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Literatur


04.2




Gedichte
Emil Verhaeren

Die geträumten Dörfer 1911
 



Der Schmied

Seit Zeiten, die fern sind und namenlos,
sieht der Schmied gewaltig und groß
an der Straße, dicht bei den Saaten;
auf seinem Amboß dampfen die Taten
von Stahl und Eisen in Kampf und Tumult,
und er schmiedet machtvoll die blassen Klingen,
die riesenhaften, der großen Geduld.
 
Wer mit ihm in seinem Dorfwinkel haust
und den Haß in verschlossener Faust verwahrt,
weiß, warum der Schmied unverrückt
an seiner Arbeit flickt und stückt
und am Werk ohne Hader und Hassen
gelassen
verharrt.
 
Aber die in fruchtlosem Schwärmen
über den Grund der Fernen fegen
und vor leeren Gebüschen lärmen,
die fiebern und die sich erregen,
sehn in Mitleid halb, halb in Verdacht
in seine Augen, die das Schweigen mild gemacht.
 
Durch den Gang von Tagen und Wochen
müht der Schmied sich ununterbrochen.
 
Er warf in seiner Kohlenpfanne Glut
die dumpfe, jahrhundertjährige Wut
und des Trotzes erstickten Schall;
und, Herr seiner selber, sperrte
er in die Pfanne, die goldverklärte,
Aufruhr und Zürnen und Haß und Qual,
damit sie den Schimmer, damit sie die Härte
gewännen vom Blitz und vom Stahl.
 
Furchtlos und rein
beugt seine Stirn sich auf des Feuers Schein
und strahlt auf einmal; denn die lichten Flammen
fügen zur Krone sich vor ihm zusammen.
Seine eigensinnigen Hände ballen
sich groß und fest wie um künftige Qualen
um die Hämmer, die schon von Verwandlungen strahlen;
und die Kraft seiner Muskeln reckt
sich dem Sieg zu, den noch sein Traum bedeckt.
 
Er hat sie gezählt, die unaufzählbaren Leiden;
nichtige Worte, damit sich die Armen bescheiden;
Stolze, die blind die andern zu führen begehren
und falscher Apostel gallbittre, verhärtete Lehren;
die Gerechtigkeit, blind von Texten zu Texten sich kehrend,
und das Bangen, schamlos jeden Gedanken entehrend;
große fordernde Arme überall an der Dienstbarkeit Kette,
in der Felder Gesundheit und im Fieber der Städte;
das Dorf, vom endlosen schwarzen Schatten des alten
drohenden Kirchturms wie von einer Sense gespalten;
arme Leute, auf denen die armen Strohdächer lasten,
bis auf den Knieen sie bittend nach Almosen tasten;
das Elend, das kaum noch zuckend in seinen Nöten
schon die Waffe ergreift, die bestimmt ist, sich morgen zu röten;
das Recht, nach seiner Kraft zu legen und weiter zu wachsen
verkümmert in der Gesetze Gittern und Faxen;
männlicher Freude und männlicher Zärtlichkeit Strahl
erstickt in den Fingern, den würgenden, der Moral;
die Gifte all, die des Gewissens Quellen,
die diamantnen, färben und entstellen;
und dann: ob sich auch Schwur auf Schwur erneut,
für die, die man erdrückt und die man scheut,
das gleiche Elend: gestern, morgen, heut.
 
Der Schmied weiß wohl, wieviel
man verrät an den Verträgen,
und er ist seit langem still;
der Tag der Tat wird nahn mit seinen Schlägen.
Er ist der Beharrer, den nichts zerbricht,
der siegt oder tot zu Boden fällt,
der sein Menschenbewußtsein so hoch und licht
zwischen den Zähnen des Willens hält;
dessen Wille vermöchte, daß Diamanten
wichen vor ihm mit zerbröckelnden Kanten,
und vermöchte, im Schöße der Nacht an die großen
Regeln der rollenden Welt zu stoßen.
 
Und hört er, Tropfen auf Tropfen,
an den Amboß die Tränen klopfen
all der Herzen, die nicht so gelind,
nicht so ruhig wie seines sind,
so weiß er, daß dies ungeheure Grollen,
diese Verzweiflungen, von einer Liebe bang,
für einen fernen Tag die Maße finden wollen,
damit man messen wird die neue Zeit entlang;
und daß der goldene Hebel, nach dem die Dinge sich regen,
sich wenden wird, dem Licht der Wandlungen entgegen. 
 
Nur ist aus den Nächten, auf die sich Finsternis senkt,
die Stunde zu wählen, die diese Minuten schenkt.
 
Daß man ihr fernes Läuten vernimmt,
einem Schritt gleich hasend und unbestimmt,
soll still das Lärmen sein und still das Wesen,
und keine Fahne soll mehr wehn im Wind der Thesen,
und man soll lauschen und das Streiten lassen.
 
Die Stillen werden diese Stunde fassen.
Kein Wunder wird am Himmel glühn und gleißen,
kein Menschengott den Weltraum an sich reißen.
 
