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04.2
Gedichte
Oskar Loerke
Der Wald der Welt
Berlin 1934
__________
Vorspruch an Baum und
Stein
Noch
weiß ich
nicht. Ich möchte nicht von hinnen,
Bevor ich weiß, was eure Leben sagen.
Zwar, hat man mich verdeckt zu euch getragen,
So werden wir von neuem anbeginnen.
Weitab. Dann - sprechen wir noch, Baum und Stein -
»Versäumt«.,
will nicht der Erste meiner Rede sein.
zurück
DIE INSELN DER TAUSENDJÄHRIGEN BÄUME
Müde Hände
Nach
vielen
hundert Jahren
Ist in ihren
weitgestreckten Armen
Die Buche
müde, ihre Last zu tragen.
Es fröstelt
durch sie erdhinab ein Fragen:
Darf ich die
Ellenbogen auf dich stützen?
Sie wollen
noch taugen und wollen noch
nützen.
Willst du dich
meiner Schlafbegier
erbarmen?
Und sie
gedenkt der tausend Vogelscharen,
Die sie auf
ihren Händen in das Weltlicht
gehalten,
Daß es sie
segne und ihren Gesang am
Abend und Morgen,
Und wie sie
der Menschen manche auch
Menschen mit Kummerfalten,
Unter ihrem
eigenen Segen geborgen.
Währenddessen
stützen sich schon die lastwunden
Knorren.
- Aber die Erde läßt Luftgebornes, Gewiegtes
im himmlichen Schimmer,
An ihrer
Stärke nicht ruhn, es sei denn für immer.
Sie gebietet:
Da ihr Äste nun zu mir kamt, so müßt
ihr verdorren.
Darüber braust
das Riesenhaupt und denkt
keinmal
Fortan in
seiner stolzen grünen Helle
Der dürren
Glieder: gespreizt und kahl
Verwesen sie
vom Finger bis zur Elle.
zurück
Sonnenfriede
Buchen:
Graue
Säulen, zu denen die Zeit gerann.
War sie früher?
Wann waren die Kriege der Dänen,
der Wenden?
Männergedanken
wollen enden
Hinter Farnen,
höher als ein Mann.
Ihrer Stürme
vergißt selbst die Eiche,
Wie sie die
Wurzeln im Meer bespült,
Mit
Weinrosenduft die Astbruchstelle, die bleiche,
Und mit eignen
Schatten die Füße, die tausend Jahre
nicht wanderten, kühlt.
zurück
DIE
EHRWÜRDIGEN BÄUME
Die Geister
Riesige Wesen, seherisch blind,
Behütet ohne Hürden.
Ihnen beugt sich der streichende Wind:
Ehrwürden! Ehrwürden!
Manchmal auch greift er wie an die Kandare
Bäumender Rosse in grünen Geschirren.
Wer sind sie wirklich ? Sie bleiben das Klare,
Dem keine Fieber die Zeit verwirren.
Sie wälzen hundert und hundert Jahr
In ihren Türmen, den stolzen,
Was aus Erfahrung und Gefahr
Zum Gruß »ich lebe« zusammengeschmolzen.
Darunter verklingt ein Ruf: ich scheide!
Den einst ein menschlicher Hornstoß stieß;
Darunter wieder liegt grasige Heide
Manchmal und manchmal erdiger Grieß.
Als mir die Einsamkeit das Brausen,
Das Brausen die Einsamkeit wiedergebar,
Gebar sie auch Geister, die hier hausen.
Ich wurde weiser Männer gewahr.
Sie schienen den Stämmen zu gehören,
Die dunklen Brunnen brauten ihr Alter.
Und nach den durchbrochenen Blätterflören
Trugen manche gezeichnete Flügel wie Falter.
Gingen sie traumhaft, wie sie kamen,
So war es, sie würden wiederkehren;
Verwandelt in meine Formen und Namen,
Wollten sie mich mein Gastrecht lehren.
Einen sprach ich an: »Ihr seid das Reine,
Unsre Menschheit ist voll Flecken.
Die Zukunft brennt im Wetterscheine,
Kannst du das Schicksal nicht entdecken?
Gieb einen Siechentrost dem Siechen.«
- Er schließt die Hand, er darf sie nicht bieten.
Und öffnet sie stumm: die Fläche bekriechen
Ameisen, Ameisen und Termiten.
Und als ich bangte, ob ich ihn verstände,
Meldete sich ein Wipfel brausend.
Dann schluckten ihn die Blätterwände,
Dann nahm ihn zu sich das Jahrtausend.
zurück
Gestaltung
Befremdend fern und doch gesellt,
Beatmen wir die gleiche Welt,
Gestaltlos meist und doch nicht stumm,
Gingt ihr vor meinem Einblick um.
Allein, warum erschient ihr mir ?
- Erschienen wir ? Wir sind nur hier.
Wir wissens nicht, wenn dus nicht weißt,
Wir trugen deinen Wunsch im Geist.
Weil der uns anders nicht erreicht,
Ergreift er, was an uns ihm gleicht.
Wir dienen, sollen wir nicht dienen.
Kein Gott ist anders je erschienen.
Kein Mensch war je von uns besessen,
Bevor er seine Macht vergessen.
Vergiß: schon prägt sich unsre Spur.
Gedenk: sie lischt. Versuche nur!
Willst du uns jung: das Alter weicht,
Wir lachen dir, es ist uns leicht.
