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04.2
Gedichte
Emil
Verhaeren
Die
geträumten Dörfer 1911
Der Totengräber
Im
Garten,
dem
ewig grünenden, der Erstarrten,
gräbt
ein Mann der Erde Trockenheit
seit
allezeit.
Ein
paar gebrechliche Weiden klagen,
ein
paar Blumen weinen nicht weit von ihm,
daß
um sie wie ein ewiges Ungestüm
Regen,
Sturm und Gewitter schlagen.
Den
rauhen tückischen Boden umgeben
gähnend
an allen vier Ecken Gräben;
die
Kälte des Winters fährt
wie
ein Schnutt in den Stein; doch in des Sommers
Schweigen,
im
Juni, hört man, das im Grunde gärt,
des
Todes Leben, aus den Särgen steigen.
Der
Totengräber mißt längst nicht mehr
im
Verstreichen
die
Zeiten aus, seit denen er
die
Erde füllt mit seines Elends Leichen.
Und
Tag für Tag auf schmerzvoller Bahn
kommen
die weißen Särge an;
von
den fernsten verlorensten Dörfern ziehn
sie
endlos herbei und suchen ihn
durch
die unermeßlichen Flächen;
nahn,
von schwarzgekleideten Leuten geleitet,
und
enden erst, wenn der Tag verscheidet,
um
mit des Morgens Graun von neuem aufzubrechen.
Der
Totengräber hört das Sterbeläuten
aus
den müden Himmeln und den fernsten Weiten
seit
alten, nie mehr erforschten Zeiten.
Die
weißen Särge schleppen seine Qualen:
sein
Sehnen, das sich wild zum Tod des Abends kehrt,
sein
Leid und seine Tränen, deren Fallen
sein
frommes Linnen ihm blutend und bang versehrt;
Erinnerungen
mit verstaubten Blicken
kommen
von fern durch langer Stunden Zug,
gesandt
von der Furch, in der ihre Seelen ersticken;
sein
Stolz kommt auch, den er in Stücke schlug;
sein
Heidentum, das keine Antwort hörte;
sein
erschlaffender Mut, von schwerer Rüstung besiegt;
und
seine Tapferkeit, die ganz von Wunden verstörte,
in
deren Augen schon gärend und drohend Verwesung liegt.
Der
Totengräber sieht mit der Särge weißen Gewichten
sich
gerade auf ihn die langsamen Wege richten.
Da
sind die klarsten von den Gedanken, die ihm gehört,
alle
vereinzelt, von seiner Lauheit zerstört.
Da
liegt das Lieben, das einst aus Tau und aus Reinheit kam,
in
lüsternen Spiegeln gespiegelt voll Grauen und Scham.
Da
liegen die Eide, die er stumm sich selbst gelobt und
geglaubt,
leer
und erloschen, - Juwelen, aus einem Kronreif geraubt.
Da
liegt sein Wille, der sprühte wie Blitzeslauf,
hilflos
am Boden und richtet sich nie wieder strahlend auf.
Der
Totengräber gräbt beim Sterbeläuten
die
Ecke, um die Buchs und Taxus gleiten,
seit
alten und nie mehr erforschten Zeiten.
Da
ist sein Traum, aus Leichtsinn und Freude entsprungen,
den
er durch der Wissenschaft dunkelnden Abend
geschwungen;
den
wie mit Glutflügeln er mit Federn und Flammen zierte,
den
er dem Wahnsinn entriß, der schillernd
vorüberschwirrte;
den
er hinauswarf in unerreichbare Weiten
zum
Kampf mit des Himmels goldnen Unmöglichkeiten
und
der aus dem Schweigen der unüberwindbaren Hallen,
die
er nicht streifte, wieder hernieder gefallen.
Mit
magerm Arm, dem die Kraft entwich,
gräbt
Spatenstich über Spatenstich
der
Totengräber die Trockenheit
der
müden Erde, - seit welcher Zeit?
Und
hier sieht er, schmerzvoll auf seine Reue gekehrt,
die
Verzeichung, denen, die unrecht hatten, verwehrt,
und
sieht all die Bitten, die stummes Weinen betaut,
in
seiner Brüder Augen von ihm ohne Mitleid geschaut;
sieht
die Schläge, geführt gegen die Armen und Stillen,
wenn
sein Hohn sie verlacht, die bang in die Kniee fielen;
sieht
die finstre Verleugnung, den Spott, der so scharf gezielt,
wo
ihm Ergebung im Dunkeln die Hände entgegenhielt.
Der
Totengräber birgt müd und bang
sein
brennendes Leid in der Glocken Klang;
unter
Spatenstichen auf Spatenstich
spaltet
todermattet die Erde sich.