Die Menge und ihr Zorn, der stärker ist als sie,
weil er das Feuer ist, das aus dem Blicke
der großen Träume bricht und der Geschicke,
stellt dann erbarmungslos die neue Harmonie,
das neue Weltall auf, nach dem ihr Dürsten schrie.
Die Blut-und Schattenspuren werden schwinden;
sanft, stark und groß wird man die neue Ordnung finden,
die unverfälscht dereinst das Leben selbst sein wird.
 
Der Schmied, dessen Hoffnung sich nie verirrt
in Zweifel und Angst, sieht so nah
sie vor sich stehn, als wäre sie schon da,
die Zeit, die neu und schlicht das Leben deutet
und rein den Frieden durch die Menschheit läutet:
Dann wird der Mensch kein Wolf sein, der unstät
zum Biß bereit nach seinem Bruder späht;
dann wird die Liebe, deren reichste Tiefen
von Zärtlichkeit noch unter Hüllen schliefen,
auch den Enterbten Seligkeiten bringen;
die Säcke, prall von Gold, wird man zum Bluten zwingen
an einem Abend, der von Recht und Inbrunst rot und groß;
verschwinden wird dann Bank, Comptoir, Spelunke, Schloß;
alles wird licht und schlicht sein, wenn der Stolz erschlagen
und wenn der Mensch, anstatt nach selbstischen Zwecken zu
fragen,
die eine unsterbliche Seele ihm hütet in ewiger Schale,
sein aus allen geschöpftes Leben fortgibt an alles und alle;
Worte, deren Klarheit noch keine Bücher künden,
werden, was schwarz und sinnlos schien, ergründen;
der Schwache wird sein Teil haben vom ganzen Leben
und wird es lieben, - und aus den Geweben
der Stoffe wird vielleicht sich Gott ergeben.
 
Mit dieses flammenden Glaubens Leuchten,
dessen Glanz keine Jahre scheuchten,
läßt am Weg, der die Saaten umzieht,
der starre aufrechte Schmied
den Hammer fallen und steigen.
Als wollt er den Stahl der Seelen durchdringen,
so hämmert er machtvoll die großen Klingen,
die riesenhaften, von Geduld und Schweigen.
 
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Die brennenden Schober
 
Im Grund des Abends glüht das Firmament,
und der Glocken zerschmetterndes Läuten gellt
gegen die vier Mauern der Welt.
 
- Ein Schober brennt! –
 
Über die Straße, die Gänge drängt sich die Menge,
durch der Dorfgassen Enge zwängt sich der Menge Gedränge,
und zum Winseln ist der Hofhunde Heulen verstellt.
 
- Ein Schober brennt! –
 
Die Flamme brummt und zermalmt und spaltet,
bricht aus den Fetzen, die sie entfaltet,
oder schleppt sich krumm und gewunden
wie schimmerndes Haar, langsam aufgebunden,
und wird auf einmal ruhig und rückt
weiter fort, verbirgt sich, und reckt sich drohend
und spreizt sich, in Gold und in Schutt weit lohend,
durch die schwarze Nacht, die ihr Leuchten schmückt.
 
- Auf einmal flammt ein andrer Schober auf! –
 
Er ist groß, und wie ein Bündel von Schlangen,
rot und giftig zusammengefegt
sind die Flammen, die rasend und aufgeregt
auf die Dörfer, die Äcker, die Weiler gelangen,
wo von Fenster zu Fenster gefangen
flackernd und rot ein Licht sich regt.
 
- Ein Schober brennt! –
 
Die unendlichen Felder flüchten erschreckt und verraten;
über den Mooren, über den Saaten
hebt sich von Lichtern gekrönt das Laub;
gebäumte Hengste wiehern dem Unheil entgegen,
große Vogelschwärme zögern im Fluge und legen
mit ersticktem Schrein sich in Glut und Staub;

der Boden stöhnt auf , und der Tod
ist da; in ihren Gelenken
hält ihn die Feuersbrunst und läßt nicht ab zu schwenken
und peitscht ihn auf, wenn er zu schwinden droht.
 
Und Schweigen folgt der Furcht, als durch die Nacht
gewaltig auf dem müden Firmament
ein neues Feuer sich im Dämmrungsschoß entfacht.
 
- Ein Schober brennt! –
 
An den Ecken stehn Leute in wirrem Kreise
fahl mit verzauberten Gesten herum;
die Kinder schrein, und die Greise
heben entwurzelte Arme stumm
nach den Flammen Geleucht und Gegleiße;
und von fern in vrbissenem Schweigen stieren
auf das Tanzen der Funken mit blöden Blicken die Irren.

- Ein Schober brennt! –
 
Die Luft ist ein loderndes rotes Gebraus;
erloschen und tot sieht der Himmel aus,
geschlossen sind die Lider seiner Sterne.
Vor sich flüchtende Goldkiesel jagend,
fährt der Wind durch die Schleier der Ferne.
Das Feuer wird Lärm, der in Flammen klagend
und heulend prallt an des Echos Schild,
gegen des Flusses Ufer, daran
jäh sich ein Jenseits aufgetan,
leuchtend klar wie ein Traumgebild.
Die ganze Ebene ist nur Schutt und Glut und Lüge
und Gold und Blut, - und der Aufruhr faßt
den Tod in der Luft und braust durch der Wolken Gefüge
so wild und so wütend, als trüge
er den Himmel selbst von dannen, eine zitternde Beute und Last.

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