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Literatur


04.2

Gedichte

Amalie von Imhoff




Die Gefangenen von Chios
1822*)
 
Hoch gehen die Wellen, tief furcht der Kiel,
Fast hat der Mensch das Schiff zu viel;
Sie alle geladen an Chios Strand,
Mit Strick und Fessel an jeder Hand.

Bestimmt zum Markte für jene Stadt,
Die nie der Sklaven zur Genüge hat:
Gleich Opfertieren geführt am Seil,
Zu Dienst und Lüsten bald jedem feil.

Und laut in der brausenden Strömung Lauf
Dringt banger Klagelaut so hohl herauf:
Als ob es aus Grotten des Meeres tief
Hinauf die schneidenden Töne rief.

Die Frauen sind es von Griechenland,
Entführt alle dem Inselstrand;
In dumpfiger Enge zu Hauf gescharrt,
Für herbere Qualen noch aufgespart.

Da hebt sich gefesselt kein Arm empor,
Der dort nicht des Lebens Stütze verlor.
Kein Auge da gibt es verweint und rot,
Das dort nicht geschauet der Liebsten Tod.

Nicht freut sich die Mutter des Kindes hier,
In Schönheit prangend und Jugend Zier;
Der Unschuld Blüte, bewahrt mit Fleiß,
erhöht auf dem Markt nur des Kaufes Preis.

Und wie um die Tochter die Greisin klagt,
In Furcht des Künftigen schier verzagt:
Wirft, dunkel nur künftiger Not sich bewusst,
Das Mägdlein sich schluchzend an ihre Brust.

O Mutter, Geliebteste! – wüßt ich Dich nun,
Wo Vater und Brüder begraben mir ruh’n! –
Sollst Magd sein den Heiden, Du, christlich getauft?
Die Kindlein ihm wiegen, der Deines verkauft? –„

Da reget sich’s droben, wie Sturmes Eil:
Laut knarren die Stangen, hell schwirret das Seil.
Aus wechselnder Stimme Geschrei an Bord.
Erreicht doch die Armen kein tröstliches Wort.

Schon rollt’s, wie Gewitter, von fern daher
Hohl braust, wie vom Sturme gepeitscht, das Meer.
Dazwischen der eilenden Ruder Schlag –
„Welch neues Schrecknis gebiert der Tag?“ –

Und wie jetzt näher der Donner kracht,
Hellt Blitzschein flüchtig des Raumes Nacht,
Wo drunten von steigender Angst bedrängt –
Der schwimmende Kerker die Schar umfängt.

Um Leben nicht flehen sie hier zu Gott,
Nur um Erlösung von Schmach und Spott:
Und grüßten die Donner von Nah und Fern,
Als Rettungsboten gesandt vom Herrn.

Da heulen die Türken im Wut-Gebrüll
Ob ihren Häuptern; dann wird es still. –
Und jetzt erhebt sich mit frommen Klang,
In Hellas Tönen ein Lobgesang.

„Horch! – singet von oben ein Engelchor
Uns Lieder himmlischer Freiheit vor?“ –
Da, wie sie es fragen, bricht heller Schein
Des heiteren Tages zum Kerker ein.

Der stellet der Frauen erschrockner Schar
Siegfreud’ge Brüder als Retter dar,
Die lösen alsbald sie von Angst und Not,
Die Hände küssend, von Banden rot.

„O heil‘ge Beute von Chios Strand! –
Zurückgegeben dem Mutterland;
Gelobt sei Jesus, der Kraft verlieh,
Zum schweren Kampfe gekämpft für sie. –

Herunter den blutigen Mond vom Mast, -
Der heute vor’m siegenden Kreuz erblasst.
Die Türken-Leichen all über’m Bord! –
Macht Raum den züchtigen Frauen dort.“ –

Und wie geboten, ist’s schnell vollbracht;
Vertilgt sind die Spuren der grimmen Schlacht. –
Die Tapfern alle im Feierkleid,
In Ehrfurcht stehen sie fern gereiht.

Da steigen die Frauen im freud_gen Chor,
Lobsingend  jetzo an’s Licht empor:
Gebleicht vom Harme, doch nicht entstellt,
Noch heute die schönsten Frau’n der Welt.

O! sei uns gegrüßt du goldner Tag,
Wo Mut die Bande des Schwachen brach! –
Gegrüßet du lange entbehrtes Licht,
Der Fremde Stimmen und Angesicht! –

Gott lohn‘ es Euch, Helden von Dydra’s Strand,
Von ihm zur Rettung uns hergesandt.
Er lass Euch die Tage der Freiheit seh’n,
Und hoch auf dem Nacken der Feinde stehn!“ –

Da bläht schon die Segel ein günst’ger Wind,
Zur Abfahrt wendet das Schiff geschwind:
Und stellet zum Isthmus den raschen Lauf –
Dort nimmt Khorintos sie jubelnd auf.


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*) Die Anekdote von der Befreiung eines mit Frauen beladenen Schiffes durch Hydrioten, wurde 1822
in den Zeitungen berichtet.

oben





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Textgrundlage: "Zum Besten der unglücklichen Greise,
Witwen und Waisen in Griechenland" , Herausgegeben von
Amalie von Helweg, geb. Freyin von Imhof, Berlin, im Mai 1826
in Commission bei Leopold Wilhelm Krause, Adlerstr. Nr. 6
Sammlung: Varia der HAAB Weimar


Logo 286: "Massaker auf Chios (Reproduktion)", Eugène Delacroix, 1824,
The Yorck Projekt 10.000 Meisterwerke der Malerei.
The compilation copyright is held by zenodot and licensed under
the GNU Dokumentation License.
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