünend und blühend den Sommer zurück,
Wird auch klein Spätzchen sich dankbar erweisen, -
Fliegen und Raupen in Mengen verspeisen.


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