Willst du uns alt, die Hand verrunzelt,
Und streichelst sie: der Alte schmunzelt.
zurück
Das Gebet
Ihr kniet in einem Bußgebet?
- Nenn es denn Knien, wenn ihrs so seht,
Doch Bußgebet nicht, nur Gebet.
- So wißt ihr und so spürt ihr nicht
Das Zorngefält im Erdgesicht?
- Wir spüren und wir wissen nicht.
- Ihr wißt auch nicht die Folterpein
Von vielen, die mir gleich sind? - Nein.
Wir trauern und bedauern nicht.
- So mitleidsarm sein, ist es kühn ?
- Was Mitleid uns heißt, trügst du nicht,
Den Unhold Mitleid, du ertrügst ihn nicht.
Den Unhold Mitleid, du erschlügst ihn nicht.
Von fern ihn sehn macht dich verblühn:
Wir sind uralt, und wir sind grün.
zurück
Die Kinder
Sieben wuchsen im Kreise,
Die Krakenarme verschränkt,
Als hätten sie sich verdroßnerweise
Zum Tiefschlaf eingehängt.
Heut nacht zum ersten Male
Entwanden sich ihre Seelen dem Laub.
Die Silberwalnußschale
Des Mondes maß nächtlich unsern Staub.
Da trug kein Besuch von den Toten
Gestaltverlöschendes Schattengewand:
Kinder sah ich in Blusen mit Knoten,
Matrosenmützen und blauem Band.
Nun sind wir beieinander.
Vordem, wo waren wir?
Wir waren doch weit auf der Wander?
Wir waren doch immer hier?
Nun sitzen wir, die Sieben,
Als Kinder auf der Bank
Und hören, was wir getrieben
Unser Leben lang.
Was seufzend vom kindischen Ende
Die Menschen vertrauen dem Wind,
Ist uns nur Blindheit und Blende,
Uns Jüngeren als Greis und Kind.
Wir sehnten nie zu pflücken,
Was überm Salzmeer wuchs,
Doch drückte uns auf dem Rücken
Der ganze Himmel, und jeder ertrugs.
Seine dampfenden Gedanken gleiten,
Sie kommen von Westen, sie reisen von Osten,
Sein Blut bezeichnet von beiden Seiten,
Nach Morgen und Abend, unsre Pfosten.
Mochte sein Geist sich über uns beugen,
Oder wenn er die Fernen ersann,
Wir standen wie seine geladenen Zeugen,
Und alles ging uns doch selber an.
Wir waren einverstanden,
Und also standen wir irdisch ein.
So setzten die Jahre, die zu uns fanden,
Uns Moos in die Ritzen wie Hefe von Wein.
So sitzen wir, die Sieben,
Als Kinder auf der Bank -
Die Welt ist schön geblieben
Unser Leben lang.
zurück
Der
Dachshund
Wie
der Hund,
der niedrige, kleine,
Mit
schnüffelndem Knacken der Nüstern
weise
Erdmärchen
sucht im verwurzelten
Kreise,
Befällt mich
ein Staunen: ist es der meine?
Aber sein
Mund, als will er wieder saugen
An der Mutter,
ist hilflos greis,
Und aus den
einsam guten Augen
Glänzt schon
des Lebens heiliges Eis.
- Nein, ich Uralter bin nicht der deine,
Aber magst du
mich kraun allerwegen,
So will ich
den Hals aufs Knie dir legen,
dann – hast du
zu weinen – dann weine.
- Du stehst vor mir für tausend deinesgleichen.
Mein Finger
kann sie nicht alle erreichen;
Steh ich für
tausend meinesgleichen auch vor
dir,
Dann schweben
wir beide über Mensch und Tier.
- Du meinst? – Es kam ein trunkner Bube,
Der hat mich
beschrien und bespien,
Da riß die
Kluft: hier Mensch, hier Hund.
Gott gabs wohl
ein, ich sprach mit Menschenmund:
Die Träne
bleibt dir unverziehn,
Die das
geschlagne Tier nicht weinen kann,
Weil sie auch
dir nicht, großer Mann,
Das Auge badet
in seiner Grube.
zurück
Der
Wald der Welt
Erblickt
ihr
hinter mir die Flüchtlingsspur
Und trifft
euch ein gehetzter Atemstoß?
Ihr sucht und
horcht umsonst. Ich lächle nur:
Der Wald der
Welt ist groß.
Er wächst in
bittern Lüften der Gefahr.
Und wenn ihr
es für Hochmut nehmt, vergebt:
Ihr wüßtet,
wären eure Stirnen klar:
Der Wald der
Welt entschwebt.
Und wer einmal
in ihn gefunden hat,
Wird mit ihm
hochgetragen, ist es not.
Was hier ist,
fehlt nicht dort, kein Wurm
am Blatt,
Klein kleiner
Mund, kein Kot.
Auch Feinde
nicht, wie sie der Gott bestellt,
Nur ihr, die
ihr mit Würfeln um ihn lost!
Vielleicht
verirrt er mich, der Wald der Welt,
Und doch ist
er der Trost.
Ihm glimmt,
damit die Nacht zu schwer
nicht sei,
Auf einem
Hirschwildgeist das goldne Kreuz;
Ihm brennt
Huberti Schreck im Schwarzgeweih,
Und wer es
weiß, der scheuts.
Nur wer es
nicht scheut, zäumt und sattelt
schon –
So ihr! Der
Riemen knirscht am Pferdebauch,
Doch fehl
prescht eure rasselnde Schwadron:
Der Wald
zerging in Rauch.
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