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Literatur


04.2

Gedichte

Amalie von Imhoff



Den weinenden Müttern Deutschlands
1822*
 
Wer in weißes Lein gestrecket,
Rings mit Blumen überdeckt,
Je sein Kindlein sah im Sarge,
Und gebeugt von herbem Leide
Seine liebste Augenweide
Weinend in der Erde barg.

Ach ihm brauch‘ ich nicht die Qualen
Solcher Stunden auszumalen,
Die kein neues Glück verwischt;
Noch die Schmerzens Macht ihm schildern,
Die mit allen Lebensbildern
Nur des Todes Bild erfrischt.

Doch, wo an des Friedhofs Mauer
Trostlos, aufgelöst in Trauer,
Weinend eine Mutter kniet.
Oder, starr in dumpfem Brüten,
Tränenlos in die welken Blüten
Auf den kleinen Hügel sieht. –

O da tret‘ in Himmelsmilde
Durch das stille Grabgefilde
Leis ein Engel zu ihr hin!
Leit‘ in sprechender Gebärde,
Abwärts von dem Häuflein Erde
Sanft den Blick der Dulderin.

Dorthin, wo aus Meeresfluten,
In des Südens Purpurgluten.
Blühend sonst, ein Eiland taucht.
Zu den schroffen Uferwänden
Dran verspritzt von Mörderhänden
Schuldlos Blut zum Himmel raucht.

Zeig‘ ihr zarte Säuglings Glieder
Längs dem Felsrand auf und nieder
Treibend, vom Gestein zerschellt.
Schwache Arme dort erhebend,
Hier in letzter Zuckung bebend
Bald zerschmettert und entstellt.

Kindlein, die vor wenig Tagen
Noch in Mutterarmen lagen,
Warm am Busen angeschmiegt –
Heut aus hundert Wunden blutend,
In der wilden Brandung flutend,
Von den Wellen rau gewiegt,

Löw‘ und Tiger will sich nähren,
Und der Hai schlingt in den Meeren,
Nur so grimm sein Trieb es heischt.
Doch wie heißt das Ungeheuer,
Das, was hilflos, schön und teuer
Nutzlos, sich zur Lust zerfleischt? –

Weine sanfter denn ergeben,
Deutsche Mutter, der vom Leben
Jüngst der holde Liebling schied.
Als die süßen Augen brachen,
Tönten leise Liebesklagen,
Ihm ein sanftes Schlummerlied.

Wo es allen Erdensorgen
Früh entnommen, still geborgen
Ruht an sicherm Friedensort;
Spület von der heil’gen Stelle
Ungestüm die wilde Welle
Nicht dein schlafend Kindlein fort.

Danke Gott der’s so gebettet,
Vor Verzweiflung dich errettet,
Jener Mutter schrecklich Los. –
Schmück‘ sein Grab nach frommer Weise
Und am Abend bette leise
Dich zu ihm im Erdenschoß.


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*Die Leser erinnern sich vielleicht noch der entsetzlichen Umstände, welche das Blutbad in Chios bezeichneten,
wo die Kinder, welche nicht zum Verkauf sich eigneten, grausam hingewürgt wurden.

oben





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Textgrundlage: "Zum Besten der unglücklichen Greise,
Witwen und Waisen in Griechenland" ,
Herausgegeben von Amalie von Helweg, geb. Freyin von Imhof,
Berlin, im Mai 1826
in Commission bei Leopold Wilhelm Krause, Adlerstr. Nr. 6
Sammlung: Varia der HAAB Weimar


Logo 289: "Alexanderschlacht", Albrecht Altdorfer, 1529,
Standort: Alte Pinakothek, München
The Yorck Projekt 10.000 Meisterwerke der Malerei.
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