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04.2
Gedichte
Amalie von Imhoff
Den
Zaudernden
Im
Spätjahr 1821 *)
Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht,
Vor dem freien Menschen erzittert nicht
Schiller
Im
Winde treibt der Vogel hin und wieder,
Der
Schwalbe Nest reißt vom Gebälk der Sturm;
Hoch
über Menschen stürzt der Berg sich nieder,
Und
in der Erde Schoß ertrinkt der Wurm.
Dort
sinken Hütten, wild vom Schwall ergriffen.
Hier
fällt, beschwert mit goldner Frucht der Baum,
Die
Straßen Bahn sieht man den Kahn durchschiffen
Und
krachend reißt der Elemente Zaum **)
Wer
mag dies Toben der Natur uns deuten,
Wie
es in Angst des Jahres Lust verkehrt? –
So,
bebt der alten Erde Grund, wird Läuten
Von
allen Türmen mahnend auch gehört.
Wenn
Schiffbruch sich auf fernem Meer ereignet,
Hallt
banger Notschuss dumpf zum sichern Strand,
Und
hoch mit ahnungsvollen Gluten zeichnet
Die
Flamme grausend sich am Himmelsrand.
Das
Feuer schreckt euch, arme, zage Seelen! –
Doch
vor dem Notruf stopft ihr feig das Ohr.
Und
höhnend steigt aus wilden Türkenkehlen
Auf
Christen-Leichen Mordgebrüll empor.
Ihr
aber stöhnt, mit frömmelnder ‚Gebärde,
Gefallt’ne
Händ‘ im Schoß, ein mystisch Lied;
Indes
von jener blutgetränkten Erde
Der
letzte Hoffnungs-Engel weinend flieht.
Wie?
– war’s ein Märchen denn, dass fromme Liebe
Auf’s
neu erwacht mit treuer Christenpflicht? –
Und
weckten jenes Drängers Geißelhiebe
Euch
nur zur Notwehr, doch zum Mitleid nicht? –
Riss
Jener unsere Tempel frevelnd nieder? –
Würgt‘
er die Diener Gottes am Altar? –
Und
heil’gen Hass doch nannten kühne Lieder
Des
Volkes Zorn – der Freiheit ihm gebar.
Und
diesen Kampf für Glauben, Herd und Ehre
Könnt
ihr mit müß’gem Achselzucken seh’n? –
Ließ
des Vergangnen schwer gewicht’ge Lehre
Euch
nicht der Zeiten ernsten Sinn verstehn? –
Dass
Jeder sein gemessnes Teil behalte,
Im
längst verletzt – erträumten Gleichgewicht –
Dass
fürder herrisch jenes Meerreich walte,
Beachtet
klug ihr, traun! – doch weise nicht.
Unsel’ge
Staatskunst, die am Weltrecht schnitzelt!
Nichts
möglich haltend, was sie nicht erlebt. –
Im
Dünkel blind auf Wachs Gesetze kritzelt,
Wenn
Not das ihr in eh’rne Tafeln gräbt.
Wer
mag den Schritt des Geistes rückwärts drängen,
In
Schlaf ihn wiegen wer – wenn er erwacht? –
Der,
gleich dem Strom, den morsche Dämm‘ umengen,
Hochschwellend,
furchtbar neue Bahn sich macht.
O
hört sie nicht, die selbst in goldnen Ketten
So
kühl der Völker ehrne Bande sehn! –
Eilt
Fürsten, eures Namens Ruhm zu retten! –
Denn
ihr lebt fort, wenn Jen‘ in Staub vergehn.
Des
Heucheleifers Knechtes-Flüstern schrecke
Euch
mehr als grader Rede lauter Ton.
Denn
fester nicht steht hoch des Himmels Decke,
Als,
ruhend auf Gesetz und Recht, der Thron.
Drum
hütet euch, der Völker frommen Glauben:
Zu
Richtern habe hier euch Gott bestellt-
Durch
falscher Waage Schwanken selbst zu rauben,
Wo
Aller Wunsch in eine Schale fällt.
Ihr
ging’t voran mit hoher Andacht Flamme
Auf’s
neu zu weihen Thron dort und Altar –
Und –
Heiden würgen, wo vom Kreuzes Stamme
Des
Glaubens frühster Strahl gedrungen war? –
Weh,
weh dem Zaudern! – wie in Blut ertranken
Des
Lenzes Blumen, fault die goldne Saat
Geknickt
vom Rosshuf; falb am Boden ranken
Die
Reben traublos, wo kein Winzer naht.
Mord
heißt die Frucht, die dieses Jahr geboren,
Von
tausenden belegt mit finstrem Fluch.
Ach,
hüllt‘ es bald, was jeder hat verloren
Mitleidig
in ein großes Leichentuch! –
O wie
so tief und rührend einverstanden
Bleibst
du Natur, mit jedem wahren Schmerz!
Du
weinst mit uns, und weit in allen Landen
Versteht
dein Trauern, trauernd selbst, das Herz.
Gieß
Himmel denn die mächtgen Ströme nieder!
So
fällt des Jammers Trän‘ auf öden Sand. –
Doch
eine Hand greift durch die Wolken wieder
Und
schreibt das Urteil flammend an die Wand.
_____________________________
*)
Im Morgenblatt, Jahrgang 1822 abgedruckt.
**) Man wird sich
der Stürme und Überschwemmungen erinnern, die im Spätsommer 1821
Sachsen und Böhmen
heimsuchten, wovon besonders Carlsbad der Schauplatz war.
__________________________________
Textgrundlage: "Zum
Besten der unglücklichen Greise,
Witwen und Waisen in Griechenland" ,
Herausgegeben von Amalie von Helweg, geb. Freyin von Imhof,
Berlin, im
Mai 1826, in Commission bei Leopold Wilhelm Krause,
Adlerstr. Nr. 6
Sammlung: Varia der HAAB Weimar
Logo 281: : "Battle of Isuss
Detail", Albrecht Altdorfer, 1529,
Standort: Alte Pinakothek,
München,
gemeinfrei
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