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04.2
Gedichte
Amalie von Imhoff
Die
Geister des Sees
Dumpf
rauschts vom hohen Wogenstrand
Ans
steile Felsengestade,
Und
grau wie der Geister wehend Gewand
Webt
dichter Nebel sich übers Land,
Und
hüllt die dämmernden Pfade.
Die
herbstlichen Lüfte säuseln,
Es
steigt in leisen Kräuseln
Die
blaue Welle des Sees,
Aus
Wolken die Sterne blinken,
Und
langsam wogen und sinken
Die
Silberflocken des Schnees.
Und
in der Nacht die still und kalt
Um
Ullins Hügel sich breitet,
Am
Ufer, das dunkel die Flut umwallt,
Da
wankt und irrt eine holde Gestalt
Von
banger Liebe geleitet.
Die
seidnen Locken wehen,
Sie
eilt mit ängstlichem Spähen
Scheu
zu dem nächtlichen Hayn.
Laut
ruft sie mit wildem Blicke,
Dumpf
kehrt die Stimm’ ihr zurücke,
Die
Winde nur ächzen drein.
Was
irrt Allona so spat im Reif
Von
Ullins einsamen Auen?
Ihr
leuchtet nur ferne der Purpurstreif
Des
hellen Nordlichts mit breitem Schweif,
Es
strahlet ahnendes Grauen.
Sie
sucht im röthlichen Scheine
Cathullin
den Jäger der Hayne,
Den
Sohn der schattigen Höhn,
Zwey
Nächte sah sie vom Stamme
Bemooster
Eichen die Flamme
In
einsamer Halle verwehn.
Und
an der jähen Felsenwand,
Wo
seufzende Wellen sich schlagen,
Da
faßt es ihr flatternd weißes Gewand,
Da
schmiegts sich schmeichelnd an ihre Hand
Mit
leise winselnden Klagen.
„Bist
du es Luath, der Treue?
Jagt
nicht Chatullin das scheue
Dem
Pfeil entflichende Reh?
Verlies
er des Waldes Pfade
Umirrend
die Felsgestade
Vom
Nebelzeugenden See?
Ach,
nimmerjagt er’s scheue Reh
Kehrt
nimmer zum heimischen Heerde,
Es
rauscht mir so traurig der dunkle See
Und
jede Welle, sie seufzet Weh.
Laut
winselt der Jagden Gefährte,
Stets
blieb mit treuem Geleite
Er
seinem Gebieter zur Seite
Jezt
liegt er am Ufer allein!
Verkündet’s
nächtliche Lüfte
Umfangen
die feuchten Grüfte,
Des
Jünglings starres Gebein?“
Da
rauscht die Luft, ein Sturm erhebt
Der
See die schäumenden Wogen,
Und
bleich aus dem Dufte der Nacht gewebt
Schwankt
leis ein Dunstbild empor und schwebt
Vom
Sturm ans Ufer gezogen.
Die
hohe Gestalt erreichet
Die
Nebelwolken, es zeiget
Gelenkt
und ungespannt,
Blaß
wie aus neblichter Ferne
Der
silberne Glanz der Sterne,
Den
Bogen des Geistes Hand.
Still
ist und ernst sein Angesicht,
Er
neiget es liebend nieder,
Und
leis wie der Lüfte Säuseln er spricht:
„Mit
Beute der Jagden kehr’ ich nicht
Zur
Flamme des Heerdes wieder.
Mich
lockt’ aus dem schützenden Hayne
Hervor
im Nebelscheine
Das
eilend flüchtige Reh,
Ein
Duft barg Ufer und Wogen,
Da
sank ich vom Schimmer betrogen
Hinab
in den schweigenden See.“
Mit
Liebes Arm Allona strebt
Die
theure Gestalt zu fassen,
Die
bleich vom Schleier der Nacht umwebt,
Sich
scheidend höher und höher hebt,
Sie
sieht sie im Duft erblassen.
Dann
faßt sie nächtliches Grausen,
Es
rauscht mit dumpfem Brausen
Um
sie des Sturmwinds Wuth,
Ihr
schwinden die matten Sinnen,
Da
reißt sie’s wirbelnd von hinnen
Hinab
in die tiefe Flut.
Und
wenn es rauscht vom Wogenstrand
Ans
steile Felsengestade,
Und
grauer Nebel, wie Geists Gewand,
Sich
dichter webt ums weite Land,
Verhüllend
die öden Pfade,
Dann
sieht man die Wellen sich kräuseln,
Es
schweben mit leisem Säuseln
Herab
wie Flocken des Schnees
Zwey
Geister mit schwachem Blinken,
Sie
wanken, wogen und sinken
Vereint
in den Schoos des Sees.
F***
________________________
Textgrundlage: Gedichte
Amalie von Imhoff,
Aus Musen-Almanach für das Jahr 1799,
Herausgeber Friedrich Schiller, 1. Auflage,
ED: 1799, Verlag: J. G.
Cotta, Tübingen
Die
Geister des Sees, S. 165-169
wikisource.org
Logo 101: "Winter", 1898, Margaret
MacDonald,
gemeinfrei
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