Und
die Selbstmorde sieht er, in Furcht und Entzetzen
verfemt,
wenn
vor der vergeltenden Stunde die entscheidende Stunde
sich
schämt;
und
das Verbrechen mit seinen Greueln, von denen,
die
sie berühren, seine flüchtigen Finger, brennen;
und
seine Besessenheit, die in ihm siedet und braust
und
will, daß er Der ist, dem vor sich selber graust;
und
das wilde Erschrecken und der Zweifel mit grundlosen
Fernen
und
der Wahnsinn mit seinen weißen, marmornen
Augensternen.
Das
Hirn zermartert vom Klang der Glocken,
wirft
der Totengräber, ohne zu stocken,
die
Erde und ihre Trockenheit
Spaten
um Spaten auf seine Vergangenheit.
Er
sieht die getöteten Tage und sieht die der Gegenwart,
alles
schon dämpfend, was jung und kühn in der Zukunft
harrt;
durch
deren Hände, die beweglich und grausam sind,
schon
Tropfen auf Tropfen das Blut seines Herzens rinnt;
deren
Gebiß, das sicher faßt und zerreibt,
die
Gestalt der Zukunft zerfleischt, bis nur das Skelett
noch
bleibt;
die
ihm in Särgen all seine Vorsätze zeigen,
die
ungeboren schon dem Tode zu eigen.
Der
Totengräber hört aus den Weiten
immer
dumpfer das Glockenläuten
durch
die Gelände des Nordens schreiten.
Ach
könnten die bangen verzauberten Glocken
eines
Tages ihr Läuten stocken!
Kämen
der Toten endlose Züge nicht mehr
mit
der Reue über die Straße her!
Aber
Särge auf Särge dehnen
sich,
gefolgt von Gebet und Tränen,
machen
Halt, wo die düstersten Hügel ragen
und
Ziehn weiter, auf Bahren von Menschenschultern
getragen,
Ihren
trüben eintönigen Gang,
die
Felder, die Hecken, die Höfe entlang
dem
Unbekannten zu, aus dem Entsetzen klang.
Und
der alte Mann, dem keine Stütze sich bot,
der
verfolgt ist von der Unendlichkeit Särgen,
hat
die Erde nur, ihn zu verbergen,
seinen
zerstückelten, vielfachen Tod.
Und
seine Finger richten in Wirrnis und Fieber
seit
Zeiten, die kein Erinnern faßt,
ein
Kreuz auf darüber
voll
Hast.
zurück
Der
Sturm
Über
der Heide Unendlichkeit
trompetet
der Sturm, daß November naht;
über
der Heide unendliche Strecken schreit
der
Sturm, der schwer gegen Dörfer und Flecken
schlagend
sich zerreißt und kasteit,
der
Sturm,
den
rasend November entsendet hat.
In
den
Brunnen am Hof
knirschen
Eimer, knirschen Gewinde
wie
Scherben;
in
den Zisternen am Hof
knirschen
Eimer, knirschen Gewinde
und
kreischen, als finde
in
ihrer Schwermut sich das ganze Sterben.
Der
Sturm rafft neben des Flusses Lauf
die
toten Blätter der Birken auf,
des
Novembers jagender Sturm;
der
Sturm zerstört in den Ästen
Nester
mit scharfem Biß;
der
Sturm rüttelt Eisen; der Sturm braust bis
zu
der fernen Schneewolken Festen;
gegen
des alten Winters Bann
wütend,
fällt er sie wütend an,
der
Sturm auf der wilden Novemberbahn.
In
den ärmlichen Ställen nicken
und
klappern die Luken mit ihren Flicken,
die
bunt sind und blaß von Papier und Glas.
Und
auf dem Hügel von schwärzesten Gras
mäht
die alte Mühle von unten nach oben,
von
oben nach unten wie Blitzesstoben
in
Gram und Groll
den
Sturm, der November verkündigen soll.
Strohdächer,
die alt und erschöpft sich quälen,
humpelnd
dicht um den Kirchturm geschart,
werden
erschüttert auf ihren Pfählen.
Gegen
die alten Dächer schlägt hart,
daß
sie stöhnen, der Sturm,
der
Novembersturm;
auf
dem Kirchhof bringt er die Kreuze zu Fall,
und
die Kreuze, die Arme der Toten all,
stürzen
wie ein Vogelschwarm wund,
schwarz
und erschlagen herab zum Grund.
Der
Sturm, der durch den November rast,
den
Sturm,
saht
ihr ihn, habt ihr ihm aufgepaßt?
Stießt
ihr auf ihn
am
Kreuzweg der dreihundert Straßen?
Hat
er gekeucht und vor Kälte geschrien?
Habt
ihr ihn gesucht,
den
Sturm der Irrfahrt, der Furcht, der Flucht?
Saht
ihr den Mond in dieser Nacht in fassen,
den
er niedergestreckt,
als
die alten, vom Elend zernagten,
demütigen
Dörfer verzagten
und
schrien
wie
Tiere schrein, wenn sie Gewitter schreckt?
Über
der Heide Unendlichkeit,
durch
den Raum, den niemals sein Rasen mißt,
schreit
und
trompetet der Sturm, daß November ist.
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