lifedays-seite

moment in time






 
Literatur


04.2

Gedichte

Wolkenüberflaggt - Ernst Wilhelm Lotz

 
Erster Teil - III. Bilder



DIE STRASSE
 
Auf violetten Dünsten schwimmen Lichter
Von brennend hohem Gelb. Du tauchst hinein,
Gewirbelt blindlings in ein Meer Gesichter,
Blaß, atmend nah. Versinkst. Und bist allein.
 
Nur du. Zum Prüfen fühlst du deine Hände
Und weißt, du träumst. Der Traum steigt weiß empor.
Vor dir erkennst du steile Straßenwände,
Behängt mit seltsam hellem Lichterflor.
 
Dein Ohr ist zu. Nur deine Augen fühlen.
Quer zeigt die Straße durch den Sternenwald.
Die Sternenzweige, die vorüberspülen,
Bildtäuschen Göttergesten und manche Tiergestalt.
 
Du selbst ein Stern. Du tönst. Dich kannst du hören
Hinklingen durch das All. Du träumst und schwimmst
In Töne-Träumen, die dich leuchtend schön betören,
Daß du sie für den andern Wohllaut nimmst.
 
Wo ist die Sonne, die dich zirkelnd bindet?
Versäumt. Du steuerst fort. Es ist zu spät.
Um deine Feuerbahn nachschleifend windet
Sich hell ein Schweif. - Stürm glühend fort, Komet!

oben
KLEINE STERNE
 
Die Straße dehnt sich lang in rote Ferne.
Die Lampen glühen prall das Pflaster an.
Ich blick hinauf. Sehr dringend. Doch die Sterne
Sind lichtverwischt und zeigen sich nicht an.
 
Das macht mich traurig in der lauten Gasse.
Doch ich bin jung und gräme mich nicht gern.
Ich schau umher. Und finde lauter blasse,
Totmatte Augen. Keinen Augenstern.
 
Entmutigt lasse ich mich vom Strome treiben,
Die Hände tief in Taschen, durch die Stadt.
Und weiß, ich werde heute Verse schreiben,
Verhängt wie Sterne und wie Augen matt.

oben





___________________________

Textgrundlage: "Wolkenüberflaggt", Gedichte von Ernst Wilhelm Lotz, Kurt Wolff Verlag,
Leipzig, 1917, gedruckt bei E. Haberland in Leipzig-R, Herbst 1916
, als sechsunddreißigster
Band der Bücher „Der jüngste Tag“, ©1916 by Kurt Wolff Verlag, Leipzig

Uni-Düsseldorf

Logo 74: "Tracks at the Saint-Lazare Station", 1877, Claude Monet, gemeinfrei
wikimedia  

   lifedays-seite - moment in time