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Literatur


04.2

Gedichte

Wolkenüberflaggt - Ernst Wilhelm Lotz

 
Zweiter Teil - V.  Jugend




WIR WACHEN SCHON EIN WENIG
HELLER AUF. . .
 
Wir wachen schon ein wenig heller auf,
Wenn uns der Mittag um die Stirnen lodert,
Wir sind schon etwas kühner und heißer gespannt.
Wenn wir im Spiegel erstrahlen noch jung von Schlaf,
Unsere Glieder betastend, prüfend das Spiel unserer Sehnen,
Sehen wir jedesmal silbriger uns erstarkt.
 
Die Häuser kommen, geflaggt mit Licht,
Leicht und befedert trägt uns das Pflaster,
Alle Passanten flammen auf und sind nah.
Elektrisch fühlen wir: Wir sind da!
 
Wir können schon sehen.
Wir können verstehen.
Wir können schon zeichnen
In unsern Augen,
Hart und zum Schreien wahr.
 
Und unterscheidend, entscheiden wir uns:
Wir haben uns unsre Verachtung gemerkt schneidend,
Und unser Ja.
Nachts,
Heimlich,
Kommen wir mit unsern Brüdern zusammen.
 
Wir haben den Wein aus dem Kreise verbannt:
Rausch ist unsre Gemeinsamkeit, unser Wunsch und das
Schweben der Tat,
Beide umflackerten unsre Heimlichkeit.
Ein Wille schießt aus uns. - Erblaßt vom Warten:
Wir wissen schon den Tag. Wir fiebern schwer.
 
Und sind verdammt, verschwiegen uns die Zeit zu kürzen,
Wir sind in Gärten und Terrassen müßig hingelehnt,
Und oft will heiß das Blut nach unsern wilden Händen stürzen,
Weil sich der Tag zu langsam weiter dehnt.

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Textgrundlage: "Wolkenüberflaggt", Gedichte von Ernst Wilhelm Lotz, Kurt Wolff Verlag,
Leipzig, 1917, gedruckt bei E. Haberland in Leipzig-R, Herbst 1916
, als sechsunddreißigster
Band der Bücher „Der jüngste Tag“, ©1916 by Kurt Wolff Verlag, Leipzig

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