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04.3
Gedichte
Emil
Verhaeren
Die
geträumten Dörfer 1911
Die Fischer
Das
Land ist in flockigen Dunst getaucht,
der
sich zu Polstern schichtet,
der
Läden und Schwellen verdichtet
und
an den Ufern raucht.
Ein
Aas nach dem andern hebt
aus
dem Fluß sich voll Gift und Seuche;
an
des Himmels Ende begräbt
man
allmählich des Mondes Leiche.
In
ihren Kähnen, in stummen Beharren,
groß
von spärlichem Licht umzittert,
sitzen
trotzig, alt und verwittert
die
Fischer, die diesen Strom befahren;
die
für geheimnisvoll nächtlichen Fund,
seit
gestern Dämmrung sich ausgebreitet,
ihre
schwarzen Netze geleitet
in
den schlechten und schweigenden Grund.
In
der Tiefe lauert unsichtbar
vereint
der bösen Geschicke Schar
auf
sie mit Raubtierbegier
und
wird mühsam gefischt von ihnen,
die
der Arbeit vertrauend dienen
in
Nebel und Nachtgewirr.
Unten
fern läutet Mitternacht
mit
hartem Hammer die Totenwacht;
Mitternacht
läutet von Turm zu Turm,
Mitternacht,
herbe im Herbstessturm,
müde
Mitternacht.
Von
verdächtigen Lumpen nur sind die Glieder
der
schwarzen Fischer bedeckt;
sehr
langsam leckt,
Tropfen
auf Tropfen, Zacken auf Zacken,
aus
vertragenem Hut in ihren Nacken
des
Nebels Gefieder
nieder.
Über
die Dörfer, die Hütten kam
die
Kälte und machte sie starr und lahm;
nahm
die Nußbäume, die Weiden gefangen,
die
mit den Stürmen des Ostens rangen.
Kein
Gebell, das im Wald erklingt,
und
kein Schrei in der Mitternachtsleere
die
sehr feuchte schwere
Asche
ganz durchdringt.
Und
stetig, stumm und gewissenhaft
sind
am Werk sie in Nachbarschaft;
jeder
fischt nur, soviel er muß,
ohne
Hilfe und ohne Gruß.
Und
der erste holt sich in straffen Netzen
all
seines Elends krüpplige Fetzen;
und
einer fischt in leichtfertigem Zug
aus
dem Grund der Krankheiten schlammiges Tuch;
und
einer öffnet weit seine Reusen
den
Leiden, die drohend vorüberreisen;
und
der letzte endlich am Ufer bückt
nach
den Trümmern sich, die seine Reue schickt.
Der
Fluß, von Biegung zu Biegung fallend
und
gegen die Spitze der Deiche wallend,
sucht
– wer kündet, seit welcher Zeit? –
die
Horizonte der Müdigkeit.
Aus
der Haut der schwarzen Moräste trieft
am
Ufer langsam nächtliches Gift;
und
die Nebel sind Vliese und breiten
sich
auf der Häuser Niedrigkeiten.
In
ihren Kähnen, wo nichts sich rührt,
wo
selbst keine Pechfackelflamme irrt,
um
mit großen blutigen Ringen
des
Nebels weißen Filz zu umschlingen,
hält
der Tod, der sein Schweigen herniederläßt,
die
alten Fischer des Wahnsinns fest.
Die
Einsamen sind sie in Nebelschicht,
dicht
beisammen, und sehn sich nicht;
ihre
Arme sind matt vom Fang,
und
ihr Werk ist ihr Untergang.
O
sagt, wenn mitten durch ihre Nacht
ihre
Stimmen einander Trost gebracht!
Aber
sie bleiben vergrämt, erstarrt,
den
Rücken gehöhlt und die Stirne hart;
nur
von dem Lichtlein scheu beschienen,
auf
dem Flusse, regungslos, neben ihnen.
Wie
Blöcke von Schatten heben
sie
sich aus Nebelgeweben;
und
ihre Augen sehn
nicht,
wie jenseits der sickernden Ketten
berauschen
und stark wie Magneten
herrlich
die Sterne stehn.
Die
schwarzen Fischer der schwarzen Qual
sind
die unendlich Verlornen im All,
zwischen
den Ebenen, dem Totenläuten
und
den fernen Usichtbarkeiten;
in
ihrer Seele einförmigen Schacht
regnet
die feuchte Herbstmitternacht.
zurück
Der
Müller
Der
alte Müller der schwarzen Mühle ruht
in
einem Grund von Schierling und Schutt;
man
begrub ihn bei Winter und Frost
eines
Abends, scharf von Nordost.
Auf
dem Spaten des Gräbers lag
heftig,
schielend und falsch der Tag;
um
das Loch strich ein Hund in verwirrtem Lauf
und
bellte gegen das Licht hinauf.
Eine
gleitende Spiegelung, reiste
der
Spaten bei jedem Stoß,
biß
die Erde, versank und gleißte
in
ihrem gebändigten Schoß.
Die
Sonne fiel unter verdächtigen Schatten.
Wie
ein Rieseninsekt
stand
der Totengräber in Himmelsmatten
zum
Kampfe gegen die Furcht gereckt.
In
seinen Händen bebte der Spaten,
und
Risse durchfuhren den Grund;
wie
er sich auch mühte, weit
gähnte
vor ihm der Schlund,
der
mit der Dämmrung wuchs in Unaufhaltsamkeit.
Da
unten im Dorf
hatte
keiner dem Müller ein Laken geliehn.
Da
unten im Dorf
hatte
um ihn kein Gebet sich an Gott geschmiegt.
Da
unten im Dorf
wollte
keiner für ihn den Glockenstrang ziehn.
Da
unten im Dorf
war
keiner, der seinen Sarg gefügt.
Die
Häuser, die Hütten, deren Gesicht
nach
dem Kirchhof sich wandte, hatten bang
alle,
um nichts zu erblicken, dicht
ihre
Läden gesenkt die Straße entlang.
Und
das Grausen kam, um den Gräber zu packen
vor
dem Toten da ohne Leichenlaken,
um
den unversöhnlich der Haß
und
die Furcht noch in aller Adern saß.
Auf
seinem Hügel, gramvoll in Abendstille,
hatte
der Müller der alten Mühle
einst
gelebt in stetem Verstehn
mit
den Ebenen, dem Raum, den Weiten
und
den tollen Orkangeleiten,
die
um die Mähne des Nordsturms wehn.
Sein
Herz hatte lang dem zugehört,
was
die Lippen, aus Schatten und Gold gewoben,
der
Sterne oben
der
Ewigkeit Horcher gelehrt.
Die
Wüste der Heide, strenge und bleich,
umgab
ihn mit jenem Zauberreich,
in
dem für die Seelen die Dinge erwachen,
mit
ihnen reden, sie weise machen.
Die
großen Ströme, die alles, was lebt, durchmessen,
suchten
mit ihrer Kraft sich Eingang in sein Wesen,
bis
seine Seele, keusch und einsam wie sein Land,
die
Gärung und den Gang der Welt in sich empfand.
Die
ältesten Leute wußten nicht mehr,
seit
wann, vom Dorf fern verschlagen, er
da
unten verharrt
und
auf den Flug, das Vorüberstreichen,
auf
die Fahrten, die Feuerzeichen
der
Wolken gestarrt.
Er
erschreckte sie durch die Stille,
aus
der ohne Laut
sich
sein Dasein gebaut;
er
erschreckte sie durch die Augen von Gold,
die
seine Mühle
jäh
und gewaltig durch die Nacht gerollt.
Und
es drang zu keinem die Kunde
von
seiner Leidens- und Sterbestunde;
nur
die vier Flügel,
mit
denen er gegen das Unbekannte
wie
mit ewigen Bitten rannte,
reckten
sich schwarz, bewegungslos
und
unverrückbar, ein Siegel
und
ein Kreuz, das ein Schicksal schloß.
Der
Totengräber sah den Schatten und seine Wellen
wie
Volksmengen schwellen
und
das Dorf mit geschlossenen Fensterscheiben
in
schwindende, schmelzende Fernen treiben.
Das
Fieber, das rings auf der Lauer lag,
hielt
die Einsamkeit mit seinen Schreien wach;
der
Wind zog in schwarzen und braunen Hüllen
wie
ein Mensch vorüber mit Sinn und Willen;
in
Tücke und Hast nahm das Unbestimmte
der
Horizonte Gestalt und ergrimmte,
bis
der Gräber den Spaten irgendwohin
warf
mit stierem Blick und verwirrtem Sinn
und
entfloh wie ein Dieb, den die Nacht erschreckt
und
nach ihm unermeßliche Arme reckt.
Dann
war
die
Ebene ganz in des Schweigens Gewalt,
und
in der Erde wuchs noch riesengroß der Spalt.
Alles
lag tot und starr.
Nur
die Weiten, die niemals zur Ruhe gelangen,
durchdrangen
ihre
Flächen von Schatten und Nord
mit
dem Toten dort,
um
dessen Leben ihr Geheimnis spann,
bis
es erstarkend in den großen Plan
der
Fernen reichte und zu Höhn hinan.
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