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Literatur


04.2

Gedichte

Amalie von Imhoff



Die Mode

Über die sterblichen Menschen, von einem Pole zum andern,
Waltet die Mode, und weit dehnt sich ihr mächtiges Reich.
Öfters schwinget die Hand despotisch den ehernen Scepter,
Oft auch neiget sie sanft rosenumwunden den Stab.
Nur wie es wohl ihr gefällt und wie’s zur Stund’ ihr gelüstet,
Schlingt sie bald grazienhaft, bald auch als Kette das Band
Um die gehorchende Welt; denn seit Astraea den Erdball
 Floh, beherrscht ihn die Mod’ an der Unsterblichen Statt.
Wechselnd und ohne Bestand sind ihrer Willkühr Gesetze,
Welche nach Laune doch oft, auch was veraltet, erneut;
Hier zum milderen Süd den rauhen Norden verwandelt,
Dort in dem südlichen Land Nordens Gebräuche gebeut.
Lange beherrschte sie streng mein Vaterland, traurige Bande
Fesselten es, sie bestritt feindlich die schöne Natur.
Sie verhüllte die Locken der Jungfrau mit lästigem Zierrath,
Zwang mit entstellender Kunst aufwärts das Haar sich zu drehn.
Barg in dem weiten Gerüst’ der Hüften liebliche Schlankheit,
Hemmte den Grazien-Gang und den geflügelten Schritt.
Dicht gefaltet und eng, in neidisch bergender Fülle,
Rauschte das schwere Gewand zierliche Rücken hinab,
Dennoch beugte die Schönheit mit folgsam geschmeidigem Nacken
(Besseres kannte sie nicht) sich dem tyrannischen Joch.
Aber wie schnell hat sich rings um alles gewandelt! – Die Göttin
Bildet’ in attische Frau’n jetzt ihre Dienenden um.
Freundlich reichet sie ihnen die zarten weissen Gewänder,
Reicht das goldene Band wallenden Locken zum Schmuck.
„Nehmet blühende Mädchen, so spricht sie, die schöneren Gaben
 Aus der Gebieterin Hand, welche die Treue belohnt;
Schauet die reizende Tracht!“ Sie zierte Griechenlands Jungfraun
„Die auch auf meinem Altar liebliche Opfer gestreut.
Lange prüft’ ich euch schon, ihr folgtet mit blindem Gehorsam
Selbst dem verkehrten Befehl, war es Gebot nur von mir,
Aber hinfort soll euch nicht die blinde Laune gebieten,
Friedlich herrsch’ ich zugleich nun mit der holden Natur,
Schöner erscheine durch mich dem Liebenden jetzt die Geliebte
Sittsam mit einfachem Reiz, in dem bescheidnen Gewand,
Wie vor der Jünglinge Blick in Hellas blühenden Thälern
Himmlischer Grazie voll jegliche Jungfrau erschien,
Lieb’ und freudiges Staunen im Busen erregend.“ Die Mode
Sprach es und eilend ergriff jede das schöne Geschenk.
Aber – war’s ein Versehn der sorglos tändelnden Göttin,
Welche mit flüchtigem Fuß rastlos den Erdball umschweift,
War es sträflicher Muthwill der Gauklerin, daß sie beim Geben
 Nur der griechischen Frau’n züchtigen Schleyer vergaß?
F***

Sonett

Wo ist die Zeit, da leicht und unbefangen
Das freye Herz im jungen Busen schlug,
Da es noch nicht durch süßen Selbstbetrug
Sich quälte, nicht durch Hoffnung und Verlangen?
Da dieser Geist, mit Einfalt hold umfangen,
Sich fremd noch war, und doch sich selbst genug;
Und still die Brust kein Bild der Sehnsucht trug,
Ist denn so schnell die goldne Zeit vergangen?
Der Ruhe Glück und ihre reinen Freuden
Sind mir entflohn auf immer mich zu meiden
Ich seh nur Schmerz, ich ahnde nur Gefahr.
Des Grames Hand wird künftig mich geleiten;
Und dennoch, ach! sind alle diese Leiden
Jezt süßer mir, als sonst die Ruhe war.
F***







___________________________
Textgrundlage: Gedichte Amalie von Imhoff,
Aus Musen-Almanach für das Jahr 1798,
Herausgeber Friedrich Schiller, 1. Auflage,
ED: 1798, Verlag: J. G. Cotta, Tübingen

Die Mode , S. 194-198
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Sonett, S. 45